Jch fühl' ein reizendes Verlangen, und, um auch einst der Wälder Liebe Jn holden Vögeln zu besingen, noch nimmer sonst verspührte Triebe.
So bald in der erwärmten Luft der Geist der Liebe sich ver- breitet, Und tönend in ihr Herze dringt, fängt gleich der Vögel mun- tre Schaar, Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet, spreitet Die bunten Flügel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver- gessen war, Stimmt jeder, anfangs sanfte gurgelnd, in schwachen Tö- nen, wieder an; Allein, kaum daß die süsse Brunst in ihren Adern stärker rann, So lebet alles. Jhre Freude fängt an sich gleichsam zu er- giessen. Man sieht und höret ihre Lust aus ihren Kehlen überfliessen Jn unbeschränkter Harmonie. Die Lerche schwingt sich in die Luft Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemüht, den Morgen anzu- zeigen, Und, ehe noch die Schatten fliehn, schon singend in die Höh' zu steigen, Durch den, von des noch nicht gesunknen erhabnen Thaues feuchten Duft, Da sie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf sie weckend, ruft. Aus jedem Busch, von jedem Zweige (der weich bemoset, dick belaubt, Und feucht annoch vom kühlen Thau, als wie ein kleiner grüner Bogen
Sich
Fruͤhlings-Gedicht.
Jch fuͤhl’ ein reizendes Verlangen, und, um auch einſt der Waͤlder Liebe Jn holden Voͤgeln zu beſingen, noch nimmer ſonſt verſpuͤhrte Triebe.
So bald in der erwaͤrmten Luft der Geiſt der Liebe ſich ver- breitet, Und toͤnend in ihr Herze dringt, faͤngt gleich der Voͤgel mun- tre Schaar, Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet, ſpreitet Die bunten Fluͤgel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver- geſſen war, Stimmt jeder, anfangs ſanfte guꝛgelnd, in ſchwachen Toͤ- nen, wieder an; Allein, kaum daß die ſuͤſſe Brunſt in ihren Adern ſtaͤrker rann, So lebet alles. Jhre Freude faͤngt an ſich gleichſam zu er- gieſſen. Man ſieht und hoͤret ihre Luſt aus ihren Kehlen uͤberflieſſen Jn unbeſchraͤnkter Harmonie. Die Lerche ſchwingt ſich in die Luft Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemuͤht, den Morgen anzu- zeigen, Und, ehe noch die Schatten fliehn, ſchon ſingend in die Hoͤh’ zu ſteigen, Durch den, von des noch nicht geſunknen erhabnen Thaues feuchten Duft, Da ſie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf ſie weckend, ruft. Aus jedem Buſch, von jedem Zweige (der weich bemoſet, dick belaubt, Und feucht annoch vom kuͤhlen Thau, als wie ein kleiner gruͤner Bogen
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Fruͤhlings-Gedicht.
Jch fuͤhl’ ein reizendes Verlangen, und, um auch einſt der
Waͤlder Liebe
Jn holden Voͤgeln zu beſingen, noch nimmer ſonſt verſpuͤhrte
Triebe.
So bald in der erwaͤrmten Luft der Geiſt der Liebe ſich ver-
breitet,
Und toͤnend in ihr Herze dringt, faͤngt gleich der Voͤgel mun-
tre Schaar,
Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet,
ſpreitet
Die bunten Fluͤgel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver-
geſſen war,
Stimmt jeder, anfangs ſanfte guꝛgelnd, in ſchwachen Toͤ-
nen, wieder an;
Allein, kaum daß die ſuͤſſe Brunſt in ihren Adern ſtaͤrker rann,
So lebet alles. Jhre Freude faͤngt an ſich gleichſam zu er-
gieſſen.
Man ſieht und hoͤret ihre Luſt aus ihren Kehlen uͤberflieſſen
Jn unbeſchraͤnkter Harmonie. Die Lerche ſchwingt ſich in
die Luft
Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemuͤht, den Morgen anzu-
zeigen,
Und, ehe noch die Schatten fliehn, ſchon ſingend in die Hoͤh’
zu ſteigen,
Durch den, von des noch nicht geſunknen erhabnen Thaues
feuchten Duft,
Da ſie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf ſie weckend,
ruft.
Aus jedem Buſch, von jedem Zweige (der weich bemoſet, dick
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Und feucht annoch vom kuͤhlen Thau, als wie ein kleiner
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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