Gewiß, es wär an einem Vieh die Frechheit minder zu verübeln, Wenn es dein' Absicht, deine Schlüsse bemühet wäre zu ergrübeln; Als daß dein unverschämter Stolz der Gottheit Uner- mäßlichkeit Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen sich zu ergründen un- terstehet. Da ja der Abstand deines Geistes zu göttlicher Vollkom- menheit, Den Abstand zwischen einem Vieh und dir, unendlich übergehet.
Was heißet Seyn? ich fass' es nicht. Doch giebt mir die Vernunft so viel Bericht: Daß man das Seyn allein Von Gott mit Wahrheit sagen könne. Auch giebt die Schrift den Unterricht, Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne. Kann eine Kreatur denn seyn? Nach meiner Meynung sag ich: Nein. Und würd' ich denen, die mich fragen, Viel eh', als daß wir seyn, daß wir nur werden, sagen.
Das Denken scheinet eine Kraft sich Etwas bloß nur vorzustellen, Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein Urthel fällen. Nun fragt sichs, Stolz und Zank zu dämpfen, ob wir da- her nicht billig schließen: Daß Thiere denken, Menschen meynen, und daß allein die Engel wissen?
Aus
Vermiſchte Gedichte
Gewiß, es waͤr an einem Vieh die Frechheit minder zu veruͤbeln, Wenn es dein’ Abſicht, deine Schluͤſſe bemuͤhet waͤre zu ergruͤbeln; Als daß dein unverſchaͤmter Stolz der Gottheit Uner- maͤßlichkeit Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen ſich zu ergruͤnden un- terſtehet. Da ja der Abſtand deines Geiſtes zu goͤttlicher Vollkom- menheit, Den Abſtand zwiſchen einem Vieh und dir, unendlich uͤbergehet.
Was heißet Seyn? ich faſſ’ es nicht. Doch giebt mir die Vernunft ſo viel Bericht: Daß man das Seyn allein Von Gott mit Wahrheit ſagen koͤnne. Auch giebt die Schrift den Unterricht, Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne. Kann eine Kreatur denn ſeyn? Nach meiner Meynung ſag ich: Nein. Und wuͤrd’ ich denen, die mich fragen, Viel eh’, als daß wir ſeyn, daß wir nur werden, ſagen.
Das Denken ſcheinet eine Kraft ſich Etwas bloß nur vorzuſtellen, Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein Urthel faͤllen. Nun fragt ſichs, Stolz und Zank zu daͤmpfen, ob wir da- her nicht billig ſchließen: Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß allein die Engel wiſſen?
Aus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0552"n="532"/><fwplace="top"type="header">Vermiſchte Gedichte</fw><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">G</hi>ewiß, es waͤr an einem Vieh die Frechheit minder</l><lb/><l><hirendition="#et">zu veruͤbeln,</hi></l><lb/><l>Wenn es dein’ Abſicht, deine Schluͤſſe bemuͤhet waͤre zu</l><lb/><l><hirendition="#et">ergruͤbeln;</hi></l><lb/><l>Als daß dein unverſchaͤmter Stolz der Gottheit Uner-</l><lb/><l><hirendition="#et">maͤßlichkeit</hi></l><lb/><l>Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen ſich zu ergruͤnden un-</l><lb/><l><hirendition="#et">terſtehet.</hi></l><lb/><l>Da ja der Abſtand deines Geiſtes zu goͤttlicher Vollkom-</l><lb/><l><hirendition="#et">menheit,</hi></l><lb/><l>Den Abſtand zwiſchen einem Vieh und dir, unendlich</l><lb/><l><hirendition="#et">uͤbergehet.</hi></l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">W</hi>as heißet Seyn? ich faſſ’ es nicht.</l><lb/><l>Doch giebt mir die Vernunft ſo viel Bericht:</l><lb/><l>Daß man das Seyn allein</l><lb/><l>Von Gott mit Wahrheit ſagen koͤnne.</l><lb/><l>Auch giebt die Schrift den Unterricht,</l><lb/><l>Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne.</l><lb/><l>Kann eine Kreatur denn ſeyn?</l><lb/><l>Nach meiner Meynung ſag ich: Nein.</l><lb/><l>Und wuͤrd’ ich denen, die mich fragen,</l><lb/><l>Viel eh’, als daß wir ſeyn, daß wir nur werden, ſagen.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">D</hi>as Denken ſcheinet eine Kraft ſich Etwas bloß nur</l><lb/><l><hirendition="#et">vorzuſtellen,</hi></l><lb/><l>Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein</l><lb/><l><hirendition="#et">Urthel faͤllen.</hi></l><lb/><l>Nun fragt ſichs, Stolz und Zank zu daͤmpfen, ob wir da-</l><lb/><l><hirendition="#et">her nicht billig ſchließen:</hi></l><lb/><l>Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß allein die</l><lb/><l><hirendition="#et">Engel wiſſen?</hi></l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Aus</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[532/0552]
Vermiſchte Gedichte
Gewiß, es waͤr an einem Vieh die Frechheit minder
zu veruͤbeln,
Wenn es dein’ Abſicht, deine Schluͤſſe bemuͤhet waͤre zu
ergruͤbeln;
Als daß dein unverſchaͤmter Stolz der Gottheit Uner-
maͤßlichkeit
Und Seiner Weisheit tiefe Tiefen ſich zu ergruͤnden un-
terſtehet.
Da ja der Abſtand deines Geiſtes zu goͤttlicher Vollkom-
menheit,
Den Abſtand zwiſchen einem Vieh und dir, unendlich
uͤbergehet.
Was heißet Seyn? ich faſſ’ es nicht.
Doch giebt mir die Vernunft ſo viel Bericht:
Daß man das Seyn allein
Von Gott mit Wahrheit ſagen koͤnne.
Auch giebt die Schrift den Unterricht,
Daß Er: Jch bin der, der Jch bin, Sich nenne.
Kann eine Kreatur denn ſeyn?
Nach meiner Meynung ſag ich: Nein.
Und wuͤrd’ ich denen, die mich fragen,
Viel eh’, als daß wir ſeyn, daß wir nur werden, ſagen.
Das Denken ſcheinet eine Kraft ſich Etwas bloß nur
vorzuſtellen,
Das Meynen, eigentlich von dem, was man gedenkt, ein
Urthel faͤllen.
Nun fragt ſichs, Stolz und Zank zu daͤmpfen, ob wir da-
her nicht billig ſchließen:
Daß Thiere denken, Menſchen meynen, und daß allein die
Engel wiſſen?
Aus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/552>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.