Türken wurden in ihrer Rechnung eben so sehr betrogen, als wir; denn da einige ihrer Befehlshaber dem Für- sten Cantemir sehr übel begegneten, so verzögerte er den Bau der Brücke, an Statt ihn zu beschleunigen, und schickte indessen einen Officier an den Czar, und ließ denselben bitten, in aller Eil mit 30000 Mann zu ihm zu stoßen, indem er glaubte, daß diese Macht nebst seinen eigenen Truppen hinlänglich im Stande sey, die Türken an dem Uebergange über die Donau zu hindern. Da der Czar eben von dem Branco- wen war hintergangen worden, (denn er machte sich nachmals bey den Türken ein Verdienst daraus,) so trauete er dem Fürsten Cantemir anfänglich nicht, und hernach war es zu spät, den Uebergang zu hindern.
Kriegesrath am Dniester.
Den 14ten Jun. gieng unsere Armee über den Dnie- ster, worauf der Czar einen Kriegesrath berief, der in des General Bruce's Zelt gehalten ward, wobey man zugleich den Brief des Fürsten Cantemir verlas. Der Czar war nunmehr der Meynung, vorwärts zu rücken, ohne auf die übrigen Truppen zu warten, und alle Generals billigten solches, den General Hallard ausgenommen, welcher nichts sagte. Da der Czar dessen Stillschweigen bemerkte, so befahl er ihm, sei- ne Meynung frey zu sagen. Der General versetzte, da der Kriegesrath so einmüthig sey, so würde er sich nicht unterstanden haben, einen Einwurf zu machen, wenn der Czar es nicht ausdrücklich befohlen hätte. Er sagte hierauf, wie er sich sehr wundere, daß man das Schicksal des Königes von Schweden nicht als ei- ne hinlängliche Warnung ansehe. Dieser Monarch sey durch den Verräther Mazeppa zu einem Fehltritte
verlei-
Tuͤrken wurden in ihrer Rechnung eben ſo ſehr betrogen, als wir; denn da einige ihrer Befehlshaber dem Fuͤr- ſten Cantemir ſehr uͤbel begegneten, ſo verzoͤgerte er den Bau der Bruͤcke, an Statt ihn zu beſchleunigen, und ſchickte indeſſen einen Officier an den Czar, und ließ denſelben bitten, in aller Eil mit 30000 Mann zu ihm zu ſtoßen, indem er glaubte, daß dieſe Macht nebſt ſeinen eigenen Truppen hinlaͤnglich im Stande ſey, die Tuͤrken an dem Uebergange uͤber die Donau zu hindern. Da der Czar eben von dem Branco- wen war hintergangen worden, (denn er machte ſich nachmals bey den Tuͤrken ein Verdienſt daraus,) ſo trauete er dem Fuͤrſten Cantemir anfaͤnglich nicht, und hernach war es zu ſpaͤt, den Uebergang zu hindern.
Kriegesrath am Dnieſter.
Den 14ten Jun. gieng unſere Armee uͤber den Dnie- ſter, worauf der Czar einen Kriegesrath berief, der in des General Bruce’s Zelt gehalten ward, wobey man zugleich den Brief des Fuͤrſten Cantemir verlas. Der Czar war nunmehr der Meynung, vorwaͤrts zu ruͤcken, ohne auf die uͤbrigen Truppen zu warten, und alle Generals billigten ſolches, den General Hallard ausgenommen, welcher nichts ſagte. Da der Czar deſſen Stillſchweigen bemerkte, ſo befahl er ihm, ſei- ne Meynung frey zu ſagen. Der General verſetzte, da der Kriegesrath ſo einmuͤthig ſey, ſo wuͤrde er ſich nicht unterſtanden haben, einen Einwurf zu machen, wenn der Czar es nicht ausdruͤcklich befohlen haͤtte. Er ſagte hierauf, wie er ſich ſehr wundere, daß man das Schickſal des Koͤniges von Schweden nicht als ei- ne hinlaͤngliche Warnung anſehe. Dieſer Monarch ſey durch den Verraͤther Mazeppa zu einem Fehltritte
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Tuͤrken wurden in ihrer Rechnung eben ſo ſehr betrogen,
als wir; denn da einige ihrer Befehlshaber dem Fuͤr-
ſten Cantemir ſehr uͤbel begegneten, ſo verzoͤgerte er
den Bau der Bruͤcke, an Statt ihn zu beſchleunigen,
und ſchickte indeſſen einen Officier an den Czar, und
ließ denſelben bitten, in aller Eil mit 30000 Mann
zu ihm zu ſtoßen, indem er glaubte, daß dieſe Macht
nebſt ſeinen eigenen Truppen hinlaͤnglich im Stande
ſey, die Tuͤrken an dem Uebergange uͤber die Donau
zu hindern. Da der Czar eben von dem Branco-
wen war hintergangen worden, (denn er machte ſich
nachmals bey den Tuͤrken ein Verdienſt daraus,) ſo
trauete er dem Fuͤrſten Cantemir anfaͤnglich nicht,
und hernach war es zu ſpaͤt, den Uebergang zu
hindern.
Den 14ten Jun. gieng unſere Armee uͤber den Dnie-
ſter, worauf der Czar einen Kriegesrath berief, der
in des General Bruce’s Zelt gehalten ward, wobey
man zugleich den Brief des Fuͤrſten Cantemir verlas.
Der Czar war nunmehr der Meynung, vorwaͤrts zu
ruͤcken, ohne auf die uͤbrigen Truppen zu warten, und
alle Generals billigten ſolches, den General Hallard
ausgenommen, welcher nichts ſagte. Da der Czar
deſſen Stillſchweigen bemerkte, ſo befahl er ihm, ſei-
ne Meynung frey zu ſagen. Der General verſetzte,
da der Kriegesrath ſo einmuͤthig ſey, ſo wuͤrde er ſich
nicht unterſtanden haben, einen Einwurf zu machen,
wenn der Czar es nicht ausdruͤcklich befohlen haͤtte.
Er ſagte hierauf, wie er ſich ſehr wundere, daß man
das Schickſal des Koͤniges von Schweden nicht als ei-
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Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/56>, abgerufen am 21.11.2024.
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