Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Die Begierden lenckt und bessert, auf der Sachen Ursprun führt, Und den Reichthum der Gedancken mit der Worte Nachdr[uck] ziert? Nein, ihr Eifrer, irrt euch nicht! Das, was Brocks bisher ge[-] sungen, Jst noch nicht im innern Theil eures Hertzens eingedrungen. Welcher sieht, wie rein Er dencket, welcher denckt, wie nett E[r] schreibt, Wird im Fortgang seines Urtheils durch den Uberfluß betäub Die Verwunderung erstickt, und verliehrt sich in der Menge, Unser Umfang des Gemühts ist für diesen Schatz zu enge. Das Gefühl geübter Ohren wird durch die Gewohnheit schwach[,] Und die lauter Wunder hören, die ermüden allgemach. Da die Wercke der Natur hier im schönsten Riß zu finden, Kömmt uns Furcht und Schwindel an, diese Tieffe zu ergründen Diesen Abgrund auszumessen, diese Weite durchzugehn, Diese Herrlichkeit zu schauen, diese Führung zu verstehn. Und man fordert dennoch mehr? Kan man auch noch mehr ver[-] tragen? Kan man bey so reicher Kost über Durst und Hunger klagen? Wo die Weisheit ihre Taffel mit so viel Gerichten deckt, Und den Nectar ihrer Quellen jeder ohne Mangel schmeckt. Jst nicht, wo man mehr verlangt, als man sähig zu geniessen, Billig Undanck oder Geitz, oder Unverstand zu schliessen? Wie denn selbst die Lehr-Begierde sich in gleicher Schuld be[-] findt, Wenn die Gräntzen die sie setzet, ausser ihren Kräfften sind. Forscht was man euch vorgelegt, prüft was euch zu sich gezogen, Was ihr annoch obenhin mehr bewundert als erwogen. Glaubet, daß ein Trieb der Sehnsucht hier ein eitler Vorwitz ist, Der in Hoffnung neuer Dinge sich bey seinem Glück vergißt[.] Folgt der Wahrheit auf der Spuhr, und bekennet ihr zur Ehre, Daß zu ihrem Unterricht mehr Gedult und Zeit gehöre. Welcher
Die Begierden lenckt und beſſert, auf der Sachen Urſprun fuͤhrt, Und den Reichthum der Gedancken mit der Worte Nachdr[uck] ziert? Nein, ihr Eifrer, irrt euch nicht! Das, was Brocks bisher ge[-] ſungen, Jſt noch nicht im innern Theil eures Hertzens eingedrungen. Welcher ſieht, wie rein Er dencket, welcher denckt, wie nett E[r] ſchreibt, Wird im Fortgang ſeines Urtheils durch den Uberfluß betaͤub Die Verwunderung erſtickt, und verliehrt ſich in der Menge, Unſer Umfang des Gemuͤhts iſt fuͤr dieſen Schatz zu enge. Das Gefuͤhl geuͤbter Ohren wird durch die Gewohnheit ſchwach[,] Und die lauter Wunder hoͤren, die ermuͤden allgemach. Da die Wercke der Natur hier im ſchoͤnſten Riß zu finden, Koͤmmt uns Furcht und Schwindel an, dieſe Tieffe zu ergruͤnden Dieſen Abgrund auszumeſſen, dieſe Weite durchzugehn, Dieſe Herrlichkeit zu ſchauen, dieſe Fuͤhrung zu verſtehn. Und man fordert dennoch mehr? Kan man auch noch mehr ver[-] tragen? Kan man bey ſo reicher Koſt uͤber Durſt und Hunger klagen? Wo die Weisheit ihre Taffel mit ſo viel Gerichten deckt, Und den Nectar ihrer Quellen jeder ohne Mangel ſchmeckt. Jſt nicht, wo man mehr verlangt, als man ſaͤhig zu genieſſen, Billig Undanck oder Geitz, oder Unverſtand zu ſchlieſſen? Wie denn ſelbſt die Lehr-Begierde ſich in gleicher Schuld be[-] findt, Wenn die Graͤntzen die ſie ſetzet, auſſer ihren Kraͤfften ſind. Forſcht was man euch vorgelegt, pruͤft was euch zu ſich gezogen, Was ihr annoch obenhin mehr bewundert als erwogen. Glaubet, daß ein Trieb der Sehnſucht hier ein eitler Vorwitz iſt, Der in Hoffnung neuer Dinge ſich bey ſeinem Gluͤck vergißt[.] Folgt der Wahrheit auf der Spuhr, und bekennet ihr zur Ehre, Daß zu ihrem Unterricht mehr Gedult und Zeit gehoͤre. Welcher
