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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

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Die Kunst
Und kunnten wir, wie gern wir wollten, von aller Creaturen
Schaaren,

Uns doch nicht recht gerühret fühlen. Hierauf erwiedr' ich:
Jhr habt Recht.

Geliebte Leser, euer Klagen ist leider gar zu sehr gegründet,
Weil diese Unvermögenheit beym ganzen menschlichen Geschlecht,
Durch bös Exempel und Gewohnheit, sich leider! eingewurzelt
findet,

So daß wir, auch mit offnen Augen, nicht sehen, was wir sehn;
nicht hören,

Was wir unwidersprechlich hören. Woher? Dieweil wir
uns entfernt,

Von unsrer allerersten Pflicht. Wir haben nimmer sehn ge-
lernt,

Auf eine Weise, die vernünftig. Wir sehn: Allein es sieht ein
Vieh

So gut, als wir. Wo man den Geist, der unsern Körpern ein-
gesenket,

Und welchen uns, vor andern Thieren, der Schöpfer uns vor-
aus geschenket,

Nicht mit der Sinnen Kraft verbindet, und wenn man sieht,
dabey gedenket:

So sieht und hört der klügste Mensch wahrhaftig anders nicht,
wie sie.

Um zu der Schule des Gesichts, auf eine Weise, nun zu kom-
men,

Die nöthig ist, und doch nicht schwer, hab ich mir jetzo vor-
genommen,

Euch einen neuen Weg zu weisen. Da alle Werke der Natur,
Und alle göttliche Geschöpfe, nur bloß in Farben und Figur,
Wenn man es recht erwegt, bestehn: So will ich eine Kunst
euch zeigen,

Der
Die Kunſt
Und kunnten wir, wie gern wir wollten, von aller Creaturen
Schaaren,

Uns doch nicht recht geruͤhret fuͤhlen. Hierauf erwiedr’ ich:
Jhr habt Recht.

Geliebte Leſer, euer Klagen iſt leider gar zu ſehr gegruͤndet,
Weil dieſe Unvermoͤgenheit beym ganzen menſchlichen Geſchlecht,
Durch boͤſ Exempel und Gewohnheit, ſich leider! eingewurzelt
findet,

So daß wir, auch mit offnen Augen, nicht ſehen, was wir ſehn;
nicht hoͤren,

Was wir unwiderſprechlich hoͤren. Woher? Dieweil wir
uns entfernt,

Von unſrer allererſten Pflicht. Wir haben nimmer ſehn ge-
lernt,

Auf eine Weiſe, die vernuͤnftig. Wir ſehn: Allein es ſieht ein
Vieh

So gut, als wir. Wo man den Geiſt, der unſern Koͤrpern ein-
geſenket,

Und welchen uns, vor andern Thieren, der Schoͤpfer uns vor-
aus geſchenket,

Nicht mit der Sinnen Kraft verbindet, und wenn man ſieht,
dabey gedenket:

So ſieht und hoͤrt der kluͤgſte Menſch wahrhaftig anders nicht,
wie ſie.

Um zu der Schule des Geſichts, auf eine Weiſe, nun zu kom-
men,

Die noͤthig iſt, und doch nicht ſchwer, hab ich mir jetzo vor-
genommen,

Euch einen neuen Weg zu weiſen. Da alle Werke der Natur,
Und alle goͤttliche Geſchoͤpfe, nur bloß in Farben und Figur,
Wenn man es recht erwegt, beſtehn: So will ich eine Kunſt
euch zeigen,

Der
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[332/0356] Die Kunſt Und kunnten wir, wie gern wir wollten, von aller Creaturen Schaaren, Uns doch nicht recht geruͤhret fuͤhlen. Hierauf erwiedr’ ich: Jhr habt Recht. Geliebte Leſer, euer Klagen iſt leider gar zu ſehr gegruͤndet, Weil dieſe Unvermoͤgenheit beym ganzen menſchlichen Geſchlecht, Durch boͤſ Exempel und Gewohnheit, ſich leider! eingewurzelt findet, So daß wir, auch mit offnen Augen, nicht ſehen, was wir ſehn; nicht hoͤren, Was wir unwiderſprechlich hoͤren. Woher? Dieweil wir uns entfernt, Von unſrer allererſten Pflicht. Wir haben nimmer ſehn ge- lernt, Auf eine Weiſe, die vernuͤnftig. Wir ſehn: Allein es ſieht ein Vieh So gut, als wir. Wo man den Geiſt, der unſern Koͤrpern ein- geſenket, Und welchen uns, vor andern Thieren, der Schoͤpfer uns vor- aus geſchenket, Nicht mit der Sinnen Kraft verbindet, und wenn man ſieht, dabey gedenket: So ſieht und hoͤrt der kluͤgſte Menſch wahrhaftig anders nicht, wie ſie. Um zu der Schule des Geſichts, auf eine Weiſe, nun zu kom- men, Die noͤthig iſt, und doch nicht ſchwer, hab ich mir jetzo vor- genommen, Euch einen neuen Weg zu weiſen. Da alle Werke der Natur, Und alle goͤttliche Geſchoͤpfe, nur bloß in Farben und Figur, Wenn man es recht erwegt, beſtehn: So will ich eine Kunſt euch zeigen, Der

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/356>, abgerufen am 22.11.2024.