Welch eine Menge fremder Dinge bemüht sich nicht der Mensch zu wissen! Wie viele Künste, Sitten, Sprachen sind, die wir alle lernen müssen, Und eins der allernöthigsten, das uns fast bloß zu Menschen macht, Schlägt man, zu unserm größten Schaden, recht unvernünf- tig aus der Acht.
Wir glauben, es sey gar nicht nöthig, mit Ernst zu lernen und zu lehren, Wie wir recht riechen, fühlen, schmecken, recht sehen können und recht hören. Warum? wir sehn und hören ja. Wer leugnet dieses? Es ist wahr, Wir hören, fühlen, riechen, schmecken und sehn: Doch wie der Thiere Schaar, Ohn alles Zuthun unsrer Seelen, ohn auf das, was wie sinn- lich spüren, Mit Einsicht und Vernunft, zu achten, ohn auf die Quell zu reflecciren.
Es scheint, wenn wir es recht erwegen, als wenn der Men- schen beste Gabe, Die Seele, mit der Sinne Wundern nichts überall zu schaf- fen habe; Als wären selbige nicht würdig, daß wir ein sonst beschäff- tigt Denken,
So
Sinnen-Schule.
Sinnen-Schule.
Oculus non videt, cum animus alias res agit.
Welch eine Menge fremder Dinge bemuͤht ſich nicht der Menſch zu wiſſen! Wie viele Kuͤnſte, Sitten, Sprachen ſind, die wir alle lernen muͤſſen, Und eins der allernoͤthigſten, das uns faſt bloß zu Menſchen macht, Schlaͤgt man, zu unſerm groͤßten Schaden, recht unvernuͤnf- tig aus der Acht.
Wir glauben, es ſey gar nicht noͤthig, mit Ernſt zu lernen und zu lehren, Wie wir recht riechen, fuͤhlen, ſchmecken, recht ſehen koͤnnen und recht hoͤren. Warum? wir ſehn und hoͤren ja. Wer leugnet dieſes? Es iſt wahr, Wir hoͤren, fuͤhlen, riechen, ſchmecken und ſehn: Doch wie der Thiere Schaar, Ohn alles Zuthun unſrer Seelen, ohn auf das, was wie ſinn- lich ſpuͤren, Mit Einſicht und Vernunft, zu achten, ohn auf die Quell zu reflecciren.
Es ſcheint, wenn wir es recht erwegen, als wenn der Men- ſchen beſte Gabe, Die Seele, mit der Sinne Wundern nichts uͤberall zu ſchaf- fen habe; Als waͤren ſelbige nicht wuͤrdig, daß wir ein ſonſt beſchaͤff- tigt Denken,
So
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Sinnen-Schule.
Sinnen-Schule.
Oculus non videt, cum animus alias res agit.
Welch eine Menge fremder Dinge bemuͤht ſich nicht der
Menſch zu wiſſen!
Wie viele Kuͤnſte, Sitten, Sprachen ſind, die wir alle lernen
muͤſſen,
Und eins der allernoͤthigſten, das uns faſt bloß zu Menſchen
macht,
Schlaͤgt man, zu unſerm groͤßten Schaden, recht unvernuͤnf-
tig aus der Acht.
Wir glauben, es ſey gar nicht noͤthig, mit Ernſt zu lernen
und zu lehren,
Wie wir recht riechen, fuͤhlen, ſchmecken, recht ſehen koͤnnen
und recht hoͤren.
Warum? wir ſehn und hoͤren ja. Wer leugnet dieſes? Es iſt
wahr,
Wir hoͤren, fuͤhlen, riechen, ſchmecken und ſehn: Doch wie der
Thiere Schaar,
Ohn alles Zuthun unſrer Seelen, ohn auf das, was wie ſinn-
lich ſpuͤren,
Mit Einſicht und Vernunft, zu achten, ohn auf die Quell
zu reflecciren.
Es ſcheint, wenn wir es recht erwegen, als wenn der Men-
ſchen beſte Gabe,
Die Seele, mit der Sinne Wundern nichts uͤberall zu ſchaf-
fen habe;
Als waͤren ſelbige nicht wuͤrdig, daß wir ein ſonſt beſchaͤff-
tigt Denken,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/294>, abgerufen am 22.11.2024.
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