Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Und Bilder, die den Augenblick vergehn,
Da sie sich kaum zu bilden angefangen.
Man kann jedoch noch ziemlich deutlich machen,
Woher so wunderlich verworr'ne Sachen
Jm Traum uns vorgestellet seyn.
Verstimmet einst ein Jnstrument,
Versucht sodenn, ob ihr die Töne,
Die sonst so lieblich, rein und schöne,
Aus selben zwingen könnt?
Jhr werdet nichts aus ihm, als Dissonantzen bringen,
Die wunderlich und elend klingen.
So, wenn der Leib verstimmt, die Nerven nachgelassen,
Wie können sie sodann den Ton behalten,
Wie kann denn das Gehirn was anders fassen,
Als ungeformt' und seltsame Gestalten,
Die sonder Harmonie, und nicht zusammen hangen.
Wie aber, und warum wir eben die Jdeen
Und and're nicht an deren Stelle sehen;
Warum so leicht die, welche längst vergangen,
Als unlängst erst gesehne Bilder kommen;
Ob sie, als wie ein Schall,
Der durch den Wiederhall
Zurücke kehrt, von uns vernommen,
Und so gehöret wird, wie ihn der Mund gebohren,
Ob er sich gleich schon eine Zeit verlohren;
Ob, sag' ich, etwan auch auf gleiche Weise,
Die Bilder, die nicht mehr zu sehen,
An statt vollkommen zu vergehen,
Noch bleiben, und zurücke kehren;
Jst nicht so leichte zu erklären.
Nicht minder, ob und wie so Seel und Geist,
Bey
U u 5
Und Bilder, die den Augenblick vergehn,
Da ſie ſich kaum zu bilden angefangen.
Man kann jedoch noch ziemlich deutlich machen,
Woher ſo wunderlich verworr’ne Sachen
Jm Traum uns vorgeſtellet ſeyn.
Verſtimmet einſt ein Jnſtrument,
Verſucht ſodenn, ob ihr die Toͤne,
Die ſonſt ſo lieblich, rein und ſchoͤne,
Aus ſelben zwingen koͤnnt?
Jhr werdet nichts aus ihm, als Diſſonantzen bringen,
Die wunderlich und elend klingen.
So, wenn der Leib verſtimmt, die Nerven nachgelaſſen,
Wie koͤnnen ſie ſodann den Ton behalten,
Wie kann denn das Gehirn was anders faſſen,
Als ungeformt’ und ſeltſame Geſtalten,
Die ſonder Harmonie, und nicht zuſammen hangen.
Wie aber, und warum wir eben die Jdeen
Und and’re nicht an deren Stelle ſehen;
Warum ſo leicht die, welche laͤngſt vergangen,
Als unlaͤngſt erſt geſehne Bilder kommen;
Ob ſie, als wie ein Schall,
Der durch den Wiederhall
Zuruͤcke kehrt, von uns vernommen,
Und ſo gehoͤret wird, wie ihn der Mund gebohren,
Ob er ſich gleich ſchon eine Zeit verlohren;
Ob, ſag’ ich, etwan auch auf gleiche Weiſe,
Die Bilder, die nicht mehr zu ſehen,
An ſtatt vollkommen zu vergehen,
Noch bleiben, und zuruͤcke kehren;
Jſt nicht ſo leichte zu erklaͤren.
