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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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musste aber dem Phidias die Kenntniss dieser Gesetze bei der
Errichtung seiner Kolossalbilder sein. Denn nur so konnte
er es erreichen, dass beim Zeus die wirklichen Maasse weit
hinter dem Eindruck zurückblieben, den das Bild bei dem Be-
schauer hervorbrachte 1). Zwar lässt Strabo bei dieser Gele-
genheit einen gelinden Tadel durchblicken, indem es ihm schei-
nen will, dass die Kolossalität des Bildes fast ausser Verhält-
niss zu der Grösse des Tempels stehe: denn der Gott, der
sitzend beinahe die Decke berühre, würde, wenn er sich auf-
richten könnte, dieselbe in die Höhe heben. Aber gerade eine
solche Anschauungsweise scheint es zu sein, auf welche Pau-
sanias zielt, wenn er es tadelt, dass man sich überhaupt mit
kleinlichen Messungen befasse, wo der Gott selbst ein billi-
gendes Urtheil abgegeben habe. Sicher ist hiernach immer
soviel, dass, wenn ein Tadel den Phidias traf: vielmehr ein
Uebermaass an Grossartigkeit, als ein Mangel derselben An-
stoss erregte. Sein Zeus mochte weniger ein Bild in dem
Tempel sein, als der Tempel nur der Rahmen für das Bild.

Sprechen wir hier von der äusseren Gesammtwirkung des
Zeusbildes, so dürfen wir nicht vergessen, wie viel dabei auf
eine harmonische Stimmung der Farben ankam, welche durch
die verschiedenen Stoffe gegeben waren. Hier musste dem
Phidias seine frühere Thätigkeit als Maler von wesentlichem
Nutzen sein. Denn die Malerei seiner Zeit hatte es noch
nicht mit Farbeneffecten, mit dem Wechsel von Licht und
Schatten zu thun, sondern begnügte sich mit ganzen unge-
brochenen Tönen, durch deren Zusammenstellung nur eine
dem natürlichen Eindrucke verwandte Stimmung bei dem Be-
schauer hervorgerufen werden sollte. Eine ähnliche Wirkung
durch die Verbindung verschiedener Stoffe war auch in den
Bildern aus Gold und Elfenbein zu erstreben. Aber um wie
viel beschränkter hier die Mittel der Farben selbst im Verhält-
niss zur damaligen Malerei waren, um so viel mehr musste
zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes der feinsten Be-
rechnung des Künstlers überlassen werden, welche zwar nicht

1) Dass dies der Eindruck war, geht aus verschiedenen Aeusserungen der
Alten hervor, wenn auch die Worte bei Pausanias, welche es ausdrücklich
sagen, als Glossem verdächtig sind.

musste aber dem Phidias die Kenntniss dieser Gesetze bei der
Errichtung seiner Kolossalbilder sein. Denn nur so konnte
er es erreichen, dass beim Zeus die wirklichen Maasse weit
hinter dem Eindruck zurückblieben, den das Bild bei dem Be-
schauer hervorbrachte 1). Zwar lässt Strabo bei dieser Gele-
genheit einen gelinden Tadel durchblicken, indem es ihm schei-
nen will, dass die Kolossalität des Bildes fast ausser Verhält-
niss zu der Grösse des Tempels stehe: denn der Gott, der
sitzend beinahe die Decke berühre, würde, wenn er sich auf-
richten könnte, dieselbe in die Höhe heben. Aber gerade eine
solche Anschauungsweise scheint es zu sein, auf welche Pau-
sanias zielt, wenn er es tadelt, dass man sich überhaupt mit
kleinlichen Messungen befasse, wo der Gott selbst ein billi-
gendes Urtheil abgegeben habe. Sicher ist hiernach immer
soviel, dass, wenn ein Tadel den Phidias traf: vielmehr ein
Uebermaass an Grossartigkeit, als ein Mangel derselben An-
stoss erregte. Sein Zeus mochte weniger ein Bild in dem
Tempel sein, als der Tempel nur der Rahmen für das Bild.

