Weil immer mehr subtiler' Theilchen gepresset oberwerts verfliegen, Da aus der, durch die ferne Sonne, verdickten Luft an ihrer statt Sich keine wieder abwerts senken, wodurch denn (nach dem wahren Schluß, Daß, wenn die Ursach' fehlt, die Wirkung zugleich mit jener fehlen muß) Auch die Bewegung in dem Wasser von selbsten gleich ein Ende hat. Wann aber aus der lindern Luft sich warme Theile wieder lenken, Und in des Eises luckre Löchlein mit ihrer regen Kraft sich senken; Verändert sich desselben Wesen und starrende Beschaf- fenheit, Entbindet sich die spröde Härte, entsteinet sich die Fe- stigkeit, Und wird behende wieder flüßig. Dieß ist die Ordnung der Natur, Jn welcher wir aufs neue wieder, wenn wirs erwegen, eine Spur Von einer weisen Macht verspühren. Da, wenn die Ordnung anders wär, in Theilchen, die das Wasser rühren, Das Eis so bald nicht schmelzen könnte, und alle Wasser, die gefrieren, Den Felsen gleich, verbleiben würden. Einfolglich würde von der Erden Die ganze Fläche wüst', unbrauchbar, ja gänzlich unbe- wohnbar werden. Wenn wir demnach die Fluht gefrieren, und unsers Eises Wesen sehn; So laßt uns GOttes weise Ordnung, auch in gefrorner Fluht, erhöhn!
Som-
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Winter-Gedicht.
Weil immer mehr ſubtiler’ Theilchen gepreſſet oberwerts verfliegen, Da aus der, durch die ferne Sonne, verdickten Luft an ihrer ſtatt Sich keine wieder abwerts ſenken, wodurch denn (nach dem wahren Schluß, Daß, wenn die Urſach’ fehlt, die Wirkung zugleich mit jener fehlen muß) Auch die Bewegung in dem Waſſer von ſelbſten gleich ein Ende hat. Wann aber aus der lindern Luft ſich warme Theile wieder lenken, Und in des Eiſes luckre Loͤchlein mit ihrer regen Kraft ſich ſenken; Veraͤndert ſich deſſelben Weſen und ſtarrende Beſchaf- fenheit, Entbindet ſich die ſproͤde Haͤrte, entſteinet ſich die Fe- ſtigkeit, Und wird behende wieder fluͤßig. Dieß iſt die Ordnung der Natur, Jn welcher wir aufs neue wieder, wenn wirs erwegen, eine Spur Von einer weiſen Macht verſpuͤhren. Da, wenn die Ordnung anders waͤr, in Theilchen, die das Waſſer ruͤhren, Das Eis ſo bald nicht ſchmelzen koͤnnte, und alle Waſſer, die gefrieren, Den Felſen gleich, verbleiben wuͤrden. Einfolglich wuͤrde von der Erden Die ganze Flaͤche wuͤſt’, unbrauchbar, ja gaͤnzlich unbe- wohnbar werden. Wenn wir demnach die Fluht gefrieren, und unſers Eiſes Weſen ſehn; So laßt uns GOttes weiſe Ordnung, auch in gefrorner Fluht, erhoͤhn!
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[583/0601]
Winter-Gedicht.
Weil immer mehr ſubtiler’ Theilchen gepreſſet oberwerts
verfliegen,
Da aus der, durch die ferne Sonne, verdickten Luft
an ihrer ſtatt
Sich keine wieder abwerts ſenken, wodurch denn (nach
dem wahren Schluß,
Daß, wenn die Urſach’ fehlt, die Wirkung zugleich mit
jener fehlen muß)
Auch die Bewegung in dem Waſſer von ſelbſten gleich ein
Ende hat.
Wann aber aus der lindern Luft ſich warme Theile wieder
lenken,
Und in des Eiſes luckre Loͤchlein mit ihrer regen Kraft
ſich ſenken;
Veraͤndert ſich deſſelben Weſen und ſtarrende Beſchaf-
fenheit,
Entbindet ſich die ſproͤde Haͤrte, entſteinet ſich die Fe-
ſtigkeit,
Und wird behende wieder fluͤßig. Dieß iſt die Ordnung
der Natur,
Jn welcher wir aufs neue wieder, wenn wirs erwegen,
eine Spur
Von einer weiſen Macht verſpuͤhren.
Da, wenn die Ordnung anders waͤr, in Theilchen, die das
Waſſer ruͤhren,
Das Eis ſo bald nicht ſchmelzen koͤnnte, und alle Waſſer,
die gefrieren,
Den Felſen gleich, verbleiben wuͤrden. Einfolglich wuͤrde
von der Erden
Die ganze Flaͤche wuͤſt’, unbrauchbar, ja gaͤnzlich unbe-
wohnbar werden.
Wenn wir demnach die Fluht gefrieren, und unſers Eiſes
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/601>, abgerufen am 25.06.2024.
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