Schranken unsrer Vernunft. Nach Anleitung Mr. Reaumur.
Nachdem wir nun der Thiere Wesen, Betrieb und Hand- lungen gesehn: So fällt mit Recht die Frage vor: Ob wir denselben, Geist, Verstand, Vernunft und Urtheil, Witz, Gedächtniß und Ueberlegung zu gestehn?
Nun ist das, was, von diesem Punkt, Cartesius gelehrt, bekannt; Auch das, was man dagegen schreibt. Allein es kömmt bloß hierauf an, (Da ich von beyden Meynungen, mit Grund der Wahrheit, sagen kann: Daß alle beyde möglich seyn) diejenige, so wahr, zu finden. Da sie sich beyderseits auf Schlüsse, die von besondrer Stär- ke, gründen.
Wenn jemand diese Meynung hegte: Der Schöpfer hätte machen können Machinen, welche fähig wären, Zu wachsen, alles das zu thun, was Thiere thun, auch sich zu mehren; Wer wollte sich wohl unterstehn, Zu sagen, daß des Schöpfers Kräfte, der alles kann, so weit- nicht gehn?
Wenn aber auch ein andrer sagte: Der Schöpfer hätt un streitig können,
Nicht
P p 4
Schranken unſrer Vernunf.
Schranken unſrer Vernunft. Nach Anleitung Mr. Reaumur.
Nachdem wir nun der Thiere Weſen, Betrieb und Hand- lungen geſehn: So faͤllt mit Recht die Frage vor: Ob wir denſelben, Geiſt, Verſtand, Vernunft und Urtheil, Witz, Gedaͤchtniß und Ueberlegung zu geſtehn?
Nun iſt das, was, von dieſem Punkt, Carteſius gelehrt, bekannt; Auch das, was man dagegen ſchreibt. Allein es koͤmmt bloß hierauf an, (Da ich von beyden Meynungen, mit Grund der Wahrheit, ſagen kann: Daß alle beyde moͤglich ſeyn) diejenige, ſo wahr, zu finden. Da ſie ſich beyderſeits auf Schluͤſſe, die von beſondrer Staͤr- ke, gruͤnden.
Wenn jemand dieſe Meynung hegte: Der Schoͤpfer haͤtte machen koͤnnen Machinen, welche faͤhig waͤren, Zu wachſen, alles das zu thun, was Thiere thun, auch ſich zu mehren; Wer wollte ſich wohl unterſtehn, Zu ſagen, daß des Schoͤpfers Kraͤfte, der alles kann, ſo weit- nicht gehn?
Wenn aber auch ein andrer ſagte: Der Schoͤpfer haͤtt un ſtreitig koͤnnen,
Nicht
P p 4
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0623"n="599"/><fwplace="top"type="header">Schranken unſrer Vernunf.</fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Schranken unſrer Vernunft.</hi><lb/>
Nach Anleitung <hirendition="#aq">Mr. Reaumur.</hi></head><lb/><lgn="1"><l><hirendition="#in">N</hi>achdem wir nun der Thiere Weſen, Betrieb und Hand-<lb/><hirendition="#et">lungen geſehn:</hi></l><lb/><l>So faͤllt mit Recht die Frage vor: Ob wir denſelben, Geiſt,<lb/><hirendition="#et">Verſtand,</hi></l><lb/><l>Vernunft und Urtheil, Witz, Gedaͤchtniß und Ueberlegung zu<lb/><hirendition="#et">geſtehn?</hi></l></lg><lb/><lgn="2"><l>Nun iſt das, was, von dieſem Punkt, Carteſius gelehrt,<lb/><hirendition="#et">bekannt;</hi></l><lb/><l>Auch das, was man dagegen ſchreibt. Allein es koͤmmt bloß<lb/><hirendition="#et">hierauf an,</hi></l><lb/><l>(Da ich von beyden Meynungen, mit Grund der Wahrheit,<lb/><hirendition="#et">ſagen kann:</hi></l><lb/><l>Daß alle beyde moͤglich ſeyn) diejenige, ſo wahr, zu finden.</l><lb/><l>Da ſie ſich beyderſeits auf Schluͤſſe, die von beſondrer Staͤr-<lb/><hirendition="#et">ke, gruͤnden.</hi></l></lg><lb/><lgn="3"><l>Wenn jemand dieſe Meynung hegte: Der Schoͤpfer haͤtte<lb/><hirendition="#et">machen koͤnnen</hi></l><lb/><l>Machinen, welche faͤhig waͤren,</l><lb/><l>Zu wachſen, alles das zu thun, was Thiere thun, auch ſich<lb/><hirendition="#et">zu mehren;</hi></l><lb/><l>Wer wollte ſich wohl unterſtehn,</l><lb/><l>Zu ſagen, daß des Schoͤpfers Kraͤfte, der alles kann, ſo weit-<lb/><hirendition="#et">nicht gehn?</hi></l></lg><lb/><lgn="4"><l>Wenn aber auch ein andrer ſagte: Der Schoͤpfer haͤtt un<lb/><hirendition="#et">ſtreitig koͤnnen,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">P p 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Nicht</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[599/0623]
Schranken unſrer Vernunf.
Schranken unſrer Vernunft.
Nach Anleitung Mr. Reaumur.
Nachdem wir nun der Thiere Weſen, Betrieb und Hand-
lungen geſehn:
So faͤllt mit Recht die Frage vor: Ob wir denſelben, Geiſt,
Verſtand,
Vernunft und Urtheil, Witz, Gedaͤchtniß und Ueberlegung zu
geſtehn?
Nun iſt das, was, von dieſem Punkt, Carteſius gelehrt,
bekannt;
Auch das, was man dagegen ſchreibt. Allein es koͤmmt bloß
hierauf an,
(Da ich von beyden Meynungen, mit Grund der Wahrheit,
ſagen kann:
Daß alle beyde moͤglich ſeyn) diejenige, ſo wahr, zu finden.
Da ſie ſich beyderſeits auf Schluͤſſe, die von beſondrer Staͤr-
ke, gruͤnden.
Wenn jemand dieſe Meynung hegte: Der Schoͤpfer haͤtte
machen koͤnnen
Machinen, welche faͤhig waͤren,
Zu wachſen, alles das zu thun, was Thiere thun, auch ſich
zu mehren;
Wer wollte ſich wohl unterſtehn,
Zu ſagen, daß des Schoͤpfers Kraͤfte, der alles kann, ſo weit-
nicht gehn?
Wenn aber auch ein andrer ſagte: Der Schoͤpfer haͤtt un
ſtreitig koͤnnen,
Nicht
P p 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/623>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.