Weiß jemand wohl so anzulegen, wie sie, in ungespührter Kleinheit? Weiß jemand etwas zu vermengen in solcher dünn- und zarten Feinheit, Wie wir, in Knospen, welche blühn, und woraus endlich Frücht' entstehn, Ja, in der Pflanzen grossen Menge fast stets auf andre Weise sehn? Da die Gedanken nun nicht fähig so fremder Arbeit nachzu- spühren, Wie kann es doch die Spraye thun? Wo nimmt man immer Worte her, Gefärbt mit solchen schönen Farben? Und welcher Kraft fiel es nicht schwer, Mit solchem süß- und holdem Oel, den zarten Bau zu balsa- miren; Mit solchem angewirzten Duft, der unerschöpflich sie um- ringt, Und nach dem Leben vorzustellen den Balsam, der aus ihnen dringt! Wir wollen itzt denn aus dem Reich der stillen Pflanzen uns erheben, Um auf das angenehme Wesen des bunten Luft-Volks Acht zu geben.
Hör' und bemerke, wie so laut der Laub- und Vogel-reiche Wald Durch seiner kleinen Bürger Kehlen, dich zu sich einzuladen, schallt! Ach, leiht mir euren süssen Ton, ihr Nachtigallen, daß mein Singen, Durch eure Melodey beseelt, mag lieblicher und besser klin- gen.
Jch
C 3
Fruͤhlings-Gedicht.
Weiß jemand wohl ſo anzulegen, wie ſie, in ungeſpuͤhrter Kleinheit? Weiß jemand etwas zu vermengen in ſolcher duͤnn- und zarten Feinheit, Wie wir, in Knospen, welche bluͤhn, und woraus endlich Fruͤcht’ entſtehn, Ja, in der Pflanzen groſſen Menge faſt ſtets auf andre Weiſe ſehn? Da die Gedanken nun nicht faͤhig ſo fremder Arbeit nachzu- ſpuͤhren, Wie kann es doch die Spraye thun? Wo nimmt man immer Worte her, Gefaͤrbt mit ſolchen ſchoͤnen Farben? Und welcher Kraft fiel es nicht ſchwer, Mit ſolchem ſuͤß- und holdem Oel, den zarten Bau zu balſa- miren; Mit ſolchem angewirzten Duft, der unerſchoͤpflich ſie um- ringt, Und nach dem Leben vorzuſtellen den Balſam, der aus ihnen dringt! Wir wollen itzt denn aus dem Reich der ſtillen Pflanzen uns erheben, Um auf das angenehme Weſen des bunten Luft-Volks Acht zu geben.
Hoͤr’ und bemerke, wie ſo laut der Laub- und Vogel-reiche Wald Durch ſeiner kleinen Buͤrger Kehlen, dich zu ſich einzuladen, ſchallt! Ach, leiht mir euren ſuͤſſen Ton, ihr Nachtigallen, daß mein Singen, Durch eure Melodey beſeelt, mag lieblicher und beſſer klin- gen.
Jch
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Fruͤhlings-Gedicht.
Weiß jemand wohl ſo anzulegen, wie ſie, in ungeſpuͤhrter
Kleinheit?
Weiß jemand etwas zu vermengen in ſolcher duͤnn- und
zarten Feinheit,
Wie wir, in Knospen, welche bluͤhn, und woraus endlich
Fruͤcht’ entſtehn,
Ja, in der Pflanzen groſſen Menge faſt ſtets auf andre Weiſe
ſehn?
Da die Gedanken nun nicht faͤhig ſo fremder Arbeit nachzu-
ſpuͤhren,
Wie kann es doch die Spraye thun? Wo nimmt man immer
Worte her,
Gefaͤrbt mit ſolchen ſchoͤnen Farben? Und welcher Kraft fiel
es nicht ſchwer,
Mit ſolchem ſuͤß- und holdem Oel, den zarten Bau zu balſa-
miren;
Mit ſolchem angewirzten Duft, der unerſchoͤpflich ſie um-
ringt,
Und nach dem Leben vorzuſtellen den Balſam, der aus ihnen
dringt!
Wir wollen itzt denn aus dem Reich der ſtillen Pflanzen uns
erheben,
Um auf das angenehme Weſen des bunten Luft-Volks Acht
zu geben.
Hoͤr’ und bemerke, wie ſo laut der Laub- und Vogel-reiche
Wald
Durch ſeiner kleinen Buͤrger Kehlen, dich zu ſich einzuladen,
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Ach, leiht mir euren ſuͤſſen Ton, ihr Nachtigallen, daß mein
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/55>, abgerufen am 21.11.2024.
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