Jch kann, von deiner Zier und Farh, und deiner Balsam- Kraft, zu sprechen, O holdes Caprifolium, durch dich gerührt, mich nicht ent- brechen. Es bildete von fremdrer Form, von sonderlicherer Figur, Und von so schön gebrochnen Farben, die alles bildende Natur Fast kein so seltenes Gewächs. Aus einem Stengel, der zu- gleich Gerade, krumm, gestreckt und biegsam, halb grün, halb trucken, hart und weich, Daß er sich gleich um alles schrenkt, was er berührt, bald in die Höhe, Bald unter sich, bald seitenwerts, sich schlängelt, steiget, dreht und bieget, Um Stämme, Zweig und Laub sich schlingt, und oft entfernte Zweige füget, Bald hohe Gipfel übersteiget, Ja bald sich wieder unter sie hinab, bis zu der Wurzel, neiget, Und, recht als wie das Herz der Menschen, auf einmal Hoch- und Demuth zeiget.
Aus solchem Stengel wachsen Blätter, die dunkelgrün und lieblich-glatt, Wodurch das zierliche Gewächs ein recht besondres Ansehn hat. An vielen Orten drenget sich ein grün-sehr netter Knopf heraus,
Der
caprifolivm.
CAPRIFOLIVM.
Jch kann, von deiner Zier und Farh, und deiner Balſam- Kraft, zu ſprechen, O holdes Caprifolium, durch dich geruͤhrt, mich nicht ent- brechen. Es bildete von fremdrer Form, von ſonderlicherer Figur, Und von ſo ſchoͤn gebrochnen Farben, die alles bildende Natur Faſt kein ſo ſeltenes Gewaͤchs. Aus einem Stengel, der zu- gleich Gerade, krumm, geſtreckt und biegſam, halb gruͤn, halb trucken, hart und weich, Daß er ſich gleich um alles ſchrenkt, was er beruͤhrt, bald in die Hoͤhe, Bald unter ſich, bald ſeitenwerts, ſich ſchlaͤngelt, ſteiget, dreht und bieget, Um Staͤmme, Zweig und Laub ſich ſchlingt, und oft entfernte Zweige fuͤget, Bald hohe Gipfel uͤberſteiget, Ja bald ſich wieder unter ſie hinab, bis zu der Wurzel, neiget, Und, recht als wie das Herz der Menſchen, auf einmal Hoch- und Demuth zeiget.
Aus ſolchem Stengel wachſen Blaͤtter, die dunkelgruͤn und lieblich-glatt, Wodurch das zierliche Gewaͤchs ein recht beſondres Anſehn hat. An vielen Orten drenget ſich ein gruͤn-ſehr netter Knopf heraus,
Der
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0166"n="142"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">caprifolivm</hi>.</hi></hi></fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#aq"><hirendition="#g">CAPRIFOLIVM</hi>.</hi></head><lb/><lgn="22"><l><hirendition="#in">J</hi>ch kann, von deiner Zier und Farh, und deiner Balſam-<lb/><hirendition="#et">Kraft, zu ſprechen,</hi></l><lb/><l>O holdes <hirendition="#aq">Caprifolium,</hi> durch dich geruͤhrt, mich nicht ent-<lb/><hirendition="#et">brechen.</hi></l><lb/><l>Es bildete von fremdrer Form, von ſonderlicherer Figur,</l><lb/><l>Und von ſo ſchoͤn gebrochnen Farben, die alles bildende Natur</l><lb/><l>Faſt kein ſo ſeltenes Gewaͤchs. Aus einem Stengel, der zu-<lb/><hirendition="#et">gleich</hi></l><lb/><l>Gerade, krumm, geſtreckt und biegſam, halb gruͤn, halb trucken,<lb/><hirendition="#et">hart und weich,</hi></l><lb/><l>Daß er ſich gleich um alles ſchrenkt, was er beruͤhrt, bald in<lb/><hirendition="#et">die Hoͤhe,</hi></l><lb/><l>Bald unter ſich, bald ſeitenwerts, ſich ſchlaͤngelt, ſteiget, dreht<lb/><hirendition="#et">und bieget,</hi></l><lb/><l>Um Staͤmme, Zweig und Laub ſich ſchlingt, und oft entfernte<lb/><hirendition="#et">Zweige fuͤget,</hi></l><lb/><l>Bald hohe Gipfel uͤberſteiget,</l><lb/><l>Ja bald ſich wieder unter ſie hinab, bis zu der Wurzel, neiget,</l><lb/><l>Und, recht als wie das Herz der Menſchen, auf einmal Hoch-<lb/><hirendition="#et">und Demuth zeiget.</hi></l></lg><lb/><lgn="23"><l>Aus ſolchem Stengel wachſen Blaͤtter, die dunkelgruͤn und<lb/><hirendition="#et">lieblich-glatt,</hi></l><lb/><l>Wodurch das zierliche Gewaͤchs ein recht beſondres Anſehn<lb/><hirendition="#et">hat.</hi></l><lb/><l>An vielen Orten drenget ſich ein gruͤn-ſehr netter Knopf<lb/><hirendition="#et">heraus,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[142/0166]
caprifolivm.
CAPRIFOLIVM.
Jch kann, von deiner Zier und Farh, und deiner Balſam-
Kraft, zu ſprechen,
O holdes Caprifolium, durch dich geruͤhrt, mich nicht ent-
brechen.
Es bildete von fremdrer Form, von ſonderlicherer Figur,
Und von ſo ſchoͤn gebrochnen Farben, die alles bildende Natur
Faſt kein ſo ſeltenes Gewaͤchs. Aus einem Stengel, der zu-
gleich
Gerade, krumm, geſtreckt und biegſam, halb gruͤn, halb trucken,
hart und weich,
Daß er ſich gleich um alles ſchrenkt, was er beruͤhrt, bald in
die Hoͤhe,
Bald unter ſich, bald ſeitenwerts, ſich ſchlaͤngelt, ſteiget, dreht
und bieget,
Um Staͤmme, Zweig und Laub ſich ſchlingt, und oft entfernte
Zweige fuͤget,
Bald hohe Gipfel uͤberſteiget,
Ja bald ſich wieder unter ſie hinab, bis zu der Wurzel, neiget,
Und, recht als wie das Herz der Menſchen, auf einmal Hoch-
und Demuth zeiget.
Aus ſolchem Stengel wachſen Blaͤtter, die dunkelgruͤn und
lieblich-glatt,
Wodurch das zierliche Gewaͤchs ein recht beſondres Anſehn
hat.
An vielen Orten drenget ſich ein gruͤn-ſehr netter Knopf
heraus,
Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/166>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.