Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte
Etwan so erschaffen müssen, daß das menschliche Ge-
schlechte

Aller Dinge Grund erkennte, wenn es sie nur über-
dächte,

Und fast besser, als ein Engel, sich begreif, und alles
weis?

Jch erkenn den großen Vorzug, welchen wir, vor an-
dern Thieren,

An weit feinern Seelenkräften in der That in uns ver-
spüren;

Aber, daß sich diese Kraft so unendlich weit erstrecke,
Daß sich uns hier alles das, was ein Engel faßt, ent-
decke:

Dieß wär ein zu großer Sprung, welchen wir, in allen
Werken

Der bewegenden Natur, nirgend sehen, nirgend mer-
ken.

Scheints demnach, daß die Vernunft, durch die regel-
rechtste Schlüsse,

Dieß von ihren eignen Kräften billig folgern soll' und
müsse:

Daß die strenge Wissenssucht hier auf Erden, und der
Wille

Alles gründlich zu begreifen, bloß aus unserm Hochmuth
quille.


Nöthi-
Vermiſchte Gedichte
Etwan ſo erſchaffen muͤſſen, daß das menſchliche Ge-
ſchlechte

Aller Dinge Grund erkennte, wenn es ſie nur uͤber-
daͤchte,

Und faſt beſſer, als ein Engel, ſich begreif, und alles
weis?

Jch erkenn den großen Vorzug, welchen wir, vor an-
dern Thieren,

An weit feinern Seelenkraͤften in der That in uns ver-
ſpuͤren;

Aber, daß ſich dieſe Kraft ſo unendlich weit erſtrecke,
Daß ſich uns hier alles das, was ein Engel faßt, ent-
decke:

Dieß waͤr ein zu großer Sprung, welchen wir, in allen
Werken

Der bewegenden Natur, nirgend ſehen, nirgend mer-
ken.

Scheints demnach, daß die Vernunft, durch die regel-
rechtſte Schluͤſſe,

Dieß von ihren eignen Kraͤften billig folgern ſoll’ und
muͤſſe:

Daß die ſtrenge Wiſſensſucht hier auf Erden, und der
Wille

Alles gruͤndlich zu begreifen, bloß aus unſerm Hochmuth
quille.


Noͤthi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0364" n="344"/>
          <fw place="top" type="header">Vermi&#x017F;chte Gedichte</fw><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Etwan &#x017F;o er&#x017F;chaffen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß das men&#x017F;chliche Ge-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chlechte</hi></l><lb/>
            <l>Aller Dinge Grund erkennte, wenn es &#x017F;ie nur u&#x0364;ber-<lb/><hi rendition="#et">da&#x0364;chte,</hi></l><lb/>
            <l>Und fa&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er, als ein Engel, &#x017F;ich begreif, und alles<lb/><hi rendition="#et">weis?</hi></l><lb/>
            <l>Jch erkenn den großen Vorzug, welchen wir, vor an-<lb/><hi rendition="#et">dern Thieren,</hi></l><lb/>
            <l>An weit feinern Seelenkra&#x0364;ften in der That in uns ver-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;pu&#x0364;ren;</hi></l><lb/>
            <l>Aber, daß &#x017F;ich die&#x017F;e Kraft &#x017F;o unendlich weit er&#x017F;trecke,</l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ich uns hier alles das, was ein Engel faßt, ent-<lb/><hi rendition="#et">decke:</hi></l><lb/>
            <l>Dieß wa&#x0364;r ein zu großer Sprung, welchen wir, in allen<lb/><hi rendition="#et">Werken</hi></l><lb/>
            <l>Der bewegenden Natur, nirgend &#x017F;ehen, nirgend mer-<lb/><hi rendition="#et">ken.</hi></l><lb/>
            <l>Scheints demnach, daß die Vernunft, durch die regel-<lb/><hi rendition="#et">recht&#x017F;te Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</hi></l><lb/>
            <l>Dieß von ihren eignen Kra&#x0364;ften billig folgern &#x017F;oll&#x2019; und<lb/><hi rendition="#et">mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e:</hi></l><lb/>
            <l>Daß die &#x017F;trenge Wi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;ucht hier auf Erden, und der<lb/><hi rendition="#et">Wille</hi></l><lb/>
            <l>Alles gru&#x0364;ndlich zu begreifen, bloß aus un&#x017F;erm Hochmuth<lb/><hi rendition="#et">quille.</hi></l>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">No&#x0364;thi-</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0364] Vermiſchte Gedichte Etwan ſo erſchaffen muͤſſen, daß das menſchliche Ge- ſchlechte Aller Dinge Grund erkennte, wenn es ſie nur uͤber- daͤchte, Und faſt beſſer, als ein Engel, ſich begreif, und alles weis? Jch erkenn den großen Vorzug, welchen wir, vor an- dern Thieren, An weit feinern Seelenkraͤften in der That in uns ver- ſpuͤren; Aber, daß ſich dieſe Kraft ſo unendlich weit erſtrecke, Daß ſich uns hier alles das, was ein Engel faßt, ent- decke: Dieß waͤr ein zu großer Sprung, welchen wir, in allen Werken Der bewegenden Natur, nirgend ſehen, nirgend mer- ken. Scheints demnach, daß die Vernunft, durch die regel- rechtſte Schluͤſſe, Dieß von ihren eignen Kraͤften billig folgern ſoll’ und muͤſſe: Daß die ſtrenge Wiſſensſucht hier auf Erden, und der Wille Alles gruͤndlich zu begreifen, bloß aus unſerm Hochmuth quille. Noͤthi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/364
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/364>, abgerufen am 22.11.2024.