Wie es angenehm beblühmet, wie die Farbe grün und schön, Wie es Vieh und Thiere nähre, haben wir, mit Lust, gesehn. Aber, daß es wunderbarlich nicht nur Milch und Fleisch uns zolle, Sondern Kleider, Strümpf' und Schuh', da es gar in Leder, Wolle, Horn und Federn sich verwandelt; dieses hatt' ich nicht bedacht, Sondern nur desselben Schönheit, Bildung, Farbe, Glanz und Pracht.
Laß uns denn, geliebter Leser, dieß ein wenig überdenken! Laß uns unsers Geistes Kraft auf des Nutzens Menge lenken, Die ein liebreich- weises Wesen in so kleinen Platz zu schränken, Jn ein so verächtlich Kraut die Beschaffenheit zu senken, Voller Huld, entschlossen hat, wofür man Jhn billig ehret. Da es sich in alles fast, was uns kleidet, was uns nähret, Und Bequehmlichkeit verschafft, recht verwunderlich ver- kehret.
Sollt' ein Baum an einem Ort etwan anzutreffen seyn, Der so viele, so verschiedne, und so nöhtge Früchte brächte; So eracht' ich, daß man es als ein Wunderwerk bedächte. Alles aber trägt nicht nur unser liebes Gras allein, Sondern es ist nicht zu zählen, wie von ungezählten Dingen, Allen Thieren, allen Menschen, Güter aus dem Gras entspringen.
Laßt
Das Gras im Winter.
Wie es angenehm bebluͤhmet, wie die Farbe gruͤn und ſchoͤn, Wie es Vieh und Thiere naͤhre, haben wir, mit Luſt, geſehn. Aber, daß es wunderbarlich nicht nur Milch und Fleiſch uns zolle, Sondern Kleider, Struͤmpf’ und Schuh’, da es gar in Leder, Wolle, Horn und Federn ſich verwandelt; dieſes hatt’ ich nicht bedacht, Sondern nur deſſelben Schoͤnheit, Bildung, Farbe, Glanz und Pracht.
Laß uns denn, geliebter Leſer, dieß ein wenig uͤberdenken! Laß uns unſers Geiſtes Kraft auf des Nutzens Menge lenken, Die ein liebreich- weiſes Weſen in ſo kleinen Platz zu ſchraͤnken, Jn ein ſo veraͤchtlich Kraut die Beſchaffenheit zu ſenken, Voller Huld, entſchloſſen hat, wofuͤr man Jhn billig ehret. Da es ſich in alles faſt, was uns kleidet, was uns naͤhret, Und Bequehmlichkeit verſchafft, recht verwunderlich ver- kehret.
Sollt’ ein Baum an einem Ort etwan anzutreffen ſeyn, Der ſo viele, ſo verſchiedne, und ſo noͤhtge Fruͤchte braͤchte; So eracht’ ich, daß man es als ein Wunderwerk bedaͤchte. Alles aber traͤgt nicht nur unſer liebes Gras allein, Sondern es iſt nicht zu zaͤhlen, wie von ungezaͤhlten Dingen, Allen Thieren, allen Menſchen, Guͤter aus dem Gras entſpringen.
Laßt
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Das Gras im Winter.
Wie es angenehm bebluͤhmet, wie die Farbe gruͤn und
ſchoͤn,
Wie es Vieh und Thiere naͤhre, haben wir, mit Luſt,
geſehn.
Aber, daß es wunderbarlich nicht nur Milch und Fleiſch
uns zolle,
Sondern Kleider, Struͤmpf’ und Schuh’, da es gar in
Leder, Wolle,
Horn und Federn ſich verwandelt; dieſes hatt’ ich nicht
bedacht,
Sondern nur deſſelben Schoͤnheit, Bildung, Farbe, Glanz
und Pracht.
Laß uns denn, geliebter Leſer, dieß ein wenig uͤberdenken!
Laß uns unſers Geiſtes Kraft auf des Nutzens Menge
lenken,
Die ein liebreich- weiſes Weſen in ſo kleinen Platz zu
ſchraͤnken,
Jn ein ſo veraͤchtlich Kraut die Beſchaffenheit zu ſenken,
Voller Huld, entſchloſſen hat, wofuͤr man Jhn billig
ehret.
Da es ſich in alles faſt, was uns kleidet, was uns naͤhret,
Und Bequehmlichkeit verſchafft, recht verwunderlich ver-
kehret.
Sollt’ ein Baum an einem Ort etwan anzutreffen ſeyn,
Der ſo viele, ſo verſchiedne, und ſo noͤhtge Fruͤchte braͤchte;
So eracht’ ich, daß man es als ein Wunderwerk bedaͤchte.
Alles aber traͤgt nicht nur unſer liebes Gras allein,
Sondern es iſt nicht zu zaͤhlen, wie von ungezaͤhlten
Dingen,
Allen Thieren, allen Menſchen, Guͤter aus dem Gras
entſpringen.
Laßt
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/641>, abgerufen am 22.11.2024.
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