Sprechen wir hier von der äusseren Gesammtwirkung des
Zeusbildes, so dürfen wir nicht vergessen, wie viel dabei auf
eine harmonische Stimmung der Farben ankam, welche durch
die verschiedenen Stoffe gegeben waren. Hier musste dem
Phidias seine frühere Thätigkeit als Maler von wesentlichem
Nutzen sein. Denn die Malerei seiner Zeit hatte es noch
nicht mit Farbeneffecten, mit dem Wechsel von Licht und
Schatten zu thun, sondern begnügte sich mit ganzen unge-
brochenen Tönen, durch deren Zusammenstellung nur eine
dem natürlichen Eindrucke verwandte Stimmung bei dem Be-
schauer hervorgerufen werden sollte. Eine ähnliche Wirkung
durch die Verbindung verschiedener Stoffe war auch in den
Bildern aus Gold und Elfenbein zu erstreben. Aber um wie
viel beschränkter hier die Mittel der Farben selbst im Verhält-
niss zur damaligen Malerei waren, um so viel mehr musste
zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes der feinsten Be-
rechnung des Künstlers überlassen werden, welche zwar nicht

1) Dass dies der Eindruck war, geht aus verschiedenen Aeusserungen der
Alten hervor, wenn auch die Worte bei Pausanias, welche es ausdrücklich
sagen, als Glossem verdächtig sind.
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[196/0209] musste aber dem Phidias die Kenntniss dieser Gesetze bei der Errichtung seiner Kolossalbilder sein. Denn nur so konnte er es erreichen, dass beim Zeus die wirklichen Maasse weit hinter dem Eindruck zurückblieben, den das Bild bei dem Be- schauer hervorbrachte 1). Zwar lässt Strabo bei dieser Gele- genheit einen gelinden Tadel durchblicken, indem es ihm schei- nen will, dass die Kolossalität des Bildes fast ausser Verhält- niss zu der Grösse des Tempels stehe: denn der Gott, der sitzend beinahe die Decke berühre, würde, wenn er sich auf- richten könnte, dieselbe in die Höhe heben. Aber gerade eine solche Anschauungsweise scheint es zu sein, auf welche Pau- sanias zielt, wenn er es tadelt, dass man sich überhaupt mit kleinlichen Messungen befasse, wo der Gott selbst ein billi- gendes Urtheil abgegeben habe. Sicher ist hiernach immer soviel, dass, wenn ein Tadel den Phidias traf: vielmehr ein Uebermaass an Grossartigkeit, als ein Mangel derselben An- stoss erregte. Sein Zeus mochte weniger ein Bild in dem Tempel sein, als der Tempel nur der Rahmen für das Bild. Sprechen wir hier von der äusseren Gesammtwirkung des Zeusbildes, so dürfen wir nicht vergessen, wie viel dabei auf eine harmonische Stimmung der Farben ankam, welche durch die verschiedenen Stoffe gegeben waren. Hier musste dem Phidias seine frühere Thätigkeit als Maler von wesentlichem Nutzen sein. Denn die Malerei seiner Zeit hatte es noch nicht mit Farbeneffecten, mit dem Wechsel von Licht und Schatten zu thun, sondern begnügte sich mit ganzen unge- brochenen Tönen, durch deren Zusammenstellung nur eine dem natürlichen Eindrucke verwandte Stimmung bei dem Be- schauer hervorgerufen werden sollte. Eine ähnliche Wirkung durch die Verbindung verschiedener Stoffe war auch in den Bildern aus Gold und Elfenbein zu erstreben. Aber um wie viel beschränkter hier die Mittel der Farben selbst im Verhält- niss zur damaligen Malerei waren, um so viel mehr musste zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes der feinsten Be- rechnung des Künstlers überlassen werden, welche zwar nicht 1) Dass dies der Eindruck war, geht aus verschiedenen Aeusserungen der Alten hervor, wenn auch die Worte bei Pausanias, welche es ausdrücklich sagen, als Glossem verdächtig sind.

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/209>, abgerufen am 22.11.2024.