folg gehabt hat. Die Bewegungen sind, wenn auch nicht ge- zwungen, doch scharf und eckig, etwa wie die Bewegungen des sich einübenden, nicht des vollkommen ausgebildeten Käm- pfers. Von einer solchen Herbigkeit und Härte in der Fügung der einzelnen Theile zeigen sich in dem Relief des Aristokles verhältnissmässig nur geringe Spuren. Die Haltung ist zwar streng, aber diese Strenge ist dem Gegenstande angemessen: es ist die Haltung des Kriegers, die sich an bestimmte Regeln bindet. Einfach und natürlich hängt der rechte Arm herab, während der linke, scharf gebogen und oberwärts eng anlie- gend, mit kriegerischer Gemessenheit die Lanze, wie zur Pa- rade, beim Fuss hält.
Wir dürfen daher der Haltung unserer Figur eine gewisse Freiheit innerhalb bestimmter Gränzen nicht absprechen, Zum grossen Theil beruht aber dieselbe in der Feinheit der Compo- sition, in der Art und Weise, wie der Künstler seine Figur in einen für künstlerische Darstellung so wenig geeigneten Raum hineingepasst und zu einem Ganzen abgeschlossen hat. Das Gewicht des Körpers ist auf der breiteren Grundfläche des nach oben sich verengenden Raumes gleichmässig vertheilt. Denken wir uns aber diesen Raum durch eine senkrechte Linie in zwei gleiche Hälften zerlegt, so finden wir auf der einen Seite die grösseren, aber weniger thätigen, trägen Massen, auf der an- dern dagegen die stärkere Anspannung wirkender, tragender Kräfte. In diesem Abwägen des Gleichgewichtes zwischen Massen und Kräften liegt aber die Grundbedingung nicht blos für diese, sondern für jede gute Composition, welcher Zeit sie auch angehören mag. Denn nur dadurch wird dem Beschauer diejenige Beruhigung mitgetheilt, welche nothwendig ist, um sich dem Genusse der Schönheiten in der Durchbildung des Einzelnen völlig hingeben zu können.
Ich fürchte zu weit zu gehen, wenn ich schon jetzt nach diesem einen Werke von geringem Umfange ein wesentliches Merkmal für den Charakter der alt-attischen Kunst darin zu erkennen glaube, dass diese ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die Gesammtheit der ganzen Erscheinung, auf das totum ponere richtete, während die aeginetische Kunst mehr Gefallen an der feineren, naturgemässeren Bildung des Einzelnen fand. Doch scheint mir die vorgeschlagene Unterscheidung wenig- stens so weit begründet, dass sie einst einer genaueren Prü-
folg gehabt hat. Die Bewegungen sind, wenn auch nicht ge- zwungen, doch scharf und eckig, etwa wie die Bewegungen des sich einübenden, nicht des vollkommen ausgebildeten Käm- pfers. Von einer solchen Herbigkeit und Härte in der Fügung der einzelnen Theile zeigen sich in dem Relief des Aristokles verhältnissmässig nur geringe Spuren. Die Haltung ist zwar streng, aber diese Strenge ist dem Gegenstande angemessen: es ist die Haltung des Kriegers, die sich an bestimmte Regeln bindet. Einfach und natürlich hängt der rechte Arm herab, während der linke, scharf gebogen und oberwärts eng anlie- gend, mit kriegerischer Gemessenheit die Lanze, wie zur Pa- rade, beim Fuss hält.
Wir dürfen daher der Haltung unserer Figur eine gewisse Freiheit innerhalb bestimmter Gränzen nicht absprechen, Zum grossen Theil beruht aber dieselbe in der Feinheit der Compo- sition, in der Art und Weise, wie der Künstler seine Figur in einen für künstlerische Darstellung so wenig geeigneten Raum hineingepasst und zu einem Ganzen abgeschlossen hat. Das Gewicht des Körpers ist auf der breiteren Grundfläche des nach oben sich verengenden Raumes gleichmässig vertheilt. Denken wir uns aber diesen Raum durch eine senkrechte Linie in zwei gleiche Hälften zerlegt, so finden wir auf der einen Seite die grösseren, aber weniger thätigen, trägen Massen, auf der an- dern dagegen die stärkere Anspannung wirkender, tragender Kräfte. In diesem Abwägen des Gleichgewichtes zwischen Massen und Kräften liegt aber die Grundbedingung nicht blos für diese, sondern für jede gute Composition, welcher Zeit sie auch angehören mag. Denn nur dadurch wird dem Beschauer diejenige Beruhigung mitgetheilt, welche nothwendig ist, um sich dem Genusse der Schönheiten in der Durchbildung des Einzelnen völlig hingeben zu können.
Ich fürchte zu weit zu gehen, wenn ich schon jetzt nach diesem einen Werke von geringem Umfange ein wesentliches Merkmal für den Charakter der alt-attischen Kunst darin zu erkennen glaube, dass diese ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die Gesammtheit der ganzen Erscheinung, auf das totum ponere richtete, während die aeginetische Kunst mehr Gefallen an der feineren, naturgemässeren Bildung des Einzelnen fand. Doch scheint mir die vorgeschlagene Unterscheidung wenig- stens so weit begründet, dass sie einst einer genaueren Prü-
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folg gehabt hat. Die Bewegungen sind, wenn auch nicht ge-
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des sich einübenden, nicht des vollkommen ausgebildeten Käm-
pfers. Von einer solchen Herbigkeit und Härte in der Fügung
der einzelnen Theile zeigen sich in dem Relief des Aristokles
verhältnissmässig nur geringe Spuren. Die Haltung ist zwar
streng, aber diese Strenge ist dem Gegenstande angemessen:
es ist die Haltung des Kriegers, die sich an bestimmte Regeln
bindet. Einfach und natürlich hängt der rechte Arm herab,
während der linke, scharf gebogen und oberwärts eng anlie-
gend, mit kriegerischer Gemessenheit die Lanze, wie zur Pa-
rade, beim Fuss hält.
Wir dürfen daher der Haltung unserer Figur eine gewisse
Freiheit innerhalb bestimmter Gränzen nicht absprechen, Zum
grossen Theil beruht aber dieselbe in der Feinheit der Compo-
sition, in der Art und Weise, wie der Künstler seine Figur in
einen für künstlerische Darstellung so wenig geeigneten Raum
hineingepasst und zu einem Ganzen abgeschlossen hat. Das
Gewicht des Körpers ist auf der breiteren Grundfläche des nach
oben sich verengenden Raumes gleichmässig vertheilt. Denken
wir uns aber diesen Raum durch eine senkrechte Linie in zwei
gleiche Hälften zerlegt, so finden wir auf der einen Seite die
grösseren, aber weniger thätigen, trägen Massen, auf der an-
dern dagegen die stärkere Anspannung wirkender, tragender
Kräfte. In diesem Abwägen des Gleichgewichtes zwischen
Massen und Kräften liegt aber die Grundbedingung nicht blos
für diese, sondern für jede gute Composition, welcher Zeit sie
auch angehören mag. Denn nur dadurch wird dem Beschauer
diejenige Beruhigung mitgetheilt, welche nothwendig ist, um
sich dem Genusse der Schönheiten in der Durchbildung des
Einzelnen völlig hingeben zu können.
Ich fürchte zu weit zu gehen, wenn ich schon jetzt nach
diesem einen Werke von geringem Umfange ein wesentliches
Merkmal für den Charakter der alt-attischen Kunst darin zu
erkennen glaube, dass diese ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise
auf die Gesammtheit der ganzen Erscheinung, auf das totum
ponere richtete, während die aeginetische Kunst mehr Gefallen
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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