Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

Neu-Jahrs-Gedicht.

Da ich die Würdigkeit des Geists erwegen kann,
Die Unermeßlichkeit von deiner Weißheit, an;
Ja noch vielmehr die Zärtlichkeit der Liebe,
Da du, o Liebe! bloß aus Liebe,
Den Creaturen Lust und Seeligkeit zu schencken,
Sie fähig machest, zu gedencken.

Je mehr ich dieß bedenck', und ihre Krafft erwege,
Je mehr ich recht, was Geist, was Seelen, überlege,
Je mehr ich herrliches in Geistern finden kann;
Je majestätischer treff ich die Gottheit an.
Drüm lasst uns, GOTT zum Ruhm, den Vorwurff weiter
treiben,

Und von dem Wesen selbst des Geists noch etwas schreiben.
Unser Geist, wie sehr er gleich mit der Cörper Stoff
vereinet,

So daß er sich gar mit ihm gleichsam zu vermischen scheinet,
Jst dennoch von solchem Vorzug, solchem Adel, solcher Krafft,
Solcher wunderbaren Höhe, und von solcher Eigenschaft,
Die vom Stoff sich unterscheidet, daß, ie mehr man es be-
dencket,

Man dadurch selbst in den Geist aller Geister sich versencket.
Bilde dir, von einem Cörper, Theilchen, welche noch
so klein,

Noch so dünne noch so zart, ja die kaum noch Cörper, ein:
Sollten sie dadurch zum dencken wol geschickt und fähig seyn?
Laß den Stoff sich durch Gedancken noch so sehr verkleinern
lassen;

Kann er darüm überlegen? kann er lieben? kann er
hassen?
Kann

Neu-Jahrs-Gedicht.

Da ich die Wuͤrdigkeit des Geiſts erwegen kann,
Die Unermeßlichkeit von deiner Weißheit, an;
Ja noch vielmehr die Zaͤrtlichkeit der Liebe,
Da du, o Liebe! bloß aus Liebe,
Den Creaturen Luſt und Seeligkeit zu ſchencken,
Sie faͤhig macheſt, zu gedencken.

Je mehr ich dieß bedenck’, und ihre Krafft erwege,
Je mehr ich recht, was Geiſt, was Seelen, uͤberlege,
Je mehr ich herrliches in Geiſtern finden kann;
Je majeſtaͤtiſcher treff ich die Gottheit an.
Druͤm laſſt uns, GOTT zum Ruhm, den Vorwurff weiter
treiben,

Und von dem Weſen ſelbſt des Geiſts noch etwas ſchreiben.
Unſer Geiſt, wie ſehr er gleich mit der Coͤrper Stoff
vereinet,

So daß er ſich gar mit ihm gleichſam zu vermiſchen ſcheinet,
Jſt dennoch von ſolchem Vorzug, ſolchem Adel, ſolcher Krafft,
Solcher wunderbaren Hoͤhe, und von ſolcher Eigenſchaft,
Die vom Stoff ſich unterſcheidet, daß, ie mehr man es be-
dencket,

Man dadurch ſelbſt in den Geiſt aller Geiſter ſich verſencket.
Bilde dir, von einem Coͤrper, Theilchen, welche noch
ſo klein,

Noch ſo duͤnne noch ſo zart, ja die kaum noch Coͤrper, ein:
Sollten ſie dadurch zum dencken wol geſchickt und faͤhig ſeyn?
Laß den Stoff ſich durch Gedancken noch ſo ſehr verkleinern
laſſen;

Kann er daruͤm uͤberlegen? kann er lieben? kann er
haſſen?
Kann
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="41">
              <l>
                <pb facs="#f0506" n="474"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs-Gedicht.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Da ich die Wu&#x0364;rdigkeit des Gei&#x017F;ts erwegen kann,</l><lb/>
              <l>Die Unermeßlichkeit von deiner Weißheit, an;</l><lb/>
              <l>Ja noch vielmehr die Za&#x0364;rtlichkeit der Liebe,</l><lb/>
              <l>Da du, o Liebe! bloß aus Liebe,</l><lb/>
              <l>Den Creaturen Lu&#x017F;t und Seeligkeit zu &#x017F;chencken,</l><lb/>
              <l>Sie fa&#x0364;hig mache&#x017F;t, zu gedencken.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="42">
              <l>Je mehr ich dieß bedenck&#x2019;, und ihre Krafft erwege,</l><lb/>
              <l>Je mehr ich recht, was Gei&#x017F;t, was Seelen, u&#x0364;berlege,</l><lb/>
              <l>Je mehr ich herrliches in Gei&#x017F;tern finden kann;</l><lb/>
              <l>Je maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;cher treff ich die Gottheit an.</l><lb/>
              <l>Dru&#x0364;m la&#x017F;&#x017F;t uns, GOTT zum Ruhm, den Vorwurff weiter<lb/><hi rendition="#et">treiben,</hi></l><lb/>
              <l>Und von dem We&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t des Gei&#x017F;ts noch etwas &#x017F;chreiben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="43">
              <l>Un&#x017F;er Gei&#x017F;t, wie &#x017F;ehr er gleich mit der Co&#x0364;rper Stoff<lb/><hi rendition="#et">vereinet,</hi></l><lb/>
              <l>So daß er &#x017F;ich gar mit ihm gleich&#x017F;am zu vermi&#x017F;chen &#x017F;cheinet,</l><lb/>
              <l>J&#x017F;t dennoch von &#x017F;olchem Vorzug, &#x017F;olchem Adel, &#x017F;olcher Krafft,</l><lb/>
              <l>Solcher wunderbaren Ho&#x0364;he, und von &#x017F;olcher Eigen&#x017F;chaft,</l><lb/>
              <l>Die vom Stoff &#x017F;ich unter&#x017F;cheidet, daß, ie mehr man es be-<lb/><hi rendition="#et">dencket,</hi></l><lb/>
              <l>Man dadurch &#x017F;elb&#x017F;t in den Gei&#x017F;t aller Gei&#x017F;ter &#x017F;ich ver&#x017F;encket.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="44">
              <l>Bilde dir, von einem Co&#x0364;rper, Theilchen, welche noch<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;o klein,</hi></l><lb/>
              <l>Noch &#x017F;o du&#x0364;nne noch &#x017F;o zart, ja die kaum noch Co&#x0364;rper, ein:</l><lb/>
              <l>Sollten &#x017F;ie dadurch zum dencken wol ge&#x017F;chickt und fa&#x0364;hig &#x017F;eyn?</l><lb/>
              <l>Laß den Stoff &#x017F;ich durch Gedancken noch &#x017F;o &#x017F;ehr verkleinern<lb/><hi rendition="#et">la&#x017F;&#x017F;en;</hi></l><lb/>
              <l>Kann er daru&#x0364;m u&#x0364;berlegen? kann er lieben? kann er<lb/><hi rendition="#et">ha&#x017F;&#x017F;en?</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Kann</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0506] Neu-Jahrs-Gedicht. Da ich die Wuͤrdigkeit des Geiſts erwegen kann, Die Unermeßlichkeit von deiner Weißheit, an; Ja noch vielmehr die Zaͤrtlichkeit der Liebe, Da du, o Liebe! bloß aus Liebe, Den Creaturen Luſt und Seeligkeit zu ſchencken, Sie faͤhig macheſt, zu gedencken. Je mehr ich dieß bedenck’, und ihre Krafft erwege, Je mehr ich recht, was Geiſt, was Seelen, uͤberlege, Je mehr ich herrliches in Geiſtern finden kann; Je majeſtaͤtiſcher treff ich die Gottheit an. Druͤm laſſt uns, GOTT zum Ruhm, den Vorwurff weiter treiben, Und von dem Weſen ſelbſt des Geiſts noch etwas ſchreiben. Unſer Geiſt, wie ſehr er gleich mit der Coͤrper Stoff vereinet, So daß er ſich gar mit ihm gleichſam zu vermiſchen ſcheinet, Jſt dennoch von ſolchem Vorzug, ſolchem Adel, ſolcher Krafft, Solcher wunderbaren Hoͤhe, und von ſolcher Eigenſchaft, Die vom Stoff ſich unterſcheidet, daß, ie mehr man es be- dencket, Man dadurch ſelbſt in den Geiſt aller Geiſter ſich verſencket. Bilde dir, von einem Coͤrper, Theilchen, welche noch ſo klein, Noch ſo duͤnne noch ſo zart, ja die kaum noch Coͤrper, ein: Sollten ſie dadurch zum dencken wol geſchickt und faͤhig ſeyn? Laß den Stoff ſich durch Gedancken noch ſo ſehr verkleinern laſſen; Kann er daruͤm uͤberlegen? kann er lieben? kann er haſſen? Kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/506
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/506>, abgerufen am 31.10.2024.