Erseufzeten sie alle beyde. Ach! fing zuerst der sieche Mann, Nachdem er sich herumgeworfen, mit unterbrochnem Schluchzen an: "Was hilft mir Armen dieser Trost? Was nützen mir der Erden Schätze? "Da ich, ohn' ihrer zu geniessen, mein Lager stets mit Thränen netze, "Da mich der Nieren-Stein zerfoltert, die Gicht die Sehnen dehnt und nagt, "Und mich nicht nur den ganzen Tag, die noch viel längere Nacht, zerplagt. "Mich labt kein Trank, mir schmeckt kein Essen, und kurz: Auf dieser ganzen Welt "Vergnüget mich von allen nichts. Nichts ist darinn, was mir gefällt.
Kaum schwieg er, als auch Silvius die Thränen von den Wangen wischte, Und mit des Kranken bittren Klagen auch sein betrübtes Klaglied mischte: "Er schreibt: Die Welt ist voller Schätze. Ja Schätze, daß es GOtt erbarm! "Sind nicht, bey dem gerühmten Reichthum so viel', und ich besonders, arm? "Er schreibt: Für uns soll alles seyn. Ja wohl für uns. Hat einer Mittel, "So decken so viel tausend andre sich kaum mit einem alten Kittel. "Bey dem gerühmten Ueberfluß hab ich kaum mein erschwitz- tes Brodt, "Und meine Kinder schmachten oft, gequält von bittrer Hungers-Noht.
Wenn
Nuͤtzliche Betrachtung
Erſeufzeten ſie alle beyde. Ach! fing zuerſt der ſieche Mann, Nachdem er ſich herumgeworfen, mit unterbrochnem Schluchzen an: “Was hilft mir Armen dieſer Troſt? Was nuͤtzen mir der Erden Schaͤtze? „Da ich, ohn’ ihrer zu genieſſen, mein Lager ſtets mit Thraͤnen netze, „Da mich der Nieren-Stein zerfoltert, die Gicht die Sehnen dehnt und nagt, „Und mich nicht nur den ganzen Tag, die noch viel laͤngere Nacht, zerplagt. „Mich labt kein Trank, mir ſchmeckt kein Eſſen, und kurz: Auf dieſer ganzen Welt „Vergnuͤget mich von allen nichts. Nichts iſt darinn, was mir gefaͤllt.
Kaum ſchwieg er, als auch Silvius die Thraͤnen von den Wangen wiſchte, Und mit des Kranken bittren Klagen auch ſein betruͤbtes Klaglied miſchte: “Er ſchreibt: Die Welt iſt voller Schaͤtze. Ja Schaͤtze, daß es GOtt erbarm! „Sind nicht, bey dem geruͤhmten Reichthum ſo viel’, und ich beſonders, arm? „Er ſchreibt: Fuͤr uns ſoll alles ſeyn. Ja wohl fuͤr uns. Hat einer Mittel, „So decken ſo viel tauſend andre ſich kaum mit einem alten Kittel. „Bey dem geruͤhmten Ueberfluß hab ich kaum mein erſchwitz- tes Brodt, „Und meine Kinder ſchmachten oft, gequaͤlt von bittrer Hungers-Noht.
Wenn
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Nuͤtzliche Betrachtung
Erſeufzeten ſie alle beyde. Ach! fing zuerſt der ſieche Mann,
Nachdem er ſich herumgeworfen, mit unterbrochnem
Schluchzen an:
“Was hilft mir Armen dieſer Troſt? Was nuͤtzen mir der
Erden Schaͤtze?
„Da ich, ohn’ ihrer zu genieſſen, mein Lager ſtets mit
Thraͤnen netze,
„Da mich der Nieren-Stein zerfoltert, die Gicht die Sehnen
dehnt und nagt,
„Und mich nicht nur den ganzen Tag, die noch viel laͤngere
Nacht, zerplagt.
„Mich labt kein Trank, mir ſchmeckt kein Eſſen, und kurz: Auf
dieſer ganzen Welt
„Vergnuͤget mich von allen nichts. Nichts iſt darinn, was
mir gefaͤllt.
Kaum ſchwieg er, als auch Silvius die Thraͤnen von den
Wangen wiſchte,
Und mit des Kranken bittren Klagen auch ſein betruͤbtes
Klaglied miſchte:
“Er ſchreibt: Die Welt iſt voller Schaͤtze. Ja Schaͤtze, daß
es GOtt erbarm!
„Sind nicht, bey dem geruͤhmten Reichthum ſo viel’, und
ich beſonders, arm?
„Er ſchreibt: Fuͤr uns ſoll alles ſeyn. Ja wohl fuͤr uns.
Hat einer Mittel,
„So decken ſo viel tauſend andre ſich kaum mit einem alten
Kittel.
„Bey dem geruͤhmten Ueberfluß hab ich kaum mein erſchwitz-
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/728>, abgerufen am 22.11.2024.
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