Verzweiflung läßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die Hände sinken. Der Zorn formiret eine Faust. Ein sehnliches Verlangen streckt Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade sucht, ent- deckt Sein Wünschen, daß er tief gebogen, die Hände dem zun Füßen senket, Von dem er Hülf und Gnade sucht. Ja was noch mehr, wenn mans bedenket, So dient die Hand ja dem, der lahm, an statt der Füß, auch einem Blinden, An Augen statt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den Händen finden.
Wie müssen sich demnach die Menschen doch ihres Unver- standes schämen, Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver- sehn. Man muß, wofern man Gottes Gab, in unsrer Hand, erwegt, gestehn, Daß wir in ihr solch einen Schatz, der alles übergehet, nehmen, Jndem der allerärmste Mensch, zween Diener in den Händen hat, Die ihm auf tausend Arten dienen, zu allen Zeiten, früh und spat. Wie kann die Hand, zu unserm Besten, so viele tausend tau- send Sachen, Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert andre Vortheil machen!
Was
Betrachtung
Verzweiflung laͤßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die Haͤnde ſinken. Der Zorn formiret eine Fauſt. Ein ſehnliches Verlangen ſtreckt Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade ſucht, ent- deckt Sein Wuͤnſchen, daß er tief gebogen, die Haͤnde dem zun Fuͤßen ſenket, Von dem er Huͤlf und Gnade ſucht. Ja was noch mehr, wenn mans bedenket, So dient die Hand ja dem, der lahm, an ſtatt der Fuͤß, auch einem Blinden, An Augen ſtatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den Haͤnden finden.
Wie muͤſſen ſich demnach die Menſchen doch ihres Unver- ſtandes ſchaͤmen, Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver- ſehn. Man muß, wofern man Gottes Gab, in unſrer Hand, erwegt, geſtehn, Daß wir in ihr ſolch einen Schatz, der alles uͤbergehet, nehmen, Jndem der alleraͤrmſte Menſch, zween Diener in den Haͤnden hat, Die ihm auf tauſend Arten dienen, zu allen Zeiten, fruͤh und ſpat. Wie kann die Hand, zu unſerm Beſten, ſo viele tauſend tau- ſend Sachen, Zum Nutz, zum Schutz, zu Wehr und Waffen, und hundert andre Vortheil machen!
Was
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Betrachtung
Verzweiflung laͤßt im bittern Schmerz, mit ihrem Muth, die
Haͤnde ſinken.
Der Zorn formiret eine Fauſt. Ein ſehnliches Verlangen
ſtreckt
Sie ausgebreitet himmelwerts; und welcher Gnade ſucht, ent-
deckt
Sein Wuͤnſchen, daß er tief gebogen, die Haͤnde dem zun
Fuͤßen ſenket,
Von dem er Huͤlf und Gnade ſucht. Ja was noch mehr,
wenn mans bedenket,
So dient die Hand ja dem, der lahm, an ſtatt der Fuͤß, auch
einem Blinden,
An Augen ſtatt; er kann den Weg, durch Tappen, mit den
Haͤnden finden.
Wie muͤſſen ſich demnach die Menſchen doch ihres Unver-
ſtandes ſchaͤmen,
Die meynen, als ob die Natur, uns minder, als das Vieh, ver-
ſehn.
Man muß, wofern man Gottes Gab, in unſrer Hand, erwegt,
geſtehn,
Daß wir in ihr ſolch einen Schatz, der alles uͤbergehet,
nehmen,
Jndem der alleraͤrmſte Menſch, zween Diener in den Haͤnden
hat,
Die ihm auf tauſend Arten dienen, zu allen Zeiten, fruͤh
und ſpat.
Wie kann die Hand, zu unſerm Beſten, ſo viele tauſend tau-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 638. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/662>, abgerufen am 24.11.2024.
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