<TEI> <text> <front> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0020"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <l>Die Begierden lenckt und beſſert, auf der Sachen Urſprun</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">fuͤhrt,</hi> </l><lb/> <l>Und den Reichthum der Gedancken mit der Worte Nachdr<supplied>uck</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ziert?</hi> </l><lb/> <l>Nein, ihr Eifrer, irrt euch nicht! Das, was <hi rendition="#fr">Brocks</hi> bisher ge<supplied>-</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ſungen,</hi> </l><lb/> <l>Jſt noch nicht im innern Theil eures Hertzens eingedrungen.</l><lb/> <l>Welcher ſieht, wie rein Er dencket, welcher denckt, wie nett E<supplied>r</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ſchreibt,</hi> </l><lb/> <l>Wird im Fortgang ſeines Urtheils durch den Uberfluß betaͤub</l><lb/> <l>Die Verwunderung erſtickt, und verliehrt ſich in der Menge,</l><lb/> <l>Unſer Umfang des Gemuͤhts iſt fuͤr dieſen Schatz zu enge.</l><lb/> <l>Das Gefuͤhl geuͤbter Ohren wird durch die Gewohnheit ſchwach<supplied>,</supplied></l><lb/> <l>Und die lauter Wunder hoͤren, die ermuͤden allgemach.</l><lb/> <l>Da die Wercke der Natur hier im ſchoͤnſten Riß zu finden,</l><lb/> <l>Koͤmmt uns Furcht und Schwindel an, dieſe Tieffe zu ergruͤnden</l><lb/> <l>Dieſen Abgrund auszumeſſen, dieſe Weite durchzugehn,</l><lb/> <l>Dieſe Herrlichkeit zu ſchauen, dieſe Fuͤhrung zu verſtehn.</l><lb/> <l>Und man fordert dennoch mehr? Kan man auch noch mehr ver<supplied>-</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">tragen?</hi> </l><lb/> <l>Kan man bey ſo reicher Koſt uͤber Durſt und Hunger klagen?</l><lb/> <l>Wo die Weisheit ihre Taffel mit ſo viel Gerichten deckt,</l><lb/> <l>Und den Nectar ihrer Quellen jeder ohne Mangel ſchmeckt.</l><lb/> <l>Jſt nicht, wo man mehr verlangt, als man ſaͤhig zu genieſſen,</l><lb/> <l>Billig Undanck oder Geitz, oder Unverſtand zu ſchlieſſen?</l><lb/> <l>Wie denn ſelbſt die Lehr-Begierde ſich in gleicher Schuld be<supplied>-</supplied></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">findt,</hi> </l><lb/> <l>Wenn die Graͤntzen die ſie ſetzet, auſſer ihren Kraͤfften ſind.</l><lb/> <l>Forſcht was man euch vorgelegt, pruͤft was euch zu ſich gezogen,</l><lb/> <l>Was ihr annoch obenhin mehr bewundert als erwogen.</l><lb/> <l>Glaubet, daß ein Trieb der Sehnſucht hier ein eitler Vorwitz iſt,</l><lb/> <l>Der in Hoffnung neuer Dinge ſich bey ſeinem Gluͤck vergißt<supplied>.</supplied></l><lb/> <l>Folgt der Wahrheit auf der Spuhr, und bekennet ihr zur Ehre,</l><lb/> <l>Daß zu ihrem Unterricht mehr Gedult und Zeit gehoͤre.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Welcher</fw><lb/> </lg> </div> </front> </text> </TEI> [0020]
Die Begierden lenckt und beſſert, auf der Sachen Urſprun
fuͤhrt,
Und den Reichthum der Gedancken mit der Worte Nachdruck
ziert?
Nein, ihr Eifrer, irrt euch nicht! Das, was Brocks bisher ge-
ſungen,
Jſt noch nicht im innern Theil eures Hertzens eingedrungen.
Welcher ſieht, wie rein Er dencket, welcher denckt, wie nett Er
ſchreibt,
Wird im Fortgang ſeines Urtheils durch den Uberfluß betaͤub
Die Verwunderung erſtickt, und verliehrt ſich in der Menge,
Unſer Umfang des Gemuͤhts iſt fuͤr dieſen Schatz zu enge.
Das Gefuͤhl geuͤbter Ohren wird durch die Gewohnheit ſchwach,
Und die lauter Wunder hoͤren, die ermuͤden allgemach.
Da die Wercke der Natur hier im ſchoͤnſten Riß zu finden,
Koͤmmt uns Furcht und Schwindel an, dieſe Tieffe zu ergruͤnden
Dieſen Abgrund auszumeſſen, dieſe Weite durchzugehn,
Dieſe Herrlichkeit zu ſchauen, dieſe Fuͤhrung zu verſtehn.
Und man fordert dennoch mehr? Kan man auch noch mehr ver-
tragen?
Kan man bey ſo reicher Koſt uͤber Durſt und Hunger klagen?
Wo die Weisheit ihre Taffel mit ſo viel Gerichten deckt,
Und den Nectar ihrer Quellen jeder ohne Mangel ſchmeckt.
Jſt nicht, wo man mehr verlangt, als man ſaͤhig zu genieſſen,
Billig Undanck oder Geitz, oder Unverſtand zu ſchlieſſen?
Wie denn ſelbſt die Lehr-Begierde ſich in gleicher Schuld be-
findt,
Wenn die Graͤntzen die ſie ſetzet, auſſer ihren Kraͤfften ſind.
Forſcht was man euch vorgelegt, pruͤft was euch zu ſich gezogen,
Was ihr annoch obenhin mehr bewundert als erwogen.
Glaubet, daß ein Trieb der Sehnſucht hier ein eitler Vorwitz iſt,
Der in Hoffnung neuer Dinge ſich bey ſeinem Gluͤck vergißt.
Folgt der Wahrheit auf der Spuhr, und bekennet ihr zur Ehre,
Daß zu ihrem Unterricht mehr Gedult und Zeit gehoͤre.
Welcher
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |