Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.Rothe Glas-Scheibe. Himmel, Wolcken, Thier' und Menschen, alle Vorwürff', dieich sah Fern und nah, Waren alle, wie Rubinen, feurig, doch nicht minder schön, Als vorhero, anzusehn. Ob mich die Verändrung nun gleich im Anfang sehr ergetzte, Und, für lieblicher Verwirrung, gleichsam aus mir selber setzte; Fiel mir dennoch, voll Erstaunen, mitten in der Freude, bey, Wie dieß eine grosse Probe irdscher Ungewißheit sey. Was sind eigentlich die Farben? sind sie etwas? sind sie nichts? Jst was wesentlichs in ihnen? oder sind sie bloß allein Eine leere Phantasey, nur ein Blendwerck, bloß ein Schein, Der nichts wircklichs an sich hat, bloß Verändrungen des Lichts? Jst das Grüne denn nicht grün? sind die Bluhmen denn nicht bunt? Kann ein Umstand, der so klein, Auszurichten fähig seyn, Daß der gantze Kreis der Welt anders scheinet, anders wird? Denn wer weiß, ob unser Auge sich bishero nicht geirrt. Hätten wir ein rothes Häutchen in den Augen überkommen, Hätte ja für uns die Welt andre Farben angenommen, Und wer weiß, ob in den Cörpern, welche wir Planeten nennen, Nicht dergleichen den Geschöpfen zugeordnet werden können, Daß denselben alle Vorwürff' anders, als sie wircklich, schei- nen, Und, durch ein gefärbtes Auge, sie, von Cörpern, bald vermeinen, Daß sie roth, dort, daß sie blau, da sie doch von allem nichts, Und nur blos ein falsches Blendwerck eines irrenden Gesichts. Die-
Rothe Glas-Scheibe. Himmel, Wolcken, Thier’ und Menſchen, alle Vorwuͤrff’, dieich ſah Fern und nah, Waren alle, wie Rubinen, feurig, doch nicht minder ſchoͤn, Als vorhero, anzuſehn. Ob mich die Veraͤndrung nun gleich im Anfang ſehr ergetzte, Und, fuͤr lieblicher Verwirrung, gleichſam aus mir ſelber ſetzte; Fiel mir dennoch, voll Erſtaunen, mitten in der Freude, bey, Wie dieß eine groſſe Probe irdſcher Ungewißheit ſey. Was ſind eigentlich die Farben? ſind ſie etwas? ſind ſie nichts? Jſt was weſentlichs in ihnen? oder ſind ſie bloß allein Eine leere Phantaſey, nur ein Blendwerck, bloß ein Schein, Der nichts wircklichs an ſich hat, bloß Veraͤndrungen des Lichts? Jſt das Gruͤne denn nicht gruͤn? ſind die Bluhmen denn nicht bunt? Kann ein Umſtand, der ſo klein, Auszurichten faͤhig ſeyn, Daß der gantze Kreis der Welt anders ſcheinet, anders wird? Denn wer weiß, ob unſer Auge ſich bishero nicht geirrt. Haͤtten wir ein rothes Haͤutchen in den Augen uͤberkom̃en, Haͤtte ja fuͤr uns die Welt andre Farben angenommen, Und wer weiß, ob in den Coͤrpern, welche wir Planeten nennen, Nicht dergleichen den Geſchoͤpfen zugeordnet werden koͤnnen, Daß denſelben alle Vorwuͤrff’ anders, als ſie wircklich, ſchei- nen, Und, durch ein gefaͤrbtes Auge, ſie, von Coͤrpern, bald vermeinẽ, Daß ſie roth, dort, daß ſie blau, da ſie doch von allem nichts, Und nur blos ein falſches Blendwerck eines irrenden Geſichts. Die-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="3"> <pb facs="#f0238" n="206"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Rothe Glas-Scheibe.</hi> </fw><lb/> <l>Himmel, Wolcken, Thier’ und Menſchen, alle Vorwuͤrff’, die<lb/><hi rendition="#et">ich ſah</hi></l><lb/> <l>Fern und nah,</l><lb/> <l>Waren alle, wie Rubinen, feurig, doch nicht minder ſchoͤn,</l><lb/> <l>Als vorhero, anzuſehn.</l><lb/> <l>Ob mich die Veraͤndrung nun gleich im Anfang ſehr ergetzte,</l><lb/> <l>Und, fuͤr lieblicher Verwirrung, gleichſam aus mir ſelber<lb/><hi rendition="#et">ſetzte;</hi></l><lb/> <l>Fiel mir dennoch, voll Erſtaunen, mitten in der Freude, bey,</l><lb/> <l>Wie dieß eine groſſe Probe irdſcher Ungewißheit ſey.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Was ſind eigentlich die Farben? ſind ſie etwas? ſind ſie<lb/><hi rendition="#et">nichts?</hi></l><lb/> <l>Jſt was weſentlichs in ihnen? oder ſind ſie bloß allein</l><lb/> <l>Eine leere Phantaſey, nur ein Blendwerck, bloß ein Schein,</l><lb/> <l>Der nichts wircklichs an ſich hat, bloß Veraͤndrungen des<lb/><hi rendition="#et">Lichts?</hi></l><lb/> <l>Jſt das Gruͤne denn nicht gruͤn? ſind die Bluhmen denn nicht<lb/><hi rendition="#et">bunt?</hi></l><lb/> <l>Kann ein Umſtand, der ſo klein,</l><lb/> <l>Auszurichten faͤhig ſeyn,</l><lb/> <l>Daß der gantze Kreis der Welt anders ſcheinet, anders wird?</l><lb/> <l>Denn wer weiß, ob unſer Auge ſich bishero nicht geirrt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Haͤtten wir ein rothes Haͤutchen in den Augen uͤberkom̃en,</l><lb/> <l>Haͤtte ja fuͤr uns die Welt andre Farben angenommen,</l><lb/> <l>Und wer weiß, ob in den Coͤrpern, welche wir Planeten<lb/><hi rendition="#et">nennen,</hi></l><lb/> <l>Nicht dergleichen den Geſchoͤpfen zugeordnet werden koͤnnen,</l><lb/> <l>Daß denſelben alle Vorwuͤrff’ anders, als ſie wircklich, ſchei-<lb/><hi rendition="#et">nen,</hi></l><lb/> <l>Und, durch ein gefaͤrbtes Auge, ſie, von Coͤrpern, bald vermeinẽ,</l><lb/> <l>Daß ſie roth, dort, daß ſie blau, da ſie doch von allem nichts,</l><lb/> <l>Und nur blos ein falſches Blendwerck eines irrenden Geſichts.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die-</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [206/0238]
Rothe Glas-Scheibe.
Himmel, Wolcken, Thier’ und Menſchen, alle Vorwuͤrff’, die
ich ſah
Fern und nah,
Waren alle, wie Rubinen, feurig, doch nicht minder ſchoͤn,
Als vorhero, anzuſehn.
Ob mich die Veraͤndrung nun gleich im Anfang ſehr ergetzte,
Und, fuͤr lieblicher Verwirrung, gleichſam aus mir ſelber
ſetzte;
Fiel mir dennoch, voll Erſtaunen, mitten in der Freude, bey,
Wie dieß eine groſſe Probe irdſcher Ungewißheit ſey.
Was ſind eigentlich die Farben? ſind ſie etwas? ſind ſie
nichts?
Jſt was weſentlichs in ihnen? oder ſind ſie bloß allein
Eine leere Phantaſey, nur ein Blendwerck, bloß ein Schein,
Der nichts wircklichs an ſich hat, bloß Veraͤndrungen des
Lichts?
Jſt das Gruͤne denn nicht gruͤn? ſind die Bluhmen denn nicht
bunt?
Kann ein Umſtand, der ſo klein,
Auszurichten faͤhig ſeyn,
Daß der gantze Kreis der Welt anders ſcheinet, anders wird?
Denn wer weiß, ob unſer Auge ſich bishero nicht geirrt.
Haͤtten wir ein rothes Haͤutchen in den Augen uͤberkom̃en,
Haͤtte ja fuͤr uns die Welt andre Farben angenommen,
Und wer weiß, ob in den Coͤrpern, welche wir Planeten
nennen,
Nicht dergleichen den Geſchoͤpfen zugeordnet werden koͤnnen,
Daß denſelben alle Vorwuͤrff’ anders, als ſie wircklich, ſchei-
nen,
Und, durch ein gefaͤrbtes Auge, ſie, von Coͤrpern, bald vermeinẽ,
Daß ſie roth, dort, daß ſie blau, da ſie doch von allem nichts,
Und nur blos ein falſches Blendwerck eines irrenden Geſichts.
Die-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |