Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
der Schönheit der Welt.
Und ein' in uns verborgne Neigung reizt unaufhörlich
zum Vergnügen,
Und treibt uns, uns beglückt zu machen. Uns lockt, was
wir von aussen sehn,
Und auch was in uns ist, dazu. Woher muß es denn
doch entstehn,
Daß wir, in so beglücktem Stande, dennoch so unglückselig
leben?
Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht
Achtung geben,
Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen,
was uns fehlt,
Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht
gequält,
Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern-
ten kehren,
Stets mit phantastischen Gerichten, mit wirklichen uns
nimmer nähren.
So lange man, auf diese Weise, mit dem beseßnen Gut
verfährt,
Und wär uns noch einmahl so viel, ja tausend mahl
so viel, beschehrt;
So würd' uns Unlust, Kummer, Gram und Unzufriedenheit
beschwehren,
Wenn wir in der Eliser Auen, ja selbst im Paradiese wären.


Wie jüngst der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas,
Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette saß,
Dieß sonst ermunternde Gedicht, mit Thränen in den Augen,
las;
Er-
Y y 3
der Schoͤnheit der Welt.
Und ein’ in uns verborgne Neigung reizt unaufhoͤrlich
zum Vergnuͤgen,
Und treibt uns, uns begluͤckt zu machen. Uns lockt, was
wir von auſſen ſehn,
Und auch was in uns iſt, dazu. Woher muß es denn
doch entſtehn,
Daß wir, in ſo begluͤcktem Stande, dennoch ſo ungluͤckſelig
leben?
Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht
Achtung geben,
Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen,
was uns fehlt,
Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht
gequaͤlt,
Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern-
ten kehren,
Stets mit phantaſtiſchen Gerichten, mit wirklichen uns
nimmer naͤhren.
So lange man, auf dieſe Weiſe, mit dem beſeßnen Gut
verfaͤhrt,
Und waͤr uns noch einmahl ſo viel, ja tauſend mahl
ſo viel, beſchehrt;
So wuͤrd’ uns Unluſt, Kummer, Gram und Unzufriedenheit
beſchwehren,
Wenn wir in der Eliſer Auen, ja ſelbſt im Paradieſe waͤren.


Wie juͤngſt der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas,
Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette ſaß,
Dieß ſonſt ermunternde Gedicht, mit Thraͤnen in den Augen,
las;
Er-
Y y 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0727" n="709"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Scho&#x0364;nheit der Welt.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Und ein&#x2019; in uns verborgne Neigung reizt unaufho&#x0364;rlich</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">zum Vergnu&#x0364;gen,</hi> </l><lb/>
                <l>Und treibt uns, uns beglu&#x0364;ckt zu machen. Uns lockt, was</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">wir von au&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehn,</hi> </l><lb/>
                <l>Und auch was in uns i&#x017F;t, dazu. Woher muß es denn</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">doch ent&#x017F;tehn,</hi> </l><lb/>
                <l>Daß wir, in &#x017F;o beglu&#x0364;cktem Stande, dennoch &#x017F;o unglu&#x0364;ck&#x017F;elig</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">leben?</hi> </l><lb/>
                <l>Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Achtung geben,</hi> </l><lb/>
                <l>Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">was uns fehlt,</hi> </l><lb/>
                <l>Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">gequa&#x0364;lt,</hi> </l><lb/>
                <l>Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ten kehren,</hi> </l><lb/>
                <l>Stets mit phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Gerichten, mit wirklichen uns</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nimmer na&#x0364;hren.</hi> </l><lb/>
                <l>So lange man, auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e, mit dem be&#x017F;eßnen Gut</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">verfa&#x0364;hrt,</hi> </l><lb/>
                <l>Und wa&#x0364;r uns noch einmahl &#x017F;o viel, ja tau&#x017F;end mahl</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;o viel, be&#x017F;chehrt;</hi> </l><lb/>
                <l>So wu&#x0364;rd&#x2019; uns Unlu&#x017F;t, Kummer, Gram und Unzufriedenheit</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">be&#x017F;chwehren,</hi> </l><lb/>
                <l>Wenn wir in der Eli&#x017F;er Auen, ja &#x017F;elb&#x017F;t im Paradie&#x017F;e wa&#x0364;ren.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Wie ju&#x0364;ng&#x017F;t der arme <hi rendition="#aq">Silvius</hi> dem ausgezehrten. <hi rendition="#aq">Corilas,</hi></l><lb/>
                <l>Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette &#x017F;aß,</l><lb/>
                <l>Dieß &#x017F;on&#x017F;t ermunternde Gedicht, mit Thra&#x0364;nen in den Augen,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">las;</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">Y y 3</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Er-</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[709/0727] der Schoͤnheit der Welt. Und ein’ in uns verborgne Neigung reizt unaufhoͤrlich zum Vergnuͤgen, Und treibt uns, uns begluͤckt zu machen. Uns lockt, was wir von auſſen ſehn, Und auch was in uns iſt, dazu. Woher muß es denn doch entſtehn, Daß wir, in ſo begluͤcktem Stande, dennoch ſo ungluͤckſelig leben? Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht Achtung geben, Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen, was uns fehlt, Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht gequaͤlt, Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern- ten kehren, Stets mit phantaſtiſchen Gerichten, mit wirklichen uns nimmer naͤhren. So lange man, auf dieſe Weiſe, mit dem beſeßnen Gut verfaͤhrt, Und waͤr uns noch einmahl ſo viel, ja tauſend mahl ſo viel, beſchehrt; So wuͤrd’ uns Unluſt, Kummer, Gram und Unzufriedenheit beſchwehren, Wenn wir in der Eliſer Auen, ja ſelbſt im Paradieſe waͤren. Wie juͤngſt der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas, Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette ſaß, Dieß ſonſt ermunternde Gedicht, mit Thraͤnen in den Augen, las; Er- Y y 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/727
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 709. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/727>, abgerufen am 22.11.2024.