Nicht minder, ob und wie ſo Seel und Geiſt,
Bey
U u 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0711" n="681"/>
            <l>Und Bilder, die den Augenblick vergehn,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ie &#x017F;ich kaum zu bilden angefangen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Man kann jedoch noch ziemlich deutlich machen,</l><lb/>
            <l>Woher &#x017F;o wunderlich verworr&#x2019;ne Sachen</l><lb/>
            <l>Jm Traum uns vorge&#x017F;tellet &#x017F;eyn.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Ver&#x017F;timmet ein&#x017F;t ein Jn&#x017F;trument,</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;ucht &#x017F;odenn, ob ihr die To&#x0364;ne,</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o lieblich, rein und &#x017F;cho&#x0364;ne,</l><lb/>
            <l>Aus &#x017F;elben zwingen ko&#x0364;nnt?</l><lb/>
            <l>Jhr werdet nichts aus ihm, als Di&#x017F;&#x017F;onantzen bringen,</l><lb/>
            <l>Die wunderlich und elend klingen.</l><lb/>
            <l>So, wenn der Leib ver&#x017F;timmt, die Nerven nachgela&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Wie ko&#x0364;nnen &#x017F;ie &#x017F;odann den Ton behalten,</l><lb/>
            <l>Wie kann denn das Gehirn was anders fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Als ungeformt&#x2019; und &#x017F;elt&#x017F;ame Ge&#x017F;talten,</l><lb/>
            <l>Die &#x017F;onder Harmonie, und nicht zu&#x017F;ammen hangen.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Wie aber, und warum wir eben die Jdeen</l><lb/>
            <l>Und and&#x2019;re nicht an deren Stelle &#x017F;ehen;</l><lb/>
            <l>Warum &#x017F;o leicht die, welche la&#x0364;ng&#x017F;t vergangen,</l><lb/>
            <l>Als unla&#x0364;ng&#x017F;t er&#x017F;t ge&#x017F;ehne Bilder kommen;</l><lb/>
            <l>Ob &#x017F;ie, als wie ein Schall,</l><lb/>
            <l>Der durch den Wiederhall</l><lb/>
            <l>Zuru&#x0364;cke kehrt, von uns vernommen,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;o geho&#x0364;ret wird, wie ihn der Mund gebohren,</l><lb/>
            <l>Ob er &#x017F;ich gleich &#x017F;chon eine Zeit verlohren;</l><lb/>
            <l>Ob, &#x017F;ag&#x2019; ich, etwan auch auf gleiche Wei&#x017F;e,</l><lb/>
            <l>Die Bilder, die nicht mehr zu &#x017F;ehen,</l><lb/>
            <l>An &#x017F;tatt vollkommen zu vergehen,</l><lb/>
            <l>Noch bleiben, und zuru&#x0364;cke kehren;</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t nicht &#x017F;o leichte zu erkla&#x0364;ren.</l><lb/>
            <l>Nicht minder, ob und wie &#x017F;o Seel und Gei&#x017F;t,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">U u 5</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Bey</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[681/0711] Und Bilder, die den Augenblick vergehn, Da ſie ſich kaum zu bilden angefangen. Man kann jedoch noch ziemlich deutlich machen, Woher ſo wunderlich verworr’ne Sachen Jm Traum uns vorgeſtellet ſeyn. Verſtimmet einſt ein Jnſtrument, Verſucht ſodenn, ob ihr die Toͤne, Die ſonſt ſo lieblich, rein und ſchoͤne, Aus ſelben zwingen koͤnnt? Jhr werdet nichts aus ihm, als Diſſonantzen bringen, Die wunderlich und elend klingen. So, wenn der Leib verſtimmt, die Nerven nachgelaſſen, Wie koͤnnen ſie ſodann den Ton behalten, Wie kann denn das Gehirn was anders faſſen, Als ungeformt’ und ſeltſame Geſtalten, Die ſonder Harmonie, und nicht zuſammen hangen. Wie aber, und warum wir eben die Jdeen Und and’re nicht an deren Stelle ſehen; Warum ſo leicht die, welche laͤngſt vergangen, Als unlaͤngſt erſt geſehne Bilder kommen; Ob ſie, als wie ein Schall, Der durch den Wiederhall Zuruͤcke kehrt, von uns vernommen, Und ſo gehoͤret wird, wie ihn der Mund gebohren, Ob er ſich gleich ſchon eine Zeit verlohren; Ob, ſag’ ich, etwan auch auf gleiche Weiſe, Die Bilder, die nicht mehr zu ſehen, An ſtatt vollkommen zu vergehen, Noch bleiben, und zuruͤcke kehren; Jſt nicht ſo leichte zu erklaͤren. Nicht minder, ob und wie ſo Seel und Geiſt, Bey U u 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/711
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 681. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/711>, abgerufen am 24.11.2024.