Wie ein kleiner Rosenknopf immer bliebe, wie er war, Und sich krumm zusammen zog, sprach der andern Rosen Schaar: "Oeffnest du, geliebte Schwester, bey dem warmen Sonnenlicht, "Bey der sanften Frühlingsluft, bey dem angenehmen Wetter, "Aus dem noch geschloßnen Knopf, deine frisch- und holden Blätter "Auch so, wie wir andern, nicht? "Willst du dich nicht auch entschliessen, "Und des holden Sonnenlichts "Auch nicht so, wie wir, genießen? "Soll von deinem Balsam nichts "Jn die lauen Lüfte fliessen?
Nein. Weil unsre Zeit so kurz, so vergänglich schnell und flüchtig, Alles, was ich um mich seh, eitel, wandelbar und nichtig; Jst es nicht der Mühe werth, daß ich mich eröffne, blühe, Daß ich warme Sonnenstralen in mich ziehe, Daß ich mich daran ergetze, daß mich schöne Farben schmücken, Daß ich, andere zu reizen, fähig bin, und zu erquicken.
Da ich kaum drey Tage währe, und so bald verwelken muß: So ist dieß mein fester Schluß: Jch will lieber nichts genießen, da ich nicht beständig bleiben Und nicht länger dauren kann, als die mir bestimmte Zeit Mich vergnügen, andern nützen; es ist alles Eitelkeit.
Wenn ein Rosenknopf so spräche, und verwelkt' unaufgebrochen, Hätte solcher wohl gethan, und nach seiner Pflicht gesprochen? Eben so hat keiner recht, viel von Aenderung zu sagen, Und, mit einem bittern Murren, über Eitelkeit zu klagen.
Es
Die Roſe.
Die Roſe.
Fabel.
Wie ein kleiner Roſenknopf immer bliebe, wie er war, Und ſich krumm zuſammen zog, ſprach der andern Roſen Schaar: „Oeffneſt du, geliebte Schweſter, bey dem warmen Sonnenlicht, „Bey der ſanften Fruͤhlingsluft, bey dem angenehmen Wetter, „Aus dem noch geſchloßnen Knopf, deine friſch- und holden Blaͤtter „Auch ſo, wie wir andern, nicht? „Willſt du dich nicht auch entſchlieſſen, „Und des holden Sonnenlichts „Auch nicht ſo, wie wir, genießen? „Soll von deinem Balſam nichts „Jn die lauen Luͤfte flieſſen?
Nein. Weil unſre Zeit ſo kurz, ſo vergaͤnglich ſchnell und fluͤchtig, Alles, was ich um mich ſeh, eitel, wandelbar und nichtig; Jſt es nicht der Muͤhe werth, daß ich mich eroͤffne, bluͤhe, Daß ich warme Sonnenſtralen in mich ziehe, Daß ich mich daran ergetze, daß mich ſchoͤne Farben ſchmuͤcken, Daß ich, andere zu reizen, faͤhig bin, und zu erquicken.
Da ich kaum drey Tage waͤhre, und ſo bald verwelken muß: So iſt dieß mein feſter Schluß: Jch will lieber nichts genießen, da ich nicht beſtaͤndig bleiben Und nicht laͤnger dauren kann, als die mir beſtimmte Zeit Mich vergnuͤgen, andern nuͤtzen; es iſt alles Eitelkeit.
Wenn ein Roſenknopf ſo ſpraͤche, und verwelkt’ unaufgebrochen, Haͤtte ſolcher wohl gethan, und nach ſeiner Pflicht geſprochen? Eben ſo hat keiner recht, viel von Aenderung zu ſagen, Und, mit einem bittern Murren, uͤber Eitelkeit zu klagen.
Es
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Die Roſe.
Die Roſe.
Fabel.
Wie ein kleiner Roſenknopf immer bliebe, wie er war,
Und ſich krumm zuſammen zog, ſprach der andern Roſen
Schaar:
„Oeffneſt du, geliebte Schweſter, bey dem warmen Sonnenlicht,
„Bey der ſanften Fruͤhlingsluft, bey dem angenehmen Wetter,
„Aus dem noch geſchloßnen Knopf, deine friſch- und holden Blaͤtter
„Auch ſo, wie wir andern, nicht?
„Willſt du dich nicht auch entſchlieſſen,
„Und des holden Sonnenlichts
„Auch nicht ſo, wie wir, genießen?
„Soll von deinem Balſam nichts
„Jn die lauen Luͤfte flieſſen?
Nein. Weil unſre Zeit ſo kurz, ſo vergaͤnglich ſchnell und fluͤchtig,
Alles, was ich um mich ſeh, eitel, wandelbar und nichtig;
Jſt es nicht der Muͤhe werth, daß ich mich eroͤffne, bluͤhe,
Daß ich warme Sonnenſtralen in mich ziehe,
Daß ich mich daran ergetze, daß mich ſchoͤne Farben ſchmuͤcken,
Daß ich, andere zu reizen, faͤhig bin, und zu erquicken.
Da ich kaum drey Tage waͤhre, und ſo bald verwelken muß:
So iſt dieß mein feſter Schluß:
Jch will lieber nichts genießen, da ich nicht beſtaͤndig bleiben
Und nicht laͤnger dauren kann, als die mir beſtimmte Zeit
Mich vergnuͤgen, andern nuͤtzen; es iſt alles Eitelkeit.
Wenn ein Roſenknopf ſo ſpraͤche, und verwelkt’ unaufgebrochen,
Haͤtte ſolcher wohl gethan, und nach ſeiner Pflicht geſprochen?
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Und, mit einem bittern Murren, uͤber Eitelkeit zu klagen.
Es
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/85>, abgerufen am 03.02.2025.
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