Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Ja allenthalben hat der Weinstock viel gebracht,
So daß man gar in Hamburg Wein gemacht.
Wie wolfeil war das Fleisch, sowol was zahm, als wild:
Man konnte Ochsen-Fleisch um wenig Pfennig' heuer,
Und ein Pfund Schweine-Fleisch um eben so viel kauffen,
War mit Geflügel nicht die Lufft so sehr erfüllt?
Von Srammets-Vögeln galt ein Hauffen
Von zwantzig Stück, zwey Groschen und zwey Dreyer.
Es spreche jeder denn mit brünstigen Gemüthe,
Wie theur, O GOTT, ist Deine Güte!
Was hat nicht jeder Guts in seinem Haus erhalten!
Wenn recht als wie ein Seegens-Guß
Gesundheit, Nahrung, Ueberfluß,
So wol den Jungen, als den Alten,
Sich reichlich mitgetheilt; so huldreich zugewandt;
Es zählt es keine Zung, es fasst es kein Verstand.
Wie mancher schloß ohn Unmuht, sonder Quaal,
Drey hundert fünf und sechzig mal
Die, mit dem süssen Schlaf erfüllten Augen-Lieder,
Des Abends sanffte zu, und öffnete sie wieder
Des Morgens ja so offt. Wie mancher hat nicht minder
Dergleichen Glück erlebt, daß jedes seiner Kinder
Jm abgewichnen Jahr, mehr als vier tausend Stunden
Dergleichen Glück, nur bloß im Schlaf, empfunden:
Ohn mehr, als noch so viel, die mancher ohn Verdruß
(Wofern er den ihm selber nicht gemacht)
Jm Wachen vor'ges Jahr behalten, zugebracht.
Ach GOTT! so viel Secunden und Minuten,
Als im verwichnen Jahr gewesen und verflossen,
So viele Quellen auch von tausendfachem Guten,
So, nebst den Meinigen, auch ich genossen,
So
Ja allenthalben hat der Weinſtock viel gebracht,
So daß man gar in Hamburg Wein gemacht.
Wie wolfeil war das Fleiſch, ſowol was zahm, als wild:
Man konnte Ochſen-Fleiſch um wenig Pfennig’ heuer,
Und ein Pfund Schweine-Fleiſch um eben ſo viel kauffen,
War mit Gefluͤgel nicht die Lufft ſo ſehr erfuͤllt?
Von Srammets-Voͤgeln galt ein Hauffen
Von zwantzig Stuͤck, zwey Groſchen und zwey Dreyer.
Es ſpreche jeder denn mit bruͤnſtigen Gemuͤthe,
Wie theur, O GOTT, iſt Deine Guͤte!
Was hat nicht jeder Guts in ſeinem Haus erhalten!
Wenn recht als wie ein Seegens-Guß
Geſundheit, Nahrung, Ueberfluß,
So wol den Jungen, als den Alten,
Sich reichlich mitgetheilt; ſo huldreich zugewandt;
Es zaͤhlt es keine Zung, es faſſt es kein Verſtand.
Wie mancher ſchloß ohn Unmuht, ſonder Quaal,
Drey hundert fuͤnf und ſechzig mal
Die, mit dem ſuͤſſen Schlaf erfuͤllten Augen-Lieder,
Des Abends ſanffte zu, und oͤffnete ſie wieder
Des Morgens ja ſo offt. Wie mancher hat nicht minder
Dergleichen Gluͤck erlebt, daß jedes ſeiner Kinder
Jm abgewichnen Jahr, mehr als vier tauſend Stunden
Dergleichen Gluͤck, nur bloß im Schlaf, empfunden:
Ohn mehr, als noch ſo viel, die mancher ohn Verdruß
(Wofern er den ihm ſelber nicht gemacht)
Jm Wachen vor’ges Jahr behalten, zugebracht.
Ach GOTT! ſo viel Secunden und Minuten,
Als im verwichnen Jahr geweſen und verfloſſen,
So viele Quellen auch von tauſendfachem Guten,
So, nebſt den Meinigen, auch ich genoſſen,
So
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0716" n="686"/>
            <l>Ja allenthalben hat der Wein&#x017F;tock viel gebracht,</l><lb/>
            <l>So daß man gar in Hamburg Wein gemacht.</l><lb/>
            <l>Wie wolfeil war das Flei&#x017F;ch, &#x017F;owol was zahm, als wild:</l><lb/>
            <l>Man konnte Och&#x017F;en-Flei&#x017F;ch um wenig Pfennig&#x2019; heuer,</l><lb/>
            <l>Und ein Pfund Schweine-Flei&#x017F;ch um eben &#x017F;o viel kauffen,</l><lb/>
            <l>War mit Geflu&#x0364;gel nicht die Lufft &#x017F;o &#x017F;ehr erfu&#x0364;llt?</l><lb/>
            <l>Von Srammets-Vo&#x0364;geln galt ein Hauffen</l><lb/>
            <l>Von zwantzig Stu&#x0364;ck, zwey Gro&#x017F;chen und zwey Dreyer.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Es &#x017F;preche jeder denn mit bru&#x0364;n&#x017F;tigen Gemu&#x0364;the,</l><lb/>
            <l>Wie theur, O GOTT, i&#x017F;t Deine Gu&#x0364;te!</l><lb/>
            <l>Was hat nicht jeder Guts in &#x017F;einem Haus erhalten!</l><lb/>
            <l>Wenn recht als wie ein Seegens-Guß</l><lb/>
            <l>Ge&#x017F;undheit, Nahrung, Ueberfluß,</l><lb/>
            <l>So wol den Jungen, als den Alten,</l><lb/>
            <l>Sich reichlich mitgetheilt; &#x017F;o huldreich zugewandt;</l><lb/>
            <l>Es za&#x0364;hlt es keine Zung, es fa&#x017F;&#x017F;t es kein Ver&#x017F;tand.</l><lb/>
            <l>Wie mancher &#x017F;chloß ohn Unmuht, &#x017F;onder Quaal,</l><lb/>
            <l>Drey hundert fu&#x0364;nf und &#x017F;echzig mal</l><lb/>
            <l>Die, mit dem &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Schlaf erfu&#x0364;llten Augen-Lieder,</l><lb/>
            <l>Des Abends &#x017F;anffte zu, und o&#x0364;ffnete &#x017F;ie wieder</l><lb/>
            <l>Des Morgens ja &#x017F;o offt. Wie mancher hat nicht minder</l><lb/>
            <l>Dergleichen Glu&#x0364;ck erlebt, daß jedes &#x017F;einer Kinder</l><lb/>
            <l>Jm abgewichnen Jahr, mehr als vier tau&#x017F;end Stunden</l><lb/>
            <l>Dergleichen Glu&#x0364;ck, nur bloß im Schlaf, empfunden:</l><lb/>
            <l>Ohn mehr, als noch &#x017F;o viel, die mancher ohn Verdruß</l><lb/>
            <l>(Wofern er den ihm &#x017F;elber nicht gemacht)</l><lb/>
            <l>Jm Wachen vor&#x2019;ges Jahr behalten, zugebracht.</l>
          </lg><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Ach GOTT! &#x017F;o viel Secunden und Minuten,</l><lb/>
            <l>Als im verwichnen Jahr gewe&#x017F;en und verflo&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>So viele Quellen auch von tau&#x017F;endfachem Guten,</l><lb/>
            <l>So, neb&#x017F;t den Meinigen, auch ich geno&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[686/0716] Ja allenthalben hat der Weinſtock viel gebracht, So daß man gar in Hamburg Wein gemacht. Wie wolfeil war das Fleiſch, ſowol was zahm, als wild: Man konnte Ochſen-Fleiſch um wenig Pfennig’ heuer, Und ein Pfund Schweine-Fleiſch um eben ſo viel kauffen, War mit Gefluͤgel nicht die Lufft ſo ſehr erfuͤllt? Von Srammets-Voͤgeln galt ein Hauffen Von zwantzig Stuͤck, zwey Groſchen und zwey Dreyer. Es ſpreche jeder denn mit bruͤnſtigen Gemuͤthe, Wie theur, O GOTT, iſt Deine Guͤte! Was hat nicht jeder Guts in ſeinem Haus erhalten! Wenn recht als wie ein Seegens-Guß Geſundheit, Nahrung, Ueberfluß, So wol den Jungen, als den Alten, Sich reichlich mitgetheilt; ſo huldreich zugewandt; Es zaͤhlt es keine Zung, es faſſt es kein Verſtand. Wie mancher ſchloß ohn Unmuht, ſonder Quaal, Drey hundert fuͤnf und ſechzig mal Die, mit dem ſuͤſſen Schlaf erfuͤllten Augen-Lieder, Des Abends ſanffte zu, und oͤffnete ſie wieder Des Morgens ja ſo offt. Wie mancher hat nicht minder Dergleichen Gluͤck erlebt, daß jedes ſeiner Kinder Jm abgewichnen Jahr, mehr als vier tauſend Stunden Dergleichen Gluͤck, nur bloß im Schlaf, empfunden: Ohn mehr, als noch ſo viel, die mancher ohn Verdruß (Wofern er den ihm ſelber nicht gemacht) Jm Wachen vor’ges Jahr behalten, zugebracht. Ach GOTT! ſo viel Secunden und Minuten, Als im verwichnen Jahr geweſen und verfloſſen, So viele Quellen auch von tauſendfachem Guten, So, nebſt den Meinigen, auch ich genoſſen, So

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/716
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/716>, abgerufen am 14.05.2024.