Anstatt, wie es zu unserm Besten, Natur und Schrift uns vorgeschrieben, Den Schöpfer, uns, und unsern Nächsten, uns gleich, gemein- schaftlich zu lieben; So reissen wir uns aus der Mitten, und lieben nichts, als uns allein, Wodurch wir denn, ganz überzeuglich, beständig unglückselig seyn.
Mit unserm Jch allein beschäfftigt, erklärt man sich für aller Feind, Und zieht, durch einen Wechsel-Handel, der jedermann erlau- bet scheint, Sich aller Feindschaft wieder zu. Wie kann mit unserm Wohlergehen, Da die Partey so gar nicht gleich, ein solch Betragen doch bestehen? Da, wie ein andrer Jsmael, man sich selbst gegen alle Welt, Und alle Welt auch gegen sich, hinwiederum verreizt und stellt.
Wenn man, mit Ernst, den wahren Ursprung von der Em- pfindlichkeit erwegt: So ist die Wurzel nichts, als Hochmuth, der Samen zu viel Eigenliebe, Die Frucht, die diese böse Pflanze, und zwar in schwerer Men- ge, trägt, Sind bloß zu unsers Nächsten Schaden und Nachtheil ab- gezielte Triebe, Wodurch man aber mehrentheils sich selber nur Verdruß erregt, Und, da man andre schlagen will, sich selbst am allerstärksten schlägt.
Nun
Des Menſchen Zorn
Anſtatt, wie es zu unſerm Beſten, Natur und Schrift uns vorgeſchrieben, Den Schoͤpfer, uns, und unſern Naͤchſten, uns gleich, gemein- ſchaftlich zu lieben; So reiſſen wir uns aus der Mitten, und lieben nichts, als uns allein, Wodurch wir denn, ganz uͤberzeuglich, beſtaͤndig ungluͤckſelig ſeyn.
Mit unſerm Jch allein beſchaͤfftigt, erklaͤrt man ſich fuͤr aller Feind, Und zieht, durch einen Wechſel-Handel, der jedermann erlau- bet ſcheint, Sich aller Feindſchaft wieder zu. Wie kann mit unſerm Wohlergehen, Da die Partey ſo gar nicht gleich, ein ſolch Betragen doch beſtehen? Da, wie ein andrer Jsmael, man ſich ſelbſt gegen alle Welt, Und alle Welt auch gegen ſich, hinwiederum verreizt und ſtellt.
Wenn man, mit Ernſt, den wahren Urſprung von der Em- pfindlichkeit erwegt: So iſt die Wurzel nichts, als Hochmuth, der Samen zu viel Eigenliebe, Die Frucht, die dieſe boͤſe Pflanze, und zwar in ſchwerer Men- ge, traͤgt, Sind bloß zu unſers Naͤchſten Schaden und Nachtheil ab- gezielte Triebe, Wodurch man aber mehrentheils ſich ſelber nur Verdruß erregt, Und, da man andre ſchlagen will, ſich ſelbſt am allerſtaͤrkſten ſchlaͤgt.
Nun
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="7"><l><pbfacs="#f0460"n="436"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Des Menſchen Zorn</hi></fw><lb/>
Anſtatt, wie es zu unſerm Beſten, Natur und Schrift uns<lb/><hirendition="#et">vorgeſchrieben,</hi></l><lb/><l>Den Schoͤpfer, uns, und unſern Naͤchſten, uns gleich, gemein-<lb/><hirendition="#et">ſchaftlich zu lieben;</hi></l><lb/><l>So reiſſen wir uns aus der Mitten, und lieben nichts, als<lb/><hirendition="#et">uns allein,</hi></l><lb/><l>Wodurch wir denn, ganz uͤberzeuglich, beſtaͤndig ungluͤckſelig<lb/><hirendition="#et">ſeyn.</hi></l></lg><lb/><lgn="8"><l>Mit unſerm <hirendition="#fr">Jch</hi> allein beſchaͤfftigt, erklaͤrt man ſich fuͤr<lb/><hirendition="#et">aller Feind,</hi></l><lb/><l>Und zieht, durch einen Wechſel-Handel, der jedermann erlau-<lb/><hirendition="#et">bet ſcheint,</hi></l><lb/><l>Sich aller Feindſchaft wieder zu. Wie kann mit unſerm<lb/><hirendition="#et">Wohlergehen,</hi></l><lb/><l>Da die Partey ſo gar nicht gleich, ein ſolch Betragen doch<lb/><hirendition="#et">beſtehen?</hi></l><lb/><l>Da, wie ein andrer Jsmael, man ſich ſelbſt gegen alle Welt,</l><lb/><l>Und alle Welt auch gegen ſich, hinwiederum verreizt und<lb/><hirendition="#et">ſtellt.</hi></l></lg><lb/><lgn="9"><l>Wenn man, mit Ernſt, den wahren Urſprung von der Em-<lb/><hirendition="#et">pfindlichkeit erwegt:</hi></l><lb/><l>So iſt die Wurzel nichts, als Hochmuth, der Samen zu viel<lb/><hirendition="#et">Eigenliebe,</hi></l><lb/><l>Die Frucht, die dieſe boͤſe Pflanze, und zwar in ſchwerer Men-<lb/><hirendition="#et">ge, traͤgt,</hi></l><lb/><l>Sind bloß zu unſers Naͤchſten Schaden und Nachtheil ab-<lb/><hirendition="#et">gezielte Triebe,</hi></l><lb/><l>Wodurch man aber mehrentheils ſich ſelber nur Verdruß erregt,</l><lb/><l>Und, da man andre ſchlagen will, ſich ſelbſt am allerſtaͤrkſten<lb/><hirendition="#et">ſchlaͤgt.</hi></l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Nun</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[436/0460]
Des Menſchen Zorn
Anſtatt, wie es zu unſerm Beſten, Natur und Schrift uns
vorgeſchrieben,
Den Schoͤpfer, uns, und unſern Naͤchſten, uns gleich, gemein-
ſchaftlich zu lieben;
So reiſſen wir uns aus der Mitten, und lieben nichts, als
uns allein,
Wodurch wir denn, ganz uͤberzeuglich, beſtaͤndig ungluͤckſelig
ſeyn.
Mit unſerm Jch allein beſchaͤfftigt, erklaͤrt man ſich fuͤr
aller Feind,
Und zieht, durch einen Wechſel-Handel, der jedermann erlau-
bet ſcheint,
Sich aller Feindſchaft wieder zu. Wie kann mit unſerm
Wohlergehen,
Da die Partey ſo gar nicht gleich, ein ſolch Betragen doch
beſtehen?
Da, wie ein andrer Jsmael, man ſich ſelbſt gegen alle Welt,
Und alle Welt auch gegen ſich, hinwiederum verreizt und
ſtellt.
Wenn man, mit Ernſt, den wahren Urſprung von der Em-
pfindlichkeit erwegt:
So iſt die Wurzel nichts, als Hochmuth, der Samen zu viel
Eigenliebe,
Die Frucht, die dieſe boͤſe Pflanze, und zwar in ſchwerer Men-
ge, traͤgt,
Sind bloß zu unſers Naͤchſten Schaden und Nachtheil ab-
gezielte Triebe,
Wodurch man aber mehrentheils ſich ſelber nur Verdruß erregt,
Und, da man andre ſchlagen will, ſich ſelbſt am allerſtaͤrkſten
ſchlaͤgt.
Nun
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/460>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.