Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.Untersuchung Des Seiden-Wurms, in diesem Leben,Uns ein etwanigs Beyspiel geben: Als welcher, zu gewisser Zeit, Die groben Hülsen, und das Kleid, Das erst ihn einzuschränken pfleget, Wenn es verschrumpfet, von sich leget; Da man in einer schönern Haut, Aufs neu', ihn eingehüllet schaut. Daß aber unser Leib so zart, Daß man desselben Gegenwart Mit Augen nicht vermag zu sehen; Kann nichts beweisen: da uns ja Die große Luft, die uns so nah, Und, wie erweislich, wirklich da, Nicht sichtbar; wie du mußt gestehen. O welch ein heller Wahrheits-Schein Prägt hier sich meiner Seelen ein, Der, tausendfaches Widersprechen, Das hier so manchen Geist geplagt, Und, recht als wie ein Wurm, genagt, Vermögend, kräftiglich zu schwächen! Von welchem Geiste konnte sich Der Stand von unserm Geiste fassen, Noch seine Gränzen eigentlich, Als unbegränzt, begreifen lassen? Der hier im Körper immerdar Bisher verschränkt gewesen war, Und eben dadurch bloß allein, Ein Individuum zu seyn, Geschickt
Unterſuchung Des Seiden-Wurms, in dieſem Leben,Uns ein etwanigs Beyſpiel geben: Als welcher, zu gewiſſer Zeit, Die groben Huͤlſen, und das Kleid, Das erſt ihn einzuſchraͤnken pfleget, Wenn es verſchrumpfet, von ſich leget; Da man in einer ſchoͤnern Haut, Aufs neu’, ihn eingehuͤllet ſchaut. Daß aber unſer Leib ſo zart, Daß man deſſelben Gegenwart Mit Augen nicht vermag zu ſehen; Kann nichts beweiſen: da uns ja Die große Luft, die uns ſo nah, Und, wie erweislich, wirklich da, Nicht ſichtbar; wie du mußt geſtehen. O welch ein heller Wahrheits-Schein Praͤgt hier ſich meiner Seelen ein, Der, tauſendfaches Widerſprechen, Das hier ſo manchen Geiſt geplagt, Und, recht als wie ein Wurm, genagt, Vermoͤgend, kraͤftiglich zu ſchwaͤchen! Von welchem Geiſte konnte ſich Der Stand von unſerm Geiſte faſſen, Noch ſeine Graͤnzen eigentlich, Als unbegraͤnzt, begreifen laſſen? Der hier im Koͤrper immerdar Bisher verſchraͤnkt geweſen war, Und eben dadurch bloß allein, Ein Individuum zu ſeyn, Geſchickt
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Unterſuchung
Des Seiden-Wurms, in dieſem Leben,
Uns ein etwanigs Beyſpiel geben:
Als welcher, zu gewiſſer Zeit,
Die groben Huͤlſen, und das Kleid,
Das erſt ihn einzuſchraͤnken pfleget,
Wenn es verſchrumpfet, von ſich leget;
Da man in einer ſchoͤnern Haut,
Aufs neu’, ihn eingehuͤllet ſchaut.
Daß aber unſer Leib ſo zart,
Daß man deſſelben Gegenwart
Mit Augen nicht vermag zu ſehen;
Kann nichts beweiſen: da uns ja
Die große Luft, die uns ſo nah,
Und, wie erweislich, wirklich da,
Nicht ſichtbar; wie du mußt geſtehen.
O welch ein heller Wahrheits-Schein
Praͤgt hier ſich meiner Seelen ein,
Der, tauſendfaches Widerſprechen,
Das hier ſo manchen Geiſt geplagt,
Und, recht als wie ein Wurm, genagt,
Vermoͤgend, kraͤftiglich zu ſchwaͤchen!
Von welchem Geiſte konnte ſich
Der Stand von unſerm Geiſte faſſen,
Noch ſeine Graͤnzen eigentlich,
Als unbegraͤnzt, begreifen laſſen?
Der hier im Koͤrper immerdar
Bisher verſchraͤnkt geweſen war,
Und eben dadurch bloß allein,
Ein Individuum zu ſeyn,
Geſchickt
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