Nachdem ich jüngst zur Frühlings-Zeit An der Geschöpfe Herrlichkeit, Die itzo wunderwürdig, schön, Mich matt, jedoch nicht satt, gesehn; Setzt' ich mich, inniglich erfreut, Jns Gras, im kühlen Schatten, nieder, Und schloß mit Fleiß die Augenlieder, Damit die Seele durchs Gehör Mehr fähig und geschickter wär', Zu unsrer Lust, und GOtt zu Ehren, Noch schärfer, was man hört, zu hören. Da denn der Lüfte sanft Bewegen, Wodurch sich Zweig' und Blätter regen, Da ich des Windes Blasen spürte, Zuerst durchs Ohr den Geist mir rührte.
Bald weht er langsam, bald geschwinde, Bald rauscht er stark, und bald gelinde, Bald saust er heftig, bald gemach. Jch dachte der Veränd'rung nach, Jm sanften Ernst, mit süsser Müh', Durch scharfes Lauschen zu entdecken: Ob nicht ein' Art von Harmonie, Für weise Ohren, könne stecken Jn dem veränderlichen Schallen, Jn diesem Rauschen, Steigen, Fallen, Jm Säuseln, Zischen, Lispeln, Sausen, Jm sanften Flüstern, stärkern Brausen, Jn kürzern bald, bald längern Pausen? Und fand, je länger, daß ich hörte, Wie sich die Meng' und Unterscheid
Der
D 4
Anmuht des Gehoͤrs.
Nachdem ich juͤngſt zur Fruͤhlings-Zeit An der Geſchoͤpfe Herrlichkeit, Die itzo wunderwuͤrdig, ſchoͤn, Mich matt, jedoch nicht ſatt, geſehn; Setzt’ ich mich, inniglich erfreut, Jns Gras, im kuͤhlen Schatten, nieder, Und ſchloß mit Fleiß die Augenlieder, Damit die Seele durchs Gehoͤr Mehr faͤhig und geſchickter waͤr’, Zu unſrer Luſt, und GOtt zu Ehren, Noch ſchaͤrfer, was man hoͤrt, zu hoͤren. Da denn der Luͤfte ſanft Bewegen, Wodurch ſich Zweig’ und Blaͤtter regen, Da ich des Windes Blaſen ſpuͤrte, Zuerſt durchs Ohr den Geiſt mir ruͤhrte.
Bald weht er langſam, bald geſchwinde, Bald rauſcht er ſtark, und bald gelinde, Bald ſauſt er heftig, bald gemach. Jch dachte der Veraͤnd’rung nach, Jm ſanften Ernſt, mit ſuͤſſer Muͤh’, Durch ſcharfes Lauſchen zu entdecken: Ob nicht ein’ Art von Harmonie, Fuͤr weiſe Ohren, koͤnne ſtecken Jn dem veraͤnderlichen Schallen, Jn dieſem Rauſchen, Steigen, Fallen, Jm Saͤuſeln, Ziſchen, Lispeln, Sauſen, Jm ſanften Fluͤſtern, ſtaͤrkern Brauſen, Jn kuͤrzern bald, bald laͤngern Pauſen? Und fand, je laͤnger, daß ich hoͤrte, Wie ſich die Meng’ und Unterſcheid
Der
D 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0073"n="55"/><divn="3"><head><hirendition="#b">Anmuht des Gehoͤrs.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l><hirendition="#in">N</hi>achdem ich juͤngſt zur Fruͤhlings-Zeit</l><lb/><l>An der Geſchoͤpfe Herrlichkeit,</l><lb/><l>Die itzo wunderwuͤrdig, ſchoͤn,</l><lb/><l>Mich matt, jedoch nicht ſatt, geſehn;</l><lb/><l>Setzt’ ich mich, inniglich erfreut,</l><lb/><l>Jns Gras, im kuͤhlen Schatten, nieder,</l><lb/><l>Und ſchloß mit Fleiß die Augenlieder,</l><lb/><l>Damit die Seele durchs Gehoͤr</l><lb/><l>Mehr faͤhig und geſchickter waͤr’,</l><lb/><l>Zu unſrer Luſt, und GOtt zu Ehren,</l><lb/><l>Noch ſchaͤrfer, was man hoͤrt, zu hoͤren.</l><lb/><l>Da denn der Luͤfte ſanft Bewegen,</l><lb/><l>Wodurch ſich Zweig’ und Blaͤtter regen,</l><lb/><l>Da ich des Windes Blaſen ſpuͤrte,</l><lb/><l>Zuerſt durchs Ohr den Geiſt mir ruͤhrte.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Bald weht er langſam, bald geſchwinde,</l><lb/><l>Bald rauſcht er ſtark, und bald gelinde,</l><lb/><l>Bald ſauſt er heftig, bald gemach.</l><lb/><l>Jch dachte der Veraͤnd’rung nach,</l><lb/><l>Jm ſanften Ernſt, mit ſuͤſſer Muͤh’,</l><lb/><l>Durch ſcharfes Lauſchen zu entdecken:</l><lb/><l>Ob nicht ein’ Art von Harmonie,</l><lb/><l>Fuͤr weiſe Ohren, koͤnne ſtecken</l><lb/><l>Jn dem veraͤnderlichen Schallen,</l><lb/><l>Jn dieſem Rauſchen, Steigen, Fallen,</l><lb/><l>Jm Saͤuſeln, Ziſchen, Lispeln, Sauſen,</l><lb/><l>Jm ſanften Fluͤſtern, ſtaͤrkern Brauſen,</l><lb/><l>Jn kuͤrzern bald, bald laͤngern Pauſen?</l><lb/><l>Und fand, je laͤnger, daß ich hoͤrte,</l><lb/><l>Wie ſich die Meng’ und Unterſcheid</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Der</fw><lb/></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[55/0073]
Anmuht des Gehoͤrs.
Nachdem ich juͤngſt zur Fruͤhlings-Zeit
An der Geſchoͤpfe Herrlichkeit,
Die itzo wunderwuͤrdig, ſchoͤn,
Mich matt, jedoch nicht ſatt, geſehn;
Setzt’ ich mich, inniglich erfreut,
Jns Gras, im kuͤhlen Schatten, nieder,
Und ſchloß mit Fleiß die Augenlieder,
Damit die Seele durchs Gehoͤr
Mehr faͤhig und geſchickter waͤr’,
Zu unſrer Luſt, und GOtt zu Ehren,
Noch ſchaͤrfer, was man hoͤrt, zu hoͤren.
Da denn der Luͤfte ſanft Bewegen,
Wodurch ſich Zweig’ und Blaͤtter regen,
Da ich des Windes Blaſen ſpuͤrte,
Zuerſt durchs Ohr den Geiſt mir ruͤhrte.
Bald weht er langſam, bald geſchwinde,
Bald rauſcht er ſtark, und bald gelinde,
Bald ſauſt er heftig, bald gemach.
Jch dachte der Veraͤnd’rung nach,
Jm ſanften Ernſt, mit ſuͤſſer Muͤh’,
Durch ſcharfes Lauſchen zu entdecken:
Ob nicht ein’ Art von Harmonie,
Fuͤr weiſe Ohren, koͤnne ſtecken
Jn dem veraͤnderlichen Schallen,
Jn dieſem Rauſchen, Steigen, Fallen,
Jm Saͤuſeln, Ziſchen, Lispeln, Sauſen,
Jm ſanften Fluͤſtern, ſtaͤrkern Brauſen,
Jn kuͤrzern bald, bald laͤngern Pauſen?
Und fand, je laͤnger, daß ich hoͤrte,
Wie ſich die Meng’ und Unterſcheid
Der
D 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/73>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.