Das, was wir Menschen, Liebe nennen, ist anders nichts, als ein Verlangen, Von einem Vorwurf, den wir uns, durch Phantasey, selbst zugeschickt, Und, mehrentheils, mit selbst erdachten Vollkommenhei- ten ausgeschmückt, Ein vorgestelletes Vergnügen, zu unserm Besten, zu em- pfangen.
Die Meynung, und der süße Vorwand, als ob man bloß, in unserm Triebe, Auf der Geliebten Bestes sähe, dient gleichsam unsrer Eigen-Liebe Zum Frey-Brief', unsere Begierd' an der Geliebten zu entdecken; Da, unterm Schein der Gegen-Lieb, wir ihre Eigen- Lieb' erwecken.
Die Eigen-Liebe der Geliebten verblendet sie, daß sie vermeynt, Die Liebe dessen, der sie liebet, sey Lieb; ob es gleich nur so scheint: Sie glaubt, daß seine wahre Absicht, die doch nur Eigen- Lieb' allein, Ganz überzeugliche Beweise von ihrem Wehrt und Vor- zug seyn.
Wird
Unterſuchung der Liebe.
Das, was wir Menſchen, Liebe nennen, iſt anders nichts, als ein Verlangen, Von einem Vorwurf, den wir uns, durch Phantaſey, ſelbſt zugeſchickt, Und, mehrentheils, mit ſelbſt erdachten Vollkommenhei- ten ausgeſchmuͤckt, Ein vorgeſtelletes Vergnuͤgen, zu unſerm Beſten, zu em- pfangen.
Die Meynung, und der ſuͤße Vorwand, als ob man bloß, in unſerm Triebe, Auf der Geliebten Beſtes ſaͤhe, dient gleichſam unſrer Eigen-Liebe Zum Frey-Brief’, unſere Begierd’ an der Geliebten zu entdecken; Da, unterm Schein der Gegen-Lieb, wir ihre Eigen- Lieb’ erwecken.
Die Eigen-Liebe der Geliebten verblendet ſie, daß ſie vermeynt, Die Liebe deſſen, der ſie liebet, ſey Lieb; ob es gleich nur ſo ſcheint: Sie glaubt, daß ſeine wahre Abſicht, die doch nur Eigen- Lieb’ allein, Ganz uͤberzeugliche Beweiſe von ihrem Wehrt und Vor- zug ſeyn.
Wird
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[508/0522]
Unterſuchung der Liebe.
Das, was wir Menſchen, Liebe nennen, iſt anders
nichts, als ein Verlangen,
Von einem Vorwurf, den wir uns, durch Phantaſey,
ſelbſt zugeſchickt,
Und, mehrentheils, mit ſelbſt erdachten Vollkommenhei-
ten ausgeſchmuͤckt,
Ein vorgeſtelletes Vergnuͤgen, zu unſerm Beſten, zu em-
pfangen.
Die Meynung, und der ſuͤße Vorwand, als ob man
bloß, in unſerm Triebe,
Auf der Geliebten Beſtes ſaͤhe, dient gleichſam unſrer
Eigen-Liebe
Zum Frey-Brief’, unſere Begierd’ an der Geliebten
zu entdecken;
Da, unterm Schein der Gegen-Lieb, wir ihre Eigen-
Lieb’ erwecken.
Die Eigen-Liebe der Geliebten verblendet ſie, daß ſie
vermeynt,
Die Liebe deſſen, der ſie liebet, ſey Lieb; ob es gleich
nur ſo ſcheint:
Sie glaubt, daß ſeine wahre Abſicht, die doch nur Eigen-
Lieb’ allein,
Ganz uͤberzeugliche Beweiſe von ihrem Wehrt und Vor-
zug ſeyn.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/522>, abgerufen am 22.11.2024.
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