Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.zum irdischen Vergnügen in Gott. Dieser Ausspruch meines Geistes, da er sich selbst un- tersucht, Scheint, der einzgen Wahrheit Quelle, nämlich der Erfahrung, Frucht; Welcher, wenn man, bloß aus Stolz, alle Wahrheit nicht will schwächen, Und, aus Vorurtheil, nicht fehlen; billig nicht zu wider- sprechen. Doch noch weiter: wär es wohl unserm Geiste zu ver- übeln, Zur Erkenntniß unsers Ganzen, sich noch tiefer zu er- grübeln? Sollte die vernünftge Kraft, wenn sie auf sich selbst sich lenkt, Nicht was mehr von sich entdecken, als wenn sie auf sich nicht denkt, Oder andre denken läßt? Wenigstens faßt dieß mein Geist, Daß er sich selbst, nicht mit Unrecht, eine Kraft die den- ket, heißt. Aber, fass' ich auch, was Kraft? weis ich auch, was Denken sey? Welches in der That doch nöthig zu begreifen und zu wissen? Nein: und aus der Ursach eben bleibt mein Geist mit Recht dabey, Daß wir auf der Welt erschaffen zum Bewundern, zum Genießen, Und daß wir, daß wir hier bloß meynen sollen, meynen müssen, Welches mich nicht fremde deucht. Hat denn Gott den Erdenkreis Etwan Y 4
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Dieſer Ausſpruch meines Geiſtes, da er ſich ſelbſt un- terſucht, Scheint, der einzgen Wahrheit Quelle, naͤmlich der Erfahrung, Frucht; Welcher, wenn man, bloß aus Stolz, alle Wahrheit nicht will ſchwaͤchen, Und, aus Vorurtheil, nicht fehlen; billig nicht zu wider- ſprechen. Doch noch weiter: waͤr es wohl unſerm Geiſte zu ver- uͤbeln, Zur Erkenntniß unſers Ganzen, ſich noch tiefer zu er- gruͤbeln? Sollte die vernuͤnftge Kraft, wenn ſie auf ſich ſelbſt ſich lenkt, Nicht was mehr von ſich entdecken, als wenn ſie auf ſich nicht denkt, Oder andre denken laͤßt? Wenigſtens faßt dieß mein Geiſt, Daß er ſich ſelbſt, nicht mit Unrecht, eine Kraft die den- ket, heißt. Aber, faſſ’ ich auch, was Kraft? weis ich auch, was Denken ſey? Welches in der That doch noͤthig zu begreifen und zu wiſſen? Nein: und aus der Urſach eben bleibt mein Geiſt mit Recht dabey, Daß wir auf der Welt erſchaffen zum Bewundern, zum Genießen, Und daß wir, daß wir hier bloß meynen ſollen, meynen muͤſſen, Welches mich nicht fremde deucht. Hat denn Gott den Erdenkreis Etwan Y 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0363" n="343"/> <fw place="top" type="header">zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.</fw><lb/> <lg n="3"> <l>Dieſer Ausſpruch meines Geiſtes, da er ſich ſelbſt un-<lb/><hi rendition="#et">terſucht,</hi></l><lb/> <l>Scheint, der einzgen Wahrheit Quelle, naͤmlich der<lb/><hi rendition="#et">Erfahrung, Frucht;</hi></l><lb/> <l>Welcher, wenn man, bloß aus Stolz, alle Wahrheit<lb/><hi rendition="#et">nicht will ſchwaͤchen,</hi></l><lb/> <l>Und, aus Vorurtheil, nicht fehlen; billig nicht zu wider-<lb/><hi rendition="#et">ſprechen.</hi></l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch noch weiter: waͤr es wohl unſerm Geiſte zu ver-<lb/><hi rendition="#et">uͤbeln,</hi></l><lb/> <l>Zur Erkenntniß unſers Ganzen, ſich noch tiefer zu er-<lb/><hi rendition="#et">gruͤbeln?</hi></l><lb/> <l>Sollte die vernuͤnftge Kraft, wenn ſie auf ſich ſelbſt ſich<lb/><hi rendition="#et">lenkt,</hi></l><lb/> <l>Nicht was mehr von ſich entdecken, als wenn ſie auf ſich<lb/><hi rendition="#et">nicht denkt,</hi></l><lb/> <l>Oder andre denken laͤßt? Wenigſtens faßt dieß mein Geiſt,</l><lb/> <l>Daß er ſich ſelbſt, nicht mit Unrecht, eine Kraft die den-<lb/><hi rendition="#et">ket, heißt.</hi></l><lb/> <l>Aber, faſſ’ ich auch, was Kraft? weis ich auch, was<lb/><hi rendition="#et">Denken ſey?</hi></l><lb/> <l>Welches in der That doch noͤthig zu begreifen und zu<lb/><hi rendition="#et">wiſſen?</hi></l><lb/> <l>Nein: und aus der Urſach eben bleibt mein Geiſt mit<lb/><hi rendition="#et">Recht dabey,</hi></l><lb/> <l>Daß wir auf der Welt erſchaffen zum Bewundern, zum<lb/><hi rendition="#et">Genießen,</hi></l><lb/> <l>Und daß wir, daß wir hier bloß meynen ſollen, meynen<lb/><hi rendition="#et">muͤſſen,</hi></l><lb/> <l>Welches mich nicht fremde deucht. Hat denn Gott den<lb/><hi rendition="#et">Erdenkreis</hi></l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="sig">Y 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">Etwan</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [343/0363]
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Dieſer Ausſpruch meines Geiſtes, da er ſich ſelbſt un-
terſucht,
Scheint, der einzgen Wahrheit Quelle, naͤmlich der
Erfahrung, Frucht;
Welcher, wenn man, bloß aus Stolz, alle Wahrheit
nicht will ſchwaͤchen,
Und, aus Vorurtheil, nicht fehlen; billig nicht zu wider-
ſprechen.
Doch noch weiter: waͤr es wohl unſerm Geiſte zu ver-
uͤbeln,
Zur Erkenntniß unſers Ganzen, ſich noch tiefer zu er-
gruͤbeln?
Sollte die vernuͤnftge Kraft, wenn ſie auf ſich ſelbſt ſich
lenkt,
Nicht was mehr von ſich entdecken, als wenn ſie auf ſich
nicht denkt,
Oder andre denken laͤßt? Wenigſtens faßt dieß mein Geiſt,
Daß er ſich ſelbſt, nicht mit Unrecht, eine Kraft die den-
ket, heißt.
Aber, faſſ’ ich auch, was Kraft? weis ich auch, was
Denken ſey?
Welches in der That doch noͤthig zu begreifen und zu
wiſſen?
Nein: und aus der Urſach eben bleibt mein Geiſt mit
Recht dabey,
Daß wir auf der Welt erſchaffen zum Bewundern, zum
Genießen,
Und daß wir, daß wir hier bloß meynen ſollen, meynen
muͤſſen,
Welches mich nicht fremde deucht. Hat denn Gott den
Erdenkreis
Etwan
Y 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |