lich das Lob der Wangen deuten. Der Ausdruck apalon wird z. B. von Homer auf die Haut des Halses unter dem Kinn, auf die Haut in der Hand eines Freiers angewendet, welche den Bogen zu spannen ausser Stande ist. Auch bei der Lemnie- rin werden wir daher nicht sowohl von Weichheit, als von Zartheit der Wangen sprechen müssen. Von diesem Lobe aber lässt sich, dem Wesen der Formenbildung gemäss, das andere kaum trennen. Die Nase, gerade zwischen den Wan- gen, der Umriss, durch welchen diese umschrieben werden, müssen natürlich diesen Charakter der Zartheit theilen. Ver- gleichen wir nun aber damit den Ausspruch des Himerius: Phidias habe Röthe über die Wangen der Göttin ausgegossen, sowie das in den früher erwähnten Epigