Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.ein Neu-Jahrs-Gedicht. Dieß ist nun heilsam, billig, nöthig, doch einen Theil von unserm Leben Der ewgen Quell der Zeiten, Gott, so viel an uns, zu übergeben, Und, neben ihr, uns Jhm zu widmen. Dieß zeigt uns die Vernunft nicht nur, Zusamt dem Beyspiel vieler Völker; wir haben eine klare Spuhr, Daß es der Schöpfer Selbst geboten. Es soll, spricht Er, von allen Tagen, Der siebende Mir heilig seyn. Jst es mir nun erlaubt, zu fragen: Wie heiligen wir diesen Tag? Wir wirken nicht. Gut. Wie denn mehr? Wir gehen zweymal in die Kirche; und dieses thun wir Gott zur Ehr. Gut. Was geschicht dann in der Kirche? Wir hören Gottes Wort, wir singen, Wir beten, wir communiciren, wir lesen auch wohl. Gut. Allein Schleicht sich die leidige Gewohnheit in diese Handlun- gen nicht ein? So daß viel tausend in den Tempel, fast bloß nur aus Gewohnheit, gehen, Von allem, was sie beten, singen, und was sie hören, nichts verstehen; Und dennoch, mit sich wohl zufrieden, den einen Sonn- tag wie den andern, Ohn' Andacht, nach der Kirche hin, und ungebessert aus ihr, wandern? Sie
ein Neu-Jahrs-Gedicht. Dieß iſt nun heilſam, billig, noͤthig, doch einen Theil von unſerm Leben Der ewgen Quell der Zeiten, Gott, ſo viel an uns, zu uͤbergeben, Und, neben ihr, uns Jhm zu widmen. Dieß zeigt uns die Vernunft nicht nur, Zuſamt dem Beyſpiel vieler Voͤlker; wir haben eine klare Spuhr, Daß es der Schoͤpfer Selbſt geboten. Es ſoll, ſpricht Er, von allen Tagen, Der ſiebende Mir heilig ſeyn. Jſt es mir nun erlaubt, zu fragen: Wie heiligen wir dieſen Tag? Wir wirken nicht. Gut. Wie denn mehr? Wir gehen zweymal in die Kirche; und dieſes thun wir Gott zur Ehr. Gut. Was geſchicht dann in der Kirche? Wir hoͤren Gottes Wort, wir ſingen, Wir beten, wir communiciren, wir leſen auch wohl. Gut. Allein Schleicht ſich die leidige Gewohnheit in dieſe Handlun- gen nicht ein? So daß viel tauſend in den Tempel, faſt bloß nur aus Gewohnheit, gehen, Von allem, was ſie beten, ſingen, und was ſie hoͤren, nichts verſtehen; Und dennoch, mit ſich wohl zufrieden, den einen Sonn- tag wie den andern, Ohn’ Andacht, nach der Kirche hin, und ungebeſſert aus ihr, wandern? Sie
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Dieß iſt nun heilſam, billig, noͤthig, doch einen Theil
von unſerm Leben
Der ewgen Quell der Zeiten, Gott, ſo viel an uns,
zu uͤbergeben,
Und, neben ihr, uns Jhm zu widmen. Dieß zeigt uns
die Vernunft nicht nur,
Zuſamt dem Beyſpiel vieler Voͤlker; wir haben eine
klare Spuhr,
Daß es der Schoͤpfer Selbſt geboten. Es ſoll, ſpricht
Er, von allen Tagen,
Der ſiebende Mir heilig ſeyn. Jſt es mir nun
erlaubt, zu fragen:
Wie heiligen wir dieſen Tag? Wir wirken nicht.
Gut. Wie denn mehr?
Wir gehen zweymal in die Kirche; und dieſes thun
wir Gott zur Ehr.
Gut. Was geſchicht dann in der Kirche? Wir hoͤren
Gottes Wort, wir ſingen,
Wir beten, wir communiciren, wir leſen auch wohl.
Gut. Allein
Schleicht ſich die leidige Gewohnheit in dieſe Handlun-
gen nicht ein?
So daß viel tauſend in den Tempel, faſt bloß nur aus
Gewohnheit, gehen,
Von allem, was ſie beten, ſingen, und was ſie hoͤren,
nichts verſtehen;
Und dennoch, mit ſich wohl zufrieden, den einen Sonn-
tag wie den andern,
Ohn’ Andacht, nach der Kirche hin, und ungebeſſert
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