Und ein' in uns verborgne Neigung reizt unaufhörlich zum Vergnügen, Und treibt uns, uns beglückt zu machen. Uns lockt, was wir von aussen sehn, Und auch was in uns ist, dazu. Woher muß es denn doch entstehn, Daß wir, in so beglücktem Stande, dennoch so unglückselig leben? Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht Achtung geben, Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen, was uns fehlt, Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht gequält, Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern- ten kehren, Stets mit phantastischen Gerichten, mit wirklichen uns nimmer nähren. So lange man, auf diese Weise, mit dem beseßnen Gut verfährt, Und wär uns noch einmahl so viel, ja tausend mahl so viel, beschehrt; So würd' uns Unlust, Kummer, Gram und Unzufriedenheit beschwehren, Wenn wir in der Eliser Auen, ja selbst im Paradiese wären.
Wie jüngst der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas, Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette saß, Dieß sonst ermunternde Gedicht, mit Thränen in den Augen, las;
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der Schoͤnheit der Welt.
Und ein’ in uns verborgne Neigung reizt unaufhoͤrlich zum Vergnuͤgen, Und treibt uns, uns begluͤckt zu machen. Uns lockt, was wir von auſſen ſehn, Und auch was in uns iſt, dazu. Woher muß es denn doch entſtehn, Daß wir, in ſo begluͤcktem Stande, dennoch ſo ungluͤckſelig leben? Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht Achtung geben, Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen, was uns fehlt, Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht gequaͤlt, Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern- ten kehren, Stets mit phantaſtiſchen Gerichten, mit wirklichen uns nimmer naͤhren. So lange man, auf dieſe Weiſe, mit dem beſeßnen Gut verfaͤhrt, Und waͤr uns noch einmahl ſo viel, ja tauſend mahl ſo viel, beſchehrt; So wuͤrd’ uns Unluſt, Kummer, Gram und Unzufriedenheit beſchwehren, Wenn wir in der Eliſer Auen, ja ſelbſt im Paradieſe waͤren.
Wie juͤngſt der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas, Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette ſaß, Dieß ſonſt ermunternde Gedicht, mit Thraͤnen in den Augen, las;
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der Schoͤnheit der Welt.
Und ein’ in uns verborgne Neigung reizt unaufhoͤrlich
zum Vergnuͤgen,
Und treibt uns, uns begluͤckt zu machen. Uns lockt, was
wir von auſſen ſehn,
Und auch was in uns iſt, dazu. Woher muß es denn
doch entſtehn,
Daß wir, in ſo begluͤcktem Stande, dennoch ſo ungluͤckſelig
leben?
Woher? weil wir auf alles Gute, was in der Welt, nicht
Achtung geben,
Stets mehr noch zu verdienen glauben, nur das verlangen,
was uns fehlt,
Und wenn wir es erlanget haben, von immer neuer Sucht
gequaͤlt,
Den Blick von dem erlangten ab, und immer zum entfern-
ten kehren,
Stets mit phantaſtiſchen Gerichten, mit wirklichen uns
nimmer naͤhren.
So lange man, auf dieſe Weiſe, mit dem beſeßnen Gut
verfaͤhrt,
Und waͤr uns noch einmahl ſo viel, ja tauſend mahl
ſo viel, beſchehrt;
So wuͤrd’ uns Unluſt, Kummer, Gram und Unzufriedenheit
beſchwehren,
Wenn wir in der Eliſer Auen, ja ſelbſt im Paradieſe waͤren.
Wie juͤngſt der arme Silvius dem ausgezehrten. Corilas,
Der voller Pein zu Bette lage, da jener vor dem Bette ſaß,
Dieß ſonſt ermunternde Gedicht, mit Thraͤnen in den Augen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 709. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/727>, abgerufen am 22.11.2024.
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