Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.
Nun * Die Unterredung mit sich selbst scheinet, nach dem
Rath des Grafen von Schafftsbury, eine be- trächtliche und nothwendige Sache zu seyn. Niemand wird das Amt eines Raths, eines Leh- rers, eines Freundes etc. besser bey uns verwalten können, als wir selbst. Es ist wahrscheinlich, daß durch ein solches Ge- spräch alles dasjenige erhalten wird, was man sonst durch das Gewissen zu erhalten vermeynet. Wie gut die Lehre vom Gewissen und wie nöthig sie ist; so scheinet doch, daß mit diesem Wort sich einige Jdeen verknüpfet haben, welche, da sie uns das Gewissen zu ernsthaft vorstellen, eine Art von Ab- kehr, sich von ihm beurtheilen zu lassen, in uns erregen, wodurch wir gleichsam abgehalten werden, uns demselben zu unterwerfen. Dieses würde ver- muthlich
Nun * Die Unterredung mit ſich ſelbſt ſcheinet, nach dem
Rath des Grafen von Schafftsbury, eine be- traͤchtliche und nothwendige Sache zu ſeyn. Niemand wird das Amt eines Raths, eines Leh- rers, eines Freundes ꝛc. beſſer bey uns verwalten koͤnnen, als wir ſelbſt. Es iſt wahrſcheinlich, daß durch ein ſolches Ge- ſpraͤch alles dasjenige erhalten wird, was man ſonſt durch das Gewiſſen zu erhalten vermeynet. Wie gut die Lehre vom Gewiſſen und wie noͤthig ſie iſt; ſo ſcheinet doch, daß mit dieſem Wort ſich einige Jdeen verknuͤpfet haben, welche, da ſie uns das Gewiſſen zu ernſthaft vorſtellen, eine Art von Ab- kehr, ſich von ihm beurtheilen zu laſſen, in uns erregen, wodurch wir gleichſam abgehalten werden, uns demſelben zu unterwerfen. Dieſes wuͤrde ver- muthlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg n="26"> <l> <pb facs="#f0496" n="476"/> <fw place="top" type="header">Vermiſchte Gedichte</fw> </l><lb/> <l>Wie oder, ob in unſrer Seele dieß wo auf eine Art be-<lb/><hi rendition="#et">ſtehe,</hi></l><lb/> <l>Daß ſie ſelbſt mit ſich gleichſam rede, und eine Faͤhigkeit<lb/><hi rendition="#et">beſitze,</hi></l><lb/> <l>Jhr ſelber etwas vorzutragen,</l><lb/> <l>Ja faſt als waͤre ſie getheilt, ſich gleichſam ſelbſt um Rath<lb/><hi rendition="#et">zu fragen,</hi></l><lb/> <l>Und uͤber Dinge, die ihr ſchaͤdlich, auch uͤber ſolche,<lb/><hi rendition="#et">die ihr nuͤtze,</hi></l><lb/> <l>Sie ihr ſelbſt Antwort koͤnne ſagen,</l><lb/> <l>Jſt wohl ſo leicht nicht zu erklaͤren.</l><lb/> <l>Doch kann hie von was recht beſonders der große Schaffts-<lb/><hi rendition="#et">bury uns lehren <note xml:id="f01" next="#f02" place="foot" n="*">Die Unterredung mit ſich ſelbſt ſcheinet, nach dem<lb/> Rath des Grafen von Schafftsbury, eine be-<lb/> traͤchtliche und nothwendige Sache zu ſeyn.<lb/> Niemand wird das Amt eines Raths, eines Leh-<lb/> rers, eines Freundes ꝛc. beſſer bey uns verwalten<lb/> koͤnnen, als wir ſelbſt.<lb/> Es iſt wahrſcheinlich, daß durch ein ſolches Ge-<lb/> ſpraͤch alles dasjenige erhalten wird, was man ſonſt<lb/> durch das Gewiſſen zu erhalten vermeynet. Wie<lb/> gut die Lehre vom Gewiſſen und wie noͤthig ſie iſt;<lb/> ſo ſcheinet doch, daß mit dieſem Wort ſich einige<lb/> Jdeen verknuͤpfet haben, welche, da ſie uns das<lb/> Gewiſſen zu ernſthaft vorſtellen, eine Art von Ab-<lb/> kehr, ſich von ihm beurtheilen zu laſſen, in uns<lb/> erregen, wodurch wir gleichſam abgehalten werden,<lb/> uns demſelben zu unterwerfen. Dieſes wuͤrde ver-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">muthlich</fw></note>,</hi></l><lb/> <l>Wenn er, zum Beyſpiel, folgends ſchreibt.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nun</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [476/0496]
Vermiſchte Gedichte
Wie oder, ob in unſrer Seele dieß wo auf eine Art be-
ſtehe,
Daß ſie ſelbſt mit ſich gleichſam rede, und eine Faͤhigkeit
beſitze,
Jhr ſelber etwas vorzutragen,
Ja faſt als waͤre ſie getheilt, ſich gleichſam ſelbſt um Rath
zu fragen,
Und uͤber Dinge, die ihr ſchaͤdlich, auch uͤber ſolche,
die ihr nuͤtze,
Sie ihr ſelbſt Antwort koͤnne ſagen,
Jſt wohl ſo leicht nicht zu erklaͤren.
Doch kann hie von was recht beſonders der große Schaffts-
bury uns lehren *,
Wenn er, zum Beyſpiel, folgends ſchreibt.
Nun
* Die Unterredung mit ſich ſelbſt ſcheinet, nach dem
Rath des Grafen von Schafftsbury, eine be-
traͤchtliche und nothwendige Sache zu ſeyn.
Niemand wird das Amt eines Raths, eines Leh-
rers, eines Freundes ꝛc. beſſer bey uns verwalten
koͤnnen, als wir ſelbſt.
Es iſt wahrſcheinlich, daß durch ein ſolches Ge-
ſpraͤch alles dasjenige erhalten wird, was man ſonſt
durch das Gewiſſen zu erhalten vermeynet. Wie
gut die Lehre vom Gewiſſen und wie noͤthig ſie iſt;
ſo ſcheinet doch, daß mit dieſem Wort ſich einige
Jdeen verknuͤpfet haben, welche, da ſie uns das
Gewiſſen zu ernſthaft vorſtellen, eine Art von Ab-
kehr, ſich von ihm beurtheilen zu laſſen, in uns
erregen, wodurch wir gleichſam abgehalten werden,
uns demſelben zu unterwerfen. Dieſes wuͤrde ver-
muthlich
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