Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von den Sitz der Sinnlichkeiten.


So glaubet Brutus auch, bey finstrer Nacht,
Jn dem Philippischen Gefilde,
Als die gemeine Sorg' ihn voller Schwermuht macht,
Ein schwartz Gespenst zu sehn,
Und von dem Schrecken-Bilde
Sein hartes Schicksal zu verstehn.


Ach! lasst uns denn, bestürtzt durch so viel Proben, schliessen,
Daß unsre Seelen so gedencken müssen,
Wann Geister, durch ihr hefftiges Bewegen,
Der innern Sinnen Kräfft' erregen.
Doch können wir uns nicht beschweren,
Als ob die Sinnen uns betrügen,
Sie können nicht was wahr, auch nicht was falsch ist, lehren,
Sie sind nur blos bewegt. Was sie vom Vorwurff kriegen;
Das geben sie zurück. Ob sie, voll Lust und Schrecken
Gemähld' in uns erwecken;
So muß der Mensch bemüht seyn zu ergründen,
Das, welches wir durch sie empfinden.
Und unser Urtheil blos allein,
Jst am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen,
Die unsre Sinnen uns vor Augen stellen,
Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde seyn,
So offte falsche Schlüsse fällen.


Wir mögen recht, wir mögen unrecht richten;
Geschicht es alles blos in unsern Haupt allein.
Jst
K k 4
Von den Sitz der Sinnlichkeiten.


So glaubet Brutus auch, bey finſtrer Nacht,
Jn dem Philippiſchen Gefilde,
Als die gemeine Sorg’ ihn voller Schwermuht macht,
Ein ſchwartz Geſpenſt zu ſehn,
Und von dem Schrecken-Bilde
Sein hartes Schickſal zu verſtehn.


Ach! laſſt uns denn, beſtuͤrtzt durch ſo viel Proben, ſchlieſſen,
Daß unſre Seelen ſo gedencken muͤſſen,
Wann Geiſter, durch ihr hefftiges Bewegen,
Der innern Sinnen Kraͤfft’ erregen.
Doch koͤnnen wir uns nicht beſchweren,
Als ob die Sinnen uns betruͤgen,
Sie koͤnnen nicht was wahr, auch nicht was falſch iſt, lehren,
Sie ſind nur blos bewegt. Was ſie vom Vorwurff kriegen;
Das geben ſie zuruͤck. Ob ſie, voll Luſt und Schrecken
Gemaͤhld’ in uns erwecken;
So muß der Menſch bemuͤht ſeyn zu ergruͤnden,
Das, welches wir durch ſie empfinden.
Und unſer Urtheil blos allein,
Jſt am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen,
Die unſre Sinnen uns vor Augen ſtellen,
Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde ſeyn,
So offte falſche Schluͤſſe faͤllen.


Wir moͤgen recht, wir moͤgen unrecht richten;
Geſchicht es alles blos in unſern Haupt allein.
Jſt
K k 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0549" n="519"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von den Sitz der Sinnlichkeiten.</hi> </fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">S</hi>o glaubet Brutus auch, bey fin&#x017F;trer Nacht,</l><lb/>
                <l>Jn dem Philippi&#x017F;chen Gefilde,</l><lb/>
                <l>Als die gemeine Sorg&#x2019; ihn voller Schwermuht macht,</l><lb/>
                <l>Ein &#x017F;chwartz Ge&#x017F;pen&#x017F;t zu &#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>Und von dem Schrecken-Bilde</l><lb/>
                <l>Sein hartes Schick&#x017F;al zu ver&#x017F;tehn.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">A</hi>ch! la&#x017F;&#x017F;t uns denn, be&#x017F;tu&#x0364;rtzt durch &#x017F;o viel Proben, &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Daß un&#x017F;re Seelen &#x017F;o gedencken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
                <l>Wann Gei&#x017F;ter, durch ihr hefftiges Bewegen,</l><lb/>
                <l>Der innern Sinnen Kra&#x0364;fft&#x2019; erregen.</l><lb/>
                <l>Doch ko&#x0364;nnen wir uns nicht be&#x017F;chweren,</l><lb/>
                <l>Als ob die Sinnen uns betru&#x0364;gen,</l><lb/>
                <l>Sie ko&#x0364;nnen nicht was wahr, auch nicht was fal&#x017F;ch i&#x017F;t, lehren,</l><lb/>
                <l>Sie &#x017F;ind nur blos bewegt. Was &#x017F;ie vom Vorwurff kriegen;</l><lb/>
                <l>Das geben &#x017F;ie zuru&#x0364;ck. Ob &#x017F;ie, voll Lu&#x017F;t und Schrecken</l><lb/>
                <l>Gema&#x0364;hld&#x2019; in uns erwecken;</l><lb/>
                <l>So muß der Men&#x017F;ch bemu&#x0364;ht &#x017F;eyn zu ergru&#x0364;nden,</l><lb/>
                <l>Das, welches wir durch &#x017F;ie empfinden.</l><lb/>
                <l>Und un&#x017F;er Urtheil blos allein,</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen,</l><lb/>
                <l>Die un&#x017F;re Sinnen uns vor Augen &#x017F;tellen,</l><lb/>
                <l>Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>So offte fal&#x017F;che Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e fa&#x0364;llen.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">W</hi>ir mo&#x0364;gen recht, wir mo&#x0364;gen unrecht richten;</l><lb/>
                <l>Ge&#x017F;chicht es alles blos in un&#x017F;ern Haupt allein.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">K k 4</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">J&#x017F;t</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0549] Von den Sitz der Sinnlichkeiten. So glaubet Brutus auch, bey finſtrer Nacht, Jn dem Philippiſchen Gefilde, Als die gemeine Sorg’ ihn voller Schwermuht macht, Ein ſchwartz Geſpenſt zu ſehn, Und von dem Schrecken-Bilde Sein hartes Schickſal zu verſtehn. Ach! laſſt uns denn, beſtuͤrtzt durch ſo viel Proben, ſchlieſſen, Daß unſre Seelen ſo gedencken muͤſſen, Wann Geiſter, durch ihr hefftiges Bewegen, Der innern Sinnen Kraͤfft’ erregen. Doch koͤnnen wir uns nicht beſchweren, Als ob die Sinnen uns betruͤgen, Sie koͤnnen nicht was wahr, auch nicht was falſch iſt, lehren, Sie ſind nur blos bewegt. Was ſie vom Vorwurff kriegen; Das geben ſie zuruͤck. Ob ſie, voll Luſt und Schrecken Gemaͤhld’ in uns erwecken; So muß der Menſch bemuͤht ſeyn zu ergruͤnden, Das, welches wir durch ſie empfinden. Und unſer Urtheil blos allein, Jſt am Betruge Schuld, wenn wir von Dingen, Die unſre Sinnen uns vor Augen ſtellen, Da wir voll Vorurtheil und eitlem Grunde ſeyn, So offte falſche Schluͤſſe faͤllen. Wir moͤgen recht, wir moͤgen unrecht richten; Geſchicht es alles blos in unſern Haupt allein. Jſt K k 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/549
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/549>, abgerufen am 21.11.2024.