Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Betrachtung
Verzweiflung läßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die
Hände sinken.
Der Zorn formiret eine Faust. Ein sehnliches Verlangen
streckt

Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade sucht, ent-
deckt

Sein Wünschen, daß er tief gebogen, die Hände dem zun
Füßen senket,

Von dem er Hülf und Gnade sucht. Ja was noch mehr,
wenn mans bedenket,

So dient die Hand ja dem, der lahm, an statt der Füß, auch
einem Blinden,

An Augen statt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den
Händen finden.

Wie müssen sich demnach die Menschen doch ihres Unver-
standes schämen,

Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver-
sehn.

Man muß, wofern man Gottes Gab, in unsrer Hand, erwegt,
gestehn,

Daß wir in ihr solch einen Schatz, der alles übergehet,
nehmen,

Jndem der allerärmste Mensch, zween Diener in den Händen
hat,

Die ihm auf tausend Arten dienen, zu allen Zeiten, früh
und spat.

Wie kann die Hand, zu unserm Besten, so viele tausend tau-
send Sachen,

Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert
andre Vortheil machen!
Was

Betrachtung
Verzweiflung laͤßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die
Haͤnde ſinken.
Der Zorn formiret eine Fauſt. Ein ſehnliches Verlangen
ſtreckt

Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade ſucht, ent-
deckt

Sein Wuͤnſchen, daß er tief gebogen, die Haͤnde dem zun
Fuͤßen ſenket,

Von dem er Huͤlf und Gnade ſucht. Ja was noch mehr,
wenn mans bedenket,

So dient die Hand ja dem, der lahm, an ſtatt der Fuͤß, auch
einem Blinden,

An Augen ſtatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den
Haͤnden finden.

Wie muͤſſen ſich demnach die Menſchen doch ihres Unver-
ſtandes ſchaͤmen,

Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver-
ſehn.

Man muß, wofern man Gottes Gab, in unſrer Hand, erwegt,
geſtehn,

Daß wir in ihr ſolch einen Schatz, der alles uͤbergehet,
nehmen,

Jndem der alleraͤrmſte Menſch, zween Diener in den Haͤnden
hat,

Die ihm auf tauſend Arten dienen, zu allen Zeiten, fruͤh
und ſpat.

Wie kann die Hand, zu unſerm Beſten, ſo viele tauſend tau-
ſend Sachen,

Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert
andre Vortheil machen!
Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="21">
            <l><pb facs="#f0662" n="638"/><fw place="top" type="header">Betrachtung</fw><lb/>
Verzweiflung la&#x0364;ßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die<lb/><hi rendition="#et">Ha&#x0364;nde &#x017F;inken.</hi></l><lb/>
            <l>Der Zorn formiret eine Fau&#x017F;t. Ein &#x017F;ehnliches Verlangen<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;treckt</hi></l><lb/>
            <l>Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade &#x017F;ucht, ent-<lb/><hi rendition="#et">deckt</hi></l><lb/>
            <l>Sein Wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß er tief gebogen, die Ha&#x0364;nde dem zun<lb/><hi rendition="#et">Fu&#x0364;ßen &#x017F;enket,</hi></l><lb/>
            <l>Von dem er Hu&#x0364;lf und Gnade &#x017F;ucht. Ja was noch mehr,<lb/><hi rendition="#et">wenn mans bedenket,</hi></l><lb/>
            <l>So dient die Hand ja dem, der lahm, an &#x017F;tatt der Fu&#x0364;ß, auch<lb/><hi rendition="#et">einem Blinden,</hi></l><lb/>
            <l>An Augen &#x017F;tatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den<lb/><hi rendition="#et">Ha&#x0364;nden finden.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="22">
            <l>Wie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich demnach die Men&#x017F;chen doch ihres Unver-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tandes &#x017F;cha&#x0364;men,</hi></l><lb/>
            <l>Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ehn.</hi></l><lb/>
            <l>Man muß, wofern man Gottes Gab, in un&#x017F;rer Hand, erwegt,<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;tehn,</hi></l><lb/>
            <l>Daß wir in ihr &#x017F;olch einen Schatz, der alles u&#x0364;bergehet,<lb/><hi rendition="#et">nehmen,</hi></l><lb/>
            <l>Jndem der allera&#x0364;rm&#x017F;te Men&#x017F;ch, zween Diener in den Ha&#x0364;nden<lb/><hi rendition="#et">hat,</hi></l><lb/>
            <l>Die ihm auf tau&#x017F;end Arten dienen, zu allen Zeiten, fru&#x0364;h<lb/><hi rendition="#et">und &#x017F;pat.</hi></l><lb/>
            <l>Wie kann die Hand, zu un&#x017F;erm Be&#x017F;ten, &#x017F;o viele tau&#x017F;end tau-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;end Sachen,</hi></l><lb/>
            <l>Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert<lb/><hi rendition="#et">andre Vortheil machen!</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/></l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[638/0662] Betrachtung Verzweiflung laͤßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die Haͤnde ſinken. Der Zorn formiret eine Fauſt. Ein ſehnliches Verlangen ſtreckt Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade ſucht, ent- deckt Sein Wuͤnſchen, daß er tief gebogen, die Haͤnde dem zun Fuͤßen ſenket, Von dem er Huͤlf und Gnade ſucht. Ja was noch mehr, wenn mans bedenket, So dient die Hand ja dem, der lahm, an ſtatt der Fuͤß, auch einem Blinden, An Augen ſtatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den Haͤnden finden. Wie muͤſſen ſich demnach die Menſchen doch ihres Unver- ſtandes ſchaͤmen, Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver- ſehn. Man muß, wofern man Gottes Gab, in unſrer Hand, erwegt, geſtehn, Daß wir in ihr ſolch einen Schatz, der alles uͤbergehet, nehmen, Jndem der alleraͤrmſte Menſch, zween Diener in den Haͤnden hat, Die ihm auf tauſend Arten dienen, zu allen Zeiten, fruͤh und ſpat. Wie kann die Hand, zu unſerm Beſten, ſo viele tauſend tau- ſend Sachen, Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert andre Vortheil machen! Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/662
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/662>, abgerufen am 17.07.2024.