Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

blieben. Es war dieses eine große Unbequemlichkeit
für alle Personen vom Stande, weil sie einen Ort,
wo alles im Ueberflusse war, gegen einen, wo alles
theuer und selten war, verlassen mußten.

Diesen Winter kam der Czarowitz nach Moskau,Person und
Sitten des
Czarowitz.

wo ich ihn zum ersten Mahle sahe. Er hatte ein ge-
ringes Finländisches Mädchen zur Maitresse. Wir
haben ihm öfters mit dem General unsere Aufwartung
gemacht, und er kam auch mehrmals zu dem Gene-
ral, und hatte gemeiniglich niedrige und geringe Per-
sonen um sich. Er hielt sich sehr schmutzig in der
Kleidung; er war lang und wohl gewachsen, hatte
ein bräunlichtes Gesicht, schwarzes Haar und Augen,
ein ernsthaftes Ansehen und eine grobe Stimme. Er
that mir öfters die Ehre an, deutsch mit mir zu spre-
chen, weil er diese Sprache vollkommen konnte.
Das gemeine Volk betete ihn an, dagegen die Vor-
nehmen ihn wenig schätzten, gegen die er niemals die
geringste Hochachtung bewies. Er war beständig
von einer Menge schwelgerischer unwissender Priester,
und anderer geringer Personen von schlechtem Charak-
ter umringet, in deren Gesellschaft er beständig wider
seines Vaters Abschaffung der alten Gewohnheiten
dieses Landes eiferte, und sagte, daß er, so bald er
zur Regierung gelangen würde, Rußland wieder in
seinen vorigen Zustand setzen wolle. Er drohete zu-
gleich öffentlich, seines Vaters Lieblinge alle auszu-
rotten. Dieses that er so oft und mit so wenig Vor-
sicht, daß es dem Kaiser beygebracht werden mußte,
und man glaubte durchgängig, daß er jetzt den Grund
zu seinem Unglücke, das ihm hernach widerfuhr, ge-
legt habe. Der Czarowitz blieb, bis der Kaiser nach

Peters-
H 3

blieben. Es war dieſes eine große Unbequemlichkeit
fuͤr alle Perſonen vom Stande, weil ſie einen Ort,
wo alles im Ueberfluſſe war, gegen einen, wo alles
theuer und ſelten war, verlaſſen mußten.

Dieſen Winter kam der Czarowitz nach Moskau,Perſon und
Sitten des
Czarowitz.

wo ich ihn zum erſten Mahle ſahe. Er hatte ein ge-
ringes Finlaͤndiſches Maͤdchen zur Maitreſſe. Wir
haben ihm oͤfters mit dem General unſere Aufwartung
gemacht, und er kam auch mehrmals zu dem Gene-
ral, und hatte gemeiniglich niedrige und geringe Per-
ſonen um ſich. Er hielt ſich ſehr ſchmutzig in der
Kleidung; er war lang und wohl gewachſen, hatte
ein braͤunlichtes Geſicht, ſchwarzes Haar und Augen,
ein ernſthaftes Anſehen und eine grobe Stimme. Er
that mir oͤfters die Ehre an, deutſch mit mir zu ſpre-
chen, weil er dieſe Sprache vollkommen konnte.
Das gemeine Volk betete ihn an, dagegen die Vor-
nehmen ihn wenig ſchaͤtzten, gegen die er niemals die
geringſte Hochachtung bewies. Er war beſtaͤndig
von einer Menge ſchwelgeriſcher unwiſſender Prieſter,
und anderer geringer Perſonen von ſchlechtem Charak-
ter umringet, in deren Geſellſchaft er beſtaͤndig wider
ſeines Vaters Abſchaffung der alten Gewohnheiten
dieſes Landes eiferte, und ſagte, daß er, ſo bald er
zur Regierung gelangen wuͤrde, Rußland wieder in
ſeinen vorigen Zuſtand ſetzen wolle. Er drohete zu-
gleich oͤffentlich, ſeines Vaters Lieblinge alle auszu-
rotten. Dieſes that er ſo oft und mit ſo wenig Vor-
ſicht, daß es dem Kaiſer beygebracht werden mußte,
und man glaubte durchgaͤngig, daß er jetzt den Grund
zu ſeinem Ungluͤcke, das ihm hernach widerfuhr, ge-
legt habe. Der Czarowitz blieb, bis der Kaiſer nach

Peters-
H 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="117"/>
blieben. Es war die&#x017F;es eine große Unbequemlichkeit<lb/>
fu&#x0364;r alle Per&#x017F;onen vom Stande, weil &#x017F;ie einen Ort,<lb/>
wo alles im Ueberflu&#x017F;&#x017F;e war, gegen einen, wo alles<lb/>
theuer und &#x017F;elten war, verla&#x017F;&#x017F;en mußten.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;en Winter kam der Czarowitz nach Moskau,<note place="right">Per&#x017F;on und<lb/>
Sitten des<lb/>
Czarowitz.</note><lb/>
wo ich ihn zum er&#x017F;ten Mahle &#x017F;ahe. Er hatte ein ge-<lb/>
ringes Finla&#x0364;ndi&#x017F;ches Ma&#x0364;dchen zur Maitre&#x017F;&#x017F;e. Wir<lb/>
haben ihm o&#x0364;fters mit dem General un&#x017F;ere Aufwartung<lb/>
gemacht, und er kam auch mehrmals zu dem Gene-<lb/>
ral, und hatte gemeiniglich niedrige und geringe Per-<lb/>
&#x017F;onen um &#x017F;ich. Er hielt &#x017F;ich &#x017F;ehr &#x017F;chmutzig in der<lb/>
Kleidung; er war lang und wohl gewach&#x017F;en, hatte<lb/>
ein bra&#x0364;unlichtes Ge&#x017F;icht, &#x017F;chwarzes Haar und Augen,<lb/>
ein ern&#x017F;thaftes An&#x017F;ehen und eine grobe Stimme. Er<lb/>
that mir o&#x0364;fters die Ehre an, deut&#x017F;ch mit mir zu &#x017F;pre-<lb/>
chen, weil er die&#x017F;e Sprache vollkommen konnte.<lb/>
Das gemeine Volk betete ihn an, dagegen die Vor-<lb/>
nehmen ihn wenig &#x017F;cha&#x0364;tzten, gegen die er niemals die<lb/>
gering&#x017F;te Hochachtung bewies. Er war be&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
von einer Menge &#x017F;chwelgeri&#x017F;cher unwi&#x017F;&#x017F;ender Prie&#x017F;ter,<lb/>
und anderer geringer Per&#x017F;onen von &#x017F;chlechtem Charak-<lb/>
ter umringet, in deren Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft er be&#x017F;ta&#x0364;ndig wider<lb/>
&#x017F;eines Vaters Ab&#x017F;chaffung der alten Gewohnheiten<lb/>
die&#x017F;es Landes eiferte, und &#x017F;agte, daß er, &#x017F;o bald er<lb/>
zur Regierung gelangen wu&#x0364;rde, Rußland wieder in<lb/>
&#x017F;einen vorigen Zu&#x017F;tand &#x017F;etzen wolle. Er drohete zu-<lb/>
gleich o&#x0364;ffentlich, &#x017F;eines Vaters Lieblinge alle auszu-<lb/>
rotten. Die&#x017F;es that er &#x017F;o oft und mit &#x017F;o wenig Vor-<lb/>
&#x017F;icht, daß es dem Kai&#x017F;er beygebracht werden mußte,<lb/>
und man glaubte durchga&#x0364;ngig, daß er jetzt den Grund<lb/>
zu &#x017F;einem Unglu&#x0364;cke, das ihm hernach widerfuhr, ge-<lb/>
legt habe. Der Czarowitz blieb, bis der Kai&#x017F;er nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Peters-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] blieben. Es war dieſes eine große Unbequemlichkeit fuͤr alle Perſonen vom Stande, weil ſie einen Ort, wo alles im Ueberfluſſe war, gegen einen, wo alles theuer und ſelten war, verlaſſen mußten. Dieſen Winter kam der Czarowitz nach Moskau, wo ich ihn zum erſten Mahle ſahe. Er hatte ein ge- ringes Finlaͤndiſches Maͤdchen zur Maitreſſe. Wir haben ihm oͤfters mit dem General unſere Aufwartung gemacht, und er kam auch mehrmals zu dem Gene- ral, und hatte gemeiniglich niedrige und geringe Per- ſonen um ſich. Er hielt ſich ſehr ſchmutzig in der Kleidung; er war lang und wohl gewachſen, hatte ein braͤunlichtes Geſicht, ſchwarzes Haar und Augen, ein ernſthaftes Anſehen und eine grobe Stimme. Er that mir oͤfters die Ehre an, deutſch mit mir zu ſpre- chen, weil er dieſe Sprache vollkommen konnte. Das gemeine Volk betete ihn an, dagegen die Vor- nehmen ihn wenig ſchaͤtzten, gegen die er niemals die geringſte Hochachtung bewies. Er war beſtaͤndig von einer Menge ſchwelgeriſcher unwiſſender Prieſter, und anderer geringer Perſonen von ſchlechtem Charak- ter umringet, in deren Geſellſchaft er beſtaͤndig wider ſeines Vaters Abſchaffung der alten Gewohnheiten dieſes Landes eiferte, und ſagte, daß er, ſo bald er zur Regierung gelangen wuͤrde, Rußland wieder in ſeinen vorigen Zuſtand ſetzen wolle. Er drohete zu- gleich oͤffentlich, ſeines Vaters Lieblinge alle auszu- rotten. Dieſes that er ſo oft und mit ſo wenig Vor- ſicht, daß es dem Kaiſer beygebracht werden mußte, und man glaubte durchgaͤngig, daß er jetzt den Grund zu ſeinem Ungluͤcke, das ihm hernach widerfuhr, ge- legt habe. Der Czarowitz blieb, bis der Kaiſer nach Peters- Perſon und Sitten des Czarowitz. H 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/127
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/127>, abgerufen am 25.11.2024.