Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.
Ja wir wissen daß der Vorzug unsers Geists noch weiter geht, Und daß aller Cörper Schönheit blos allein im Geist besteht. Aller Sinnen Kräffte, Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken, Sind in unsrer Seel allein, nicht in Cörpern zu entdecken. Selbst das Wesen aller Farben, ja noch mehr, so gar das Licht, Hafften blos an unsern Seelen, liegen in dem Cörper nicht; Ja, so wenig, als wenn iemand von der Laute dencken wollte, Daß sie vor dem süssen Thon' und der holden Melodey Der durch Kunst erregten Seiten, fühlend und empfindlich sey, Und sich an der Lieblichkeit ihres Klangs vergnügen sollte; Werden wir so Licht als Farben von der Seelen Wesen trennen, Und, daß sie den Cörpern eigen, mit Bestand erweisen können. Wie der treffliche Genest diese ungemeine Wahrheit, Mit unwiedersprechlicher überzeuglich heller Klarheit, Uns in seinem Buche zeigt. Aber lasst uns weiter gehen! Wir haben an des Himmels Bogen Des Schöpfers Gröss', in Seinen grossen Wercken, Erstaunet angesehn, betrachtet und erwogen. Wenn wir nun auch, mit gleichem Fleiß, bemercken Die
Ja wir wiſſen daß der Vorzug unſers Geiſts noch weiter geht, Und daß aller Coͤrper Schoͤnheit blos allein im Geiſt beſteht. Aller Sinnen Kraͤffte, Sehen, Hoͤren, Riechen, Fuͤhlen, Schmecken, Sind in unſrer Seel allein, nicht in Coͤrpern zu entdecken. Selbſt das Weſen aller Farben, ja noch mehr, ſo gar das Licht, Hafften blos an unſern Seelen, liegen in dem Coͤrper nicht; Ja, ſo wenig, als wenn iemand von der Laute dencken wollte, Daß ſie vor dem ſuͤſſen Thon’ und der holden Melodey Der durch Kunſt erregten Seiten, fuͤhlend und empfindlich ſey, Und ſich an der Lieblichkeit ihres Klangs vergnuͤgen ſollte; Werden wir ſo Licht als Farben von der Seelen Weſen trennen, Und, daß ſie den Coͤrpern eigen, mit Beſtand erweiſen koͤnnen. Wie der treffliche Geneſt dieſe ungemeine Wahrheit, Mit unwiederſprechlicher uͤberzeuglich heller Klarheit, Uns in ſeinem Buche zeigt. Aber laſſt uns weiter gehen! Wir haben an des Himmels Bogen Des Schoͤpfers Groͤſſ’, in Seinen groſſen Wercken, Erſtaunet angeſehn, betrachtet und erwogen. Wenn wir nun auch, mit gleichem Fleiß, bemercken Die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="44"> <l> <pb facs="#f0507" n="475"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs-Gedicht.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Kann er ſich erinnern, ſinnen und erwegen? Stell ihn dir</l><lb/> <l>Spitzig, eckigt, lang und rund, unſicht-und unfuͤhlbar fuͤr;</l><lb/> <l>Rechn’ ihn ſelbſt zur Himmels-Lufft; mach ihn leicht, be-<lb/><hi rendition="#et">weglich, fluͤchtig;</hi></l><lb/> <l>Dennoch wird er nimmermehr, als ein Geiſt zu dencken<lb/><hi rendition="#et">tuͤchtig.</hi></l> </lg><lb/> <lg n="45"> <l>Ja wir wiſſen daß der Vorzug unſers Geiſts noch<lb/><hi rendition="#et">weiter geht,</hi></l><lb/> <l>Und daß aller Coͤrper Schoͤnheit blos allein im Geiſt beſteht.</l><lb/> <l>Aller Sinnen Kraͤffte, Sehen, Hoͤren, Riechen, Fuͤhlen,<lb/><hi rendition="#et">Schmecken,</hi></l><lb/> <l>Sind in unſrer Seel allein, nicht in Coͤrpern zu entdecken.</l><lb/> <l>Selbſt das Weſen aller Farben, ja noch mehr, ſo gar das<lb/><hi rendition="#et">Licht,</hi></l><lb/> <l>Hafften blos an unſern Seelen, liegen in dem Coͤrper nicht;</l><lb/> <l>Ja, ſo wenig, als wenn iemand von der Laute dencken wollte,</l><lb/> <l>Daß ſie vor dem ſuͤſſen Thon’ und der holden Melodey</l><lb/> <l>Der durch Kunſt erregten Seiten, fuͤhlend und empfindlich<lb/><hi rendition="#et">ſey,</hi></l><lb/> <l>Und ſich an der Lieblichkeit ihres Klangs vergnuͤgen ſollte;</l><lb/> <l>Werden wir ſo Licht als Farben von der Seelen Weſen<lb/><hi rendition="#et">trennen,</hi></l><lb/> <l>Und, daß ſie den Coͤrpern eigen, mit Beſtand erweiſen koͤnnen.</l><lb/> <l>Wie der treffliche <hi rendition="#aq">Geneſt</hi> dieſe ungemeine Wahrheit,</l><lb/> <l>Mit unwiederſprechlicher uͤberzeuglich heller Klarheit,</l><lb/> <l>Uns in ſeinem Buche zeigt. Aber laſſt uns weiter gehen!</l> </lg><lb/> <lg n="46"> <l>Wir haben an des Himmels Bogen</l><lb/> <l>Des Schoͤpfers Groͤſſ’, in Seinen groſſen Wercken,</l><lb/> <l>Erſtaunet angeſehn, betrachtet und erwogen.</l><lb/> <l>Wenn wir nun auch, mit gleichem Fleiß, bemercken<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [475/0507]
Neu-Jahrs-Gedicht.
Kann er ſich erinnern, ſinnen und erwegen? Stell ihn dir
Spitzig, eckigt, lang und rund, unſicht-und unfuͤhlbar fuͤr;
Rechn’ ihn ſelbſt zur Himmels-Lufft; mach ihn leicht, be-
weglich, fluͤchtig;
Dennoch wird er nimmermehr, als ein Geiſt zu dencken
tuͤchtig.
Ja wir wiſſen daß der Vorzug unſers Geiſts noch
weiter geht,
Und daß aller Coͤrper Schoͤnheit blos allein im Geiſt beſteht.
Aller Sinnen Kraͤffte, Sehen, Hoͤren, Riechen, Fuͤhlen,
Schmecken,
Sind in unſrer Seel allein, nicht in Coͤrpern zu entdecken.
Selbſt das Weſen aller Farben, ja noch mehr, ſo gar das
Licht,
Hafften blos an unſern Seelen, liegen in dem Coͤrper nicht;
Ja, ſo wenig, als wenn iemand von der Laute dencken wollte,
Daß ſie vor dem ſuͤſſen Thon’ und der holden Melodey
Der durch Kunſt erregten Seiten, fuͤhlend und empfindlich
ſey,
Und ſich an der Lieblichkeit ihres Klangs vergnuͤgen ſollte;
Werden wir ſo Licht als Farben von der Seelen Weſen
trennen,
Und, daß ſie den Coͤrpern eigen, mit Beſtand erweiſen koͤnnen.
Wie der treffliche Geneſt dieſe ungemeine Wahrheit,
Mit unwiederſprechlicher uͤberzeuglich heller Klarheit,
Uns in ſeinem Buche zeigt. Aber laſſt uns weiter gehen!
Wir haben an des Himmels Bogen
Des Schoͤpfers Groͤſſ’, in Seinen groſſen Wercken,
Erſtaunet angeſehn, betrachtet und erwogen.
Wenn wir nun auch, mit gleichem Fleiß, bemercken
Die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |