Der schöne Strand, der Grund, und wär er noch so schön, Wird überall nicht angesehn. Wir fühlen beyde die Beschwerden, Die wir uns, meistentheils umsonst, zu machen pflegen, Jn unserm eifrigen Bewegen, Das meist auf Wind und Tand, und nichts gericht, Für heftigen Begierden nicht, Die uns fast keine Ruhe gönnen.
Die meisten rennen, um zu rennen; Sie hindern sich einander, stoßen sich, Und fallen öfters beyde nieder. Wer liegt, der liegt; es lacht ein ieder, Der dieses sieht; man freut sich fast gemeinschaftlich, Und keiner denkt: Es lauret auch auf dich Vielleicht ein naher Fall. Die Klügsten weichen, Nicht Mächtigern allein, auch ihres gleichen, Mit schlauer Wendung, aus. Verschiedne wollen allen, Durch sonderbare Kunst, gefallen. Sie brauchen mehrern Platz. Von der, zu jener Seiten, Sieht man sie übermüthig gleiten; Sie wollen, mit verschiednen Zügen, Jns Eis ihr eignes Merkmaal schreiben, Und ihr Gedächtniß, mit Vergnügen, Dem grauen Marmor einverleiben, Das aber, mit dem eitlen Grunde, So bald ein Wind aus Süden weht, Ja öftermals in einer Stunde, Zerbricht, versinket und vergeht. Wobey sie, durch ihr übermüthigs Schweifen, Sie, die Gefahr zu fallen, stets noch häufen. Ein Strohhalm, eine Ritz, ein kleiner Stein, Kann ihnen, in dem flüchtgen Schweben,
Zum
N 5
Gedanken uͤber Schrittſchuhe.
Der ſchoͤne Strand, der Grund, und waͤr er noch ſo ſchoͤn, Wird uͤberall nicht angeſehn. Wir fuͤhlen beyde die Beſchwerden, Die wir uns, meiſtentheils umſonſt, zu machen pflegen, Jn unſerm eifrigen Bewegen, Das meiſt auf Wind und Tand, und nichts gericht, Fuͤr heftigen Begierden nicht, Die uns faſt keine Ruhe goͤnnen.
Die meiſten rennen, um zu rennen; Sie hindern ſich einander, ſtoßen ſich, Und fallen oͤfters beyde nieder. Wer liegt, der liegt; es lacht ein ieder, Der dieſes ſieht; man freut ſich faſt gemeinſchaftlich, Und keiner denkt: Es lauret auch auf dich Vielleicht ein naher Fall. Die Kluͤgſten weichen, Nicht Maͤchtigern allein, auch ihres gleichen, Mit ſchlauer Wendung, aus. Verſchiedne wollen allen, Durch ſonderbare Kunſt, gefallen. Sie brauchen mehrern Platz. Von der, zu jener Seiten, Sieht man ſie uͤbermuͤthig gleiten; Sie wollen, mit verſchiednen Zuͤgen, Jns Eis ihr eignes Merkmaal ſchreiben, Und ihr Gedaͤchtniß, mit Vergnuͤgen, Dem grauen Marmor einverleiben, Das aber, mit dem eitlen Grunde, So bald ein Wind aus Suͤden weht, Ja oͤftermals in einer Stunde, Zerbricht, verſinket und vergeht. Wobey ſie, durch ihr uͤbermuͤthigs Schweifen, Sie, die Gefahr zu fallen, ſtets noch haͤufen. Ein Strohhalm, eine Ritz, ein kleiner Stein, Kann ihnen, in dem fluͤchtgen Schweben,
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Gedanken uͤber Schrittſchuhe.
Der ſchoͤne Strand, der Grund, und waͤr er noch ſo ſchoͤn,
Wird uͤberall nicht angeſehn.
Wir fuͤhlen beyde die Beſchwerden,
Die wir uns, meiſtentheils umſonſt, zu machen pflegen,
Jn unſerm eifrigen Bewegen,
Das meiſt auf Wind und Tand, und nichts gericht,
Fuͤr heftigen Begierden nicht,
Die uns faſt keine Ruhe goͤnnen.
Die meiſten rennen, um zu rennen;
Sie hindern ſich einander, ſtoßen ſich,
Und fallen oͤfters beyde nieder.
Wer liegt, der liegt; es lacht ein ieder,
Der dieſes ſieht; man freut ſich faſt gemeinſchaftlich,
Und keiner denkt: Es lauret auch auf dich
Vielleicht ein naher Fall. Die Kluͤgſten weichen,
Nicht Maͤchtigern allein, auch ihres gleichen,
Mit ſchlauer Wendung, aus. Verſchiedne wollen allen,
Durch ſonderbare Kunſt, gefallen.
Sie brauchen mehrern Platz. Von der, zu jener Seiten,
Sieht man ſie uͤbermuͤthig gleiten;
Sie wollen, mit verſchiednen Zuͤgen,
Jns Eis ihr eignes Merkmaal ſchreiben,
Und ihr Gedaͤchtniß, mit Vergnuͤgen,
Dem grauen Marmor einverleiben,
Das aber, mit dem eitlen Grunde,
So bald ein Wind aus Suͤden weht,
Ja oͤftermals in einer Stunde,
Zerbricht, verſinket und vergeht.
Wobey ſie, durch ihr uͤbermuͤthigs Schweifen,
Sie, die Gefahr zu fallen, ſtets noch haͤufen.
Ein Strohhalm, eine Ritz, ein kleiner Stein,
Kann ihnen, in dem fluͤchtgen Schweben,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/225>, abgerufen am 25.11.2024.
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