Die Türken haben keine geschriebene Gesetze, aus-Jhre Civil- Gesetze. ser denen, die im Alkoran enthalten sind; alle bür- gerliche Angelegenheiten werden von dem Cadi nach dem Beweise durch einen Eid, ohne Rücksicht auf Schriften entschieden, und der, so am meisten bietet, ist versichert, daß das Urtheil zu seinem Besten aus- fallen wird. Derjenige, welcher verlieret, muß, wenn es Schulden wegen ist, sogleich bezahlen oder ins Gefängniß gehen, und wenn es sich zuträgt, daß sein Vermögen nicht zureicht der Forderung Gnüge zu thun, so muß der arme Schuldner Stockschläge auf seine Fußsohlen für jeden Piaster, der noch fehlet, aus- halten, doch darf die Summe nicht über Fünf hundert seyn; denn sie strafen nicht mit einer größern Anzahl Schlägen, indem der stärkste Mann ohne offenbare Lebensgefahr keine größere Anzahl würde aushalten können. Alsdenn kann sein Gläubiger ihn behalten oder als einen Sclaven verkaufen.
Das Urtheil in Criminal-Sachen spricht derPeinliche Ge- setze. Bassa, der auf eben die Art verfährt; denn Geld macht das grausamste Verbrechen gut, und ohne das- selbe wird die Gerechtigkeit zur Grausamkeit, so daß der Pfahl und der Galgen die einzige Bestimmung des armen Verbrechers sind. Man hat auch keinen stärkern Beweis von eines Mannes Armuth, als wenn er des Raubens oder Mordens wegen hingerich- tet wird. Allein es giebt für Mörder noch einen an- dern günstigen Umstand; denn wie der Thäter so glücklich ist, davon zu kommen, ehe er entdeckt wird, so können der Bassa und Woiwode das Blut von denjenigen fordern, vor deren Thüre der Mord be- gangen worden, wenn er in einer Stadt oder einem
Dorfe
E 5
Die Tuͤrken haben keine geſchriebene Geſetze, auſ-Jhre Civil- Geſetze. ſer denen, die im Alkoran enthalten ſind; alle buͤr- gerliche Angelegenheiten werden von dem Cadi nach dem Beweiſe durch einen Eid, ohne Ruͤckſicht auf Schriften entſchieden, und der, ſo am meiſten bietet, iſt verſichert, daß das Urtheil zu ſeinem Beſten aus- fallen wird. Derjenige, welcher verlieret, muß, wenn es Schulden wegen iſt, ſogleich bezahlen oder ins Gefaͤngniß gehen, und wenn es ſich zutraͤgt, daß ſein Vermoͤgen nicht zureicht der Forderung Gnuͤge zu thun, ſo muß der arme Schuldner Stockſchlaͤge auf ſeine Fußſohlen fuͤr jeden Piaſter, der noch fehlet, aus- halten, doch darf die Summe nicht uͤber Fuͤnf hundert ſeyn; denn ſie ſtrafen nicht mit einer groͤßern Anzahl Schlaͤgen, indem der ſtaͤrkſte Mann ohne offenbare Lebensgefahr keine groͤßere Anzahl wuͤrde aushalten koͤnnen. Alsdenn kann ſein Glaͤubiger ihn behalten oder als einen Sclaven verkaufen.
Das Urtheil in Criminal-Sachen ſpricht derPeinliche Ge- ſetze. Baſſa, der auf eben die Art verfaͤhrt; denn Geld macht das grauſamſte Verbrechen gut, und ohne daſ- ſelbe wird die Gerechtigkeit zur Grauſamkeit, ſo daß der Pfahl und der Galgen die einzige Beſtimmung des armen Verbrechers ſind. Man hat auch keinen ſtaͤrkern Beweis von eines Mannes Armuth, als wenn er des Raubens oder Mordens wegen hingerich- tet wird. Allein es giebt fuͤr Moͤrder noch einen an- dern guͤnſtigen Umſtand; denn wie der Thaͤter ſo gluͤcklich iſt, davon zu kommen, ehe er entdeckt wird, ſo koͤnnen der Baſſa und Woiwode das Blut von denjenigen fordern, vor deren Thuͤre der Mord be- gangen worden, wenn er in einer Stadt oder einem
Dorfe
E 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0083"n="73"/><p>Die Tuͤrken haben keine geſchriebene Geſetze, auſ-<noteplace="right">Jhre Civil-<lb/>
Geſetze.</note><lb/>ſer denen, die im Alkoran enthalten ſind; alle buͤr-<lb/>
gerliche Angelegenheiten werden von dem Cadi nach<lb/>
dem Beweiſe durch einen Eid, ohne Ruͤckſicht auf<lb/>
Schriften entſchieden, und der, ſo am meiſten bietet,<lb/>
iſt verſichert, daß das Urtheil zu ſeinem Beſten aus-<lb/>
fallen wird. Derjenige, welcher verlieret, muß,<lb/>
wenn es Schulden wegen iſt, ſogleich bezahlen oder<lb/>
ins Gefaͤngniß gehen, und wenn es ſich zutraͤgt, daß<lb/>ſein Vermoͤgen nicht zureicht der Forderung Gnuͤge zu<lb/>
thun, ſo muß der arme Schuldner Stockſchlaͤge auf<lb/>ſeine Fußſohlen fuͤr jeden Piaſter, der noch fehlet, aus-<lb/>
halten, doch darf die Summe nicht uͤber Fuͤnf hundert<lb/>ſeyn; denn ſie ſtrafen nicht mit einer groͤßern Anzahl<lb/>
Schlaͤgen, indem der ſtaͤrkſte Mann ohne offenbare<lb/>
Lebensgefahr keine groͤßere Anzahl wuͤrde aushalten<lb/>
koͤnnen. Alsdenn kann ſein Glaͤubiger ihn behalten<lb/>
oder als einen Sclaven verkaufen.</p><lb/><p>Das Urtheil in Criminal-Sachen ſpricht der<noteplace="right">Peinliche Ge-<lb/>ſetze.</note><lb/>
Baſſa, der auf eben die Art verfaͤhrt; denn Geld<lb/>
macht das grauſamſte Verbrechen gut, und ohne daſ-<lb/>ſelbe wird die Gerechtigkeit zur Grauſamkeit, ſo daß<lb/>
der Pfahl und der Galgen die einzige Beſtimmung<lb/>
des armen Verbrechers ſind. Man hat auch keinen<lb/>ſtaͤrkern Beweis von eines Mannes Armuth, als<lb/>
wenn er des Raubens oder Mordens wegen hingerich-<lb/>
tet wird. Allein es giebt fuͤr Moͤrder noch einen an-<lb/>
dern guͤnſtigen Umſtand; denn wie der Thaͤter ſo<lb/>
gluͤcklich iſt, davon zu kommen, ehe er entdeckt wird,<lb/>ſo koͤnnen der Baſſa und Woiwode das Blut von<lb/>
denjenigen fordern, vor deren Thuͤre der Mord be-<lb/>
gangen worden, wenn er in einer Stadt oder einem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Dorfe</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[73/0083]
Die Tuͤrken haben keine geſchriebene Geſetze, auſ-
ſer denen, die im Alkoran enthalten ſind; alle buͤr-
gerliche Angelegenheiten werden von dem Cadi nach
dem Beweiſe durch einen Eid, ohne Ruͤckſicht auf
Schriften entſchieden, und der, ſo am meiſten bietet,
iſt verſichert, daß das Urtheil zu ſeinem Beſten aus-
fallen wird. Derjenige, welcher verlieret, muß,
wenn es Schulden wegen iſt, ſogleich bezahlen oder
ins Gefaͤngniß gehen, und wenn es ſich zutraͤgt, daß
ſein Vermoͤgen nicht zureicht der Forderung Gnuͤge zu
thun, ſo muß der arme Schuldner Stockſchlaͤge auf
ſeine Fußſohlen fuͤr jeden Piaſter, der noch fehlet, aus-
halten, doch darf die Summe nicht uͤber Fuͤnf hundert
ſeyn; denn ſie ſtrafen nicht mit einer groͤßern Anzahl
Schlaͤgen, indem der ſtaͤrkſte Mann ohne offenbare
Lebensgefahr keine groͤßere Anzahl wuͤrde aushalten
koͤnnen. Alsdenn kann ſein Glaͤubiger ihn behalten
oder als einen Sclaven verkaufen.
Jhre Civil-
Geſetze.
Das Urtheil in Criminal-Sachen ſpricht der
Baſſa, der auf eben die Art verfaͤhrt; denn Geld
macht das grauſamſte Verbrechen gut, und ohne daſ-
ſelbe wird die Gerechtigkeit zur Grauſamkeit, ſo daß
der Pfahl und der Galgen die einzige Beſtimmung
des armen Verbrechers ſind. Man hat auch keinen
ſtaͤrkern Beweis von eines Mannes Armuth, als
wenn er des Raubens oder Mordens wegen hingerich-
tet wird. Allein es giebt fuͤr Moͤrder noch einen an-
dern guͤnſtigen Umſtand; denn wie der Thaͤter ſo
gluͤcklich iſt, davon zu kommen, ehe er entdeckt wird,
ſo koͤnnen der Baſſa und Woiwode das Blut von
denjenigen fordern, vor deren Thuͤre der Mord be-
gangen worden, wenn er in einer Stadt oder einem
Dorfe
Peinliche Ge-
ſetze.
E 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/83>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.