Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
zum irdischen Vergnügen in Gott.
Der Nächster.
Du fragst, wie jener Pharisäer, mit Recht: wer doch
dein Nächster sey?
Drauf füg' ich dieses der Erklärung von jenem Sama-
riter bey:
Es sind die alle deine Nächsten, die auf dem Zirkel die-
ser Welt
Durch den allmächtigen Beherrscher zu einer Zeit sind
hingestellt.

Die Wahrheit scheint ein solches Wesen, von welchem
wir gestehen müssen,
Daß Ungelehrte nichts von ihr, Gelehrte nur den Na-
men, wissen.
Begnügen sich nun große Geister mit ihrem Namen bloß
allein;
Wie herrlich und wie voller Liebreiz muß denn die Wahr-
heit selbst nicht seyn!

So oft ich meinem eignen Wesen und meinem Daseyn
nachgedacht;
So schein ich mir ein Tag zu seyn, und Gott die Sonne,
die ihn macht.

Man wird die Kreaturen können
Mit Wahrheit nichts als Arten nennen,
Durch welche Gott, zu Seinem Preise,
Uns, daß Er ist, beweise.
Gewiß,
L l 2
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Der Naͤchſter.
Du fragſt, wie jener Phariſaͤer, mit Recht: wer doch
dein Naͤchſter ſey?
Drauf fuͤg’ ich dieſes der Erklaͤrung von jenem Sama-
riter bey:
Es ſind die alle deine Naͤchſten, die auf dem Zirkel die-
ſer Welt
Durch den allmaͤchtigen Beherrſcher zu einer Zeit ſind
hingeſtellt.

Die Wahrheit ſcheint ein ſolches Weſen, von welchem
wir geſtehen muͤſſen,
Daß Ungelehrte nichts von ihr, Gelehrte nur den Na-
men, wiſſen.
Begnuͤgen ſich nun große Geiſter mit ihrem Namen bloß
allein;
Wie herrlich und wie voller Liebreiz muß denn die Wahr-
heit ſelbſt nicht ſeyn!

So oft ich meinem eignen Weſen und meinem Daſeyn
nachgedacht;
So ſchein ich mir ein Tag zu ſeyn, und Gott die Sonne,
die ihn macht.

Man wird die Kreaturen koͤnnen
Mit Wahrheit nichts als Arten nennen,
Durch welche Gott, zu Seinem Preiſe,
Uns, daß Er iſt, beweiſe.
Gewiß,
L l 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0551" n="531"/>
            <fw place="top" type="header">zum irdi&#x017F;chen Vergnu&#x0364;gen in Gott.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Der Na&#x0364;ch&#x017F;ter.</hi> </head><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>u frag&#x017F;t, wie jener Phari&#x017F;a&#x0364;er, mit Recht: wer doch</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">dein Na&#x0364;ch&#x017F;ter &#x017F;ey?</hi> </l><lb/>
                <l>Drauf fu&#x0364;g&#x2019; ich die&#x017F;es der Erkla&#x0364;rung von jenem Sama-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">riter bey:</hi> </l><lb/>
                <l>Es &#x017F;ind die alle deine Na&#x0364;ch&#x017F;ten, die auf dem Zirkel die-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;er Welt</hi> </l><lb/>
                <l>Durch den allma&#x0364;chtigen Beherr&#x017F;cher zu einer Zeit &#x017F;ind</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">hinge&#x017F;tellt.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>ie Wahrheit &#x017F;cheint ein &#x017F;olches We&#x017F;en, von welchem</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">wir ge&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
                <l>Daß Ungelehrte nichts von ihr, Gelehrte nur den Na-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">men, wi&#x017F;&#x017F;en.</hi> </l><lb/>
                <l>Begnu&#x0364;gen &#x017F;ich nun große Gei&#x017F;ter mit ihrem Namen bloß</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">allein;</hi> </l><lb/>
                <l>Wie herrlich und wie voller Liebreiz muß denn die Wahr-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">heit &#x017F;elb&#x017F;t nicht &#x017F;eyn!</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">S</hi>o oft ich meinem eignen We&#x017F;en und meinem Da&#x017F;eyn</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nachgedacht;</hi> </l><lb/>
                <l>So &#x017F;chein ich mir ein Tag zu &#x017F;eyn, und Gott die Sonne,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">die ihn macht.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an wird die Kreaturen ko&#x0364;nnen</l><lb/>
                <l>Mit Wahrheit nichts als Arten nennen,</l><lb/>
                <l>Durch welche Gott, zu Seinem Prei&#x017F;e,</l><lb/>
                <l>Uns, daß Er i&#x017F;t, bewei&#x017F;e.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">L l 2</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Gewiß,</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[531/0551] zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott. Der Naͤchſter. Du fragſt, wie jener Phariſaͤer, mit Recht: wer doch dein Naͤchſter ſey? Drauf fuͤg’ ich dieſes der Erklaͤrung von jenem Sama- riter bey: Es ſind die alle deine Naͤchſten, die auf dem Zirkel die- ſer Welt Durch den allmaͤchtigen Beherrſcher zu einer Zeit ſind hingeſtellt. Die Wahrheit ſcheint ein ſolches Weſen, von welchem wir geſtehen muͤſſen, Daß Ungelehrte nichts von ihr, Gelehrte nur den Na- men, wiſſen. Begnuͤgen ſich nun große Geiſter mit ihrem Namen bloß allein; Wie herrlich und wie voller Liebreiz muß denn die Wahr- heit ſelbſt nicht ſeyn! So oft ich meinem eignen Weſen und meinem Daſeyn nachgedacht; So ſchein ich mir ein Tag zu ſeyn, und Gott die Sonne, die ihn macht. Man wird die Kreaturen koͤnnen Mit Wahrheit nichts als Arten nennen, Durch welche Gott, zu Seinem Preiſe, Uns, daß Er iſt, beweiſe. Gewiß, L l 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/551
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/551>, abgerufen am 22.11.2024.