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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

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Neu-Jahrs Gedichte.

Von den Bewegungen nun, die wir hegen,
Sind ja die wenigsten in unsrer Seelen Macht.
Des Blutes Circkel-Lauff, des Magens rege Krafft,
Des Hertzens Druck und Eigenschaft,
Die Leber, das Gehirn, die Drüsen, sammt der Niere;
Was rühmt sich denn der Geist, daß er den Leibe regire,
Da ja das minste Theil von uns der Seelen Willen
Gehalten zu erfüllen.
Zwar müssen sich, nach ihrem Dencken,
Die Füsse, Bein' und Hände lencken,
Die Arme müssen sich, nach ihrem Winck, bewegen,
Auch Kieffer, Zung' und Mund. Die edlen Theil' hin-
gegen

Aus welchen selbst ihr Wol bestehet, wissen
Davon, daß sie dem Winck der Seelen folgen müssen,
Auch das geringste nicht; vielmehr
Verleihen sie dem Geist gar oft ein schlecht Gehör.
Ein schlechter Fürst, dem Bauren nur allein,
Und keine Stände sonst, gehorsahm seyn!
Hieraus nun scheinet dieß zu fliessen:
Daß unsre Seele kein so treflichs Wesen sey;
Jch kann unmüglich anders schliessen.

B.
Mit deinem Einwurff kommst du mir,
Geliebter Freund, als wie der Momus, für,
Der, eh' er uns vollkommen halten sollte;
Am Menschen Fenster haben wollte.
Du tadelst nicht, mit Recht, daß Pferde keine Flügel,
Daß keiner Nachtigall Gesang die heisern Raben,
Daß Schaafe keinen Stoltz, noch tapfre Sinnen haben;
Und lässest doch dem Hochmuth so den Zügel,
Daß
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Neu-Jahrs Gedichte.

Von den Bewegungen nun, die wir hegen,
Sind ja die wenigſten in unſrer Seelen Macht.
Des Blutes Circkel-Lauff, des Magens rege Krafft,
Des Hertzens Druck und Eigenſchaft,
Die Leber, das Gehirn, die Druͤſen, ſammt der Niere;
Was ruͤhmt ſich denn der Geiſt, daß er den Leibe regire,
Da ja das minſte Theil von uns der Seelen Willen
Gehalten zu erfuͤllen.
Zwar muͤſſen ſich, nach ihrem Dencken,
Die Fuͤſſe, Bein’ und Haͤnde lencken,
Die Arme muͤſſen ſich, nach ihrem Winck, bewegen,
Auch Kieffer, Zung’ und Mund. Die edlen Theil’ hin-
gegen

Aus welchen ſelbſt ihr Wol beſtehet, wiſſen
Davon, daß ſie dem Winck der Seelen folgen muͤſſen,
Auch das geringſte nicht; vielmehr
Verleihen ſie dem Geiſt gar oft ein ſchlecht Gehoͤr.
Ein ſchlechter Fuͤrſt, dem Bauren nur allein,
Und keine Staͤnde ſonſt, gehorſahm ſeyn!
Hieraus nun ſcheinet dieß zu flieſſen:
Daß unſre Seele kein ſo treflichs Weſen ſey;
Jch kann unmuͤglich anders ſchlieſſen.

B.
Mit deinem Einwurff kommſt du mir,
Geliebter Freund, als wie der Momus, fuͤr,
Der, eh’ er uns vollkommen halten ſollte;
Am Menſchen Fenſter haben wollte.
Du tadelſt nicht, mit Recht, daß Pferde keine Fluͤgel,
Daß keiner Nachtigall Geſang die heiſern Raben,
Daß Schaafe keinen Stoltz, noch tapfre Sinnen haben;
Und laͤſſeſt doch dem Hochmuth ſo den Zuͤgel,
Daß
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[441/0457] Neu-Jahrs Gedichte. Von den Bewegungen nun, die wir hegen, Sind ja die wenigſten in unſrer Seelen Macht. Des Blutes Circkel-Lauff, des Magens rege Krafft, Des Hertzens Druck und Eigenſchaft, Die Leber, das Gehirn, die Druͤſen, ſammt der Niere; Was ruͤhmt ſich denn der Geiſt, daß er den Leibe regire, Da ja das minſte Theil von uns der Seelen Willen Gehalten zu erfuͤllen. Zwar muͤſſen ſich, nach ihrem Dencken, Die Fuͤſſe, Bein’ und Haͤnde lencken, Die Arme muͤſſen ſich, nach ihrem Winck, bewegen, Auch Kieffer, Zung’ und Mund. Die edlen Theil’ hin- gegen Aus welchen ſelbſt ihr Wol beſtehet, wiſſen Davon, daß ſie dem Winck der Seelen folgen muͤſſen, Auch das geringſte nicht; vielmehr Verleihen ſie dem Geiſt gar oft ein ſchlecht Gehoͤr. Ein ſchlechter Fuͤrſt, dem Bauren nur allein, Und keine Staͤnde ſonſt, gehorſahm ſeyn! Hieraus nun ſcheinet dieß zu flieſſen: Daß unſre Seele kein ſo treflichs Weſen ſey; Jch kann unmuͤglich anders ſchlieſſen. B. Mit deinem Einwurff kommſt du mir, Geliebter Freund, als wie der Momus, fuͤr, Der, eh’ er uns vollkommen halten ſollte; Am Menſchen Fenſter haben wollte. Du tadelſt nicht, mit Recht, daß Pferde keine Fluͤgel, Daß keiner Nachtigall Geſang die heiſern Raben, Daß Schaafe keinen Stoltz, noch tapfre Sinnen haben; Und laͤſſeſt doch dem Hochmuth ſo den Zuͤgel, Daß E e 5

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/457>, abgerufen am 14.06.2024.