Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Unselige Unaufmerksamkeit.
Unselige
Unaufmerksamkeit.
Ein Wesen bin ich, welches fühlet, und welches, daß es fühlt,
begreift.

Wenn ich, durch meine Sinne, nun, wie viel sich gutes an mich
häuft,

Empfind, und es nicht auch erwege: So liegt die Schuld ja
bloß an mir,

Daß ich nicht das, was mich umgiebet, des Himmels und der
Erden Zier,

So viele Millionen Vorwürf im Wasser, in den grünen
Wäldern,

Auf hohen Bergen, in den Thälern, in Büschen, auf den fla-
chen Feldern,

Jn schönen Blumen-reichen Gärten, nicht meines Denkens
würdig achte,

Es nicht erwege, nicht geniesse, indem [ic]h alles nicht be-
trachte.
Die unglückselig' Unterlassung, von dieser Gott geweihten
Pflicht,

Jst eine Wurzel unsrer Plagen. Man hat, und hat es den-
noch nicht.

Man sieht nicht, was man sieht; man höret auch ja so wenig,
was man höret;

Man schmecket, riecht und fühlet nicht, was man doch schme-
cket, riecht und fühlet,

Wodurch man, welches unvernünftig und unerhört, sich selbst
bestielet,
Sich
Unſelige Unaufmerkſamkeit.
Unſelige
Unaufmerkſamkeit.
Ein Weſen bin ich, welches fuͤhlet, und welches, daß es fuͤhlt,
begreift.

Wenn ich, durch meine Sinne, nun, wie viel ſich gutes an mich
haͤuft,

Empfind, und es nicht auch erwege: So liegt die Schuld ja
bloß an mir,

Daß ich nicht das, was mich umgiebet, des Himmels und der
Erden Zier,

So viele Millionen Vorwuͤrf im Waſſer, in den gruͤnen
Waͤldern,

Auf hohen Bergen, in den Thaͤlern, in Buͤſchen, auf den fla-
chen Feldern,

Jn ſchoͤnen Blumen-reichen Gaͤrten, nicht meines Denkens
wuͤrdig achte,

Es nicht erwege, nicht genieſſe, indem [ic]h alles nicht be-
trachte.
Die ungluͤckſelig’ Unterlaſſung, von dieſer Gott geweihten
Pflicht,

Jſt eine Wurzel unſrer Plagen. Man hat, und hat es den-
noch nicht.

Man ſieht nicht, was man ſieht; man hoͤret auch ja ſo wenig,
was man hoͤret;

Man ſchmecket, riecht und fuͤhlet nicht, was man doch ſchme-
cket, riecht und fuͤhlet,

Wodurch man, welches unvernuͤnftig und unerhoͤrt, ſich ſelbſt
beſtielet,
Sich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0502" n="478"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Un&#x017F;elige Unaufmerk&#x017F;amkeit.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Un&#x017F;elige<lb/>
Unaufmerk&#x017F;amkeit.</hi> </head><lb/>
          <lg n="1">
            <l><hi rendition="#in">E</hi>in We&#x017F;en bin ich, welches fu&#x0364;hlet, und welches, daß es fu&#x0364;hlt,<lb/><hi rendition="#et">begreift.</hi></l><lb/>
            <l>Wenn ich, durch meine Sinne, nun, wie viel &#x017F;ich gutes an mich<lb/><hi rendition="#et">ha&#x0364;uft,</hi></l><lb/>
            <l>Empfind, und es nicht auch erwege: So liegt die Schuld ja<lb/><hi rendition="#et">bloß an mir,</hi></l><lb/>
            <l>Daß ich nicht das, was mich umgiebet, des Himmels und der<lb/><hi rendition="#et">Erden Zier,</hi></l><lb/>
            <l>So viele Millionen Vorwu&#x0364;rf im Wa&#x017F;&#x017F;er, in den gru&#x0364;nen<lb/><hi rendition="#et">Wa&#x0364;ldern,</hi></l><lb/>
            <l>Auf hohen Bergen, in den Tha&#x0364;lern, in Bu&#x0364;&#x017F;chen, auf den fla-<lb/><hi rendition="#et">chen Feldern,</hi></l><lb/>
            <l>Jn &#x017F;cho&#x0364;nen Blumen-reichen Ga&#x0364;rten, nicht meines Denkens<lb/><hi rendition="#et">wu&#x0364;rdig achte,</hi></l><lb/>
            <l>Es nicht erwege, nicht genie&#x017F;&#x017F;e, indem <supplied>ic</supplied>h alles nicht be-<lb/><hi rendition="#et">trachte.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="2">
            <l>Die unglu&#x0364;ck&#x017F;elig&#x2019; Unterla&#x017F;&#x017F;ung, von die&#x017F;er Gott geweihten<lb/><hi rendition="#et">Pflicht,</hi></l><lb/>
            <l>J&#x017F;t eine Wurzel un&#x017F;rer Plagen. Man hat, und hat es den-<lb/><hi rendition="#et">noch nicht.</hi></l><lb/>
            <l>Man &#x017F;ieht nicht, was man &#x017F;ieht; man ho&#x0364;ret auch ja &#x017F;o wenig,<lb/><hi rendition="#et">was man ho&#x0364;ret;</hi></l><lb/>
            <l>Man &#x017F;chmecket, riecht und fu&#x0364;hlet nicht, was man doch &#x017F;chme-<lb/><hi rendition="#et">cket, riecht und fu&#x0364;hlet,</hi></l><lb/>
            <l>Wodurch man, welches unvernu&#x0364;nftig und unerho&#x0364;rt, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">be&#x017F;tielet,</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sich</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0502] Unſelige Unaufmerkſamkeit. Unſelige Unaufmerkſamkeit. Ein Weſen bin ich, welches fuͤhlet, und welches, daß es fuͤhlt, begreift. Wenn ich, durch meine Sinne, nun, wie viel ſich gutes an mich haͤuft, Empfind, und es nicht auch erwege: So liegt die Schuld ja bloß an mir, Daß ich nicht das, was mich umgiebet, des Himmels und der Erden Zier, So viele Millionen Vorwuͤrf im Waſſer, in den gruͤnen Waͤldern, Auf hohen Bergen, in den Thaͤlern, in Buͤſchen, auf den fla- chen Feldern, Jn ſchoͤnen Blumen-reichen Gaͤrten, nicht meines Denkens wuͤrdig achte, Es nicht erwege, nicht genieſſe, indem ich alles nicht be- trachte. Die ungluͤckſelig’ Unterlaſſung, von dieſer Gott geweihten Pflicht, Jſt eine Wurzel unſrer Plagen. Man hat, und hat es den- noch nicht. Man ſieht nicht, was man ſieht; man hoͤret auch ja ſo wenig, was man hoͤret; Man ſchmecket, riecht und fuͤhlet nicht, was man doch ſchme- cket, riecht und fuͤhlet, Wodurch man, welches unvernuͤnftig und unerhoͤrt, ſich ſelbſt beſtielet, Sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/502
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/502>, abgerufen am 22.11.2024.