Willt du ruhig und beliebt, überall gelitten seyn: Disputir mit keinem Menschen, er sey vornehm oder klein. Denn, du wirst entweder siegen, Oder aber unten liegen. Letzters kann dir nicht gefallen; ersters thut dem andern weh, Mehr, als einer Ursach halber. Sein Verstand soll von der Höh, Drauf er sich geglaubt, herunter. Dieses ist ihm ärgerlich; Und er thuts mit Widerwillen. Aber, daß zugleich er dich Noch vernünftiger, als sich, Halten und erkennen soll; sind zween Schläg in einer Wunden, Die von seinem lieben Jch gar zu heftig sind empfunden. Und er wird, ohn allen Zweifel, dich, nebst deiner Wahrheit, hassen. Soll er aber, sonder Haß, sich von dir besiegen lassen: Mußt du erst sein Herz gewinnen, und dazu beliebter Minen, Sanfter Töne, süsser Wörter, holden Ausdrucks dich bedienen. Bey der Tonkunst brauche ja eines freundlichen Gesichts, Und bemüh dich, deine Schlüsse, wie mit Honig, zu versüssen. Sonsten richtest du bey allen mit den stärksten Schlüssen nichts; Und dir wird aus deiner Klugheit nichts, als bittre Wermuth, spriessen.
Ein-
Diſputir-Kunſt.
Diſputir-Kunſt.
Willt du ruhig und beliebt, uͤberall gelitten ſeyn: Diſputir mit keinem Menſchen, er ſey vornehm oder klein. Denn, du wirſt entweder ſiegen, Oder aber unten liegen. Letzters kann dir nicht gefallen; erſters thut dem andern weh, Mehr, als einer Urſach halber. Sein Verſtand ſoll von der Hoͤh, Drauf er ſich geglaubt, herunter. Dieſes iſt ihm aͤrgerlich; Und er thuts mit Widerwillen. Aber, daß zugleich er dich Noch vernuͤnftiger, als ſich, Halten und erkennen ſoll; ſind zween Schlaͤg in einer Wunden, Die von ſeinem lieben Jch gar zu heftig ſind empfunden. Und er wird, ohn allen Zweifel, dich, nebſt deiner Wahrheit, haſſen. Soll er aber, ſonder Haß, ſich von dir beſiegen laſſen: Mußt du erſt ſein Herz gewinnen, und dazu beliebter Minen, Sanfter Toͤne, ſuͤſſer Woͤrter, holden Ausdrucks dich bedienen. Bey der Tonkunſt brauche ja eines freundlichen Geſichts, Und bemuͤh dich, deine Schluͤſſe, wie mit Honig, zu verſuͤſſen. Sonſten richteſt du bey allen mit den ſtaͤrkſten Schluͤſſen nichts; Und dir wird aus deiner Klugheit nichts, als bittre Wermuth, ſprieſſen.
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Diſputir-Kunſt.
Diſputir-Kunſt.
Willt du ruhig und beliebt, uͤberall gelitten ſeyn:
Diſputir mit keinem Menſchen, er ſey vornehm oder klein.
Denn, du wirſt entweder ſiegen,
Oder aber unten liegen.
Letzters kann dir nicht gefallen; erſters thut dem andern weh,
Mehr, als einer Urſach halber. Sein Verſtand ſoll von der
Hoͤh,
Drauf er ſich geglaubt, herunter. Dieſes iſt ihm aͤrgerlich;
Und er thuts mit Widerwillen. Aber, daß zugleich er dich
Noch vernuͤnftiger, als ſich,
Halten und erkennen ſoll; ſind zween Schlaͤg in einer Wunden,
Die von ſeinem lieben Jch gar zu heftig ſind empfunden.
Und er wird, ohn allen Zweifel, dich, nebſt deiner Wahrheit,
haſſen.
Soll er aber, ſonder Haß, ſich von dir beſiegen laſſen:
Mußt du erſt ſein Herz gewinnen, und dazu beliebter Minen,
Sanfter Toͤne, ſuͤſſer Woͤrter, holden Ausdrucks dich bedienen.
Bey der Tonkunſt brauche ja eines freundlichen Geſichts,
Und bemuͤh dich, deine Schluͤſſe, wie mit Honig, zu verſuͤſſen.
Sonſten richteſt du bey allen mit den ſtaͤrkſten Schluͤſſen nichts;
Und dir wird aus deiner Klugheit nichts, als bittre Wermuth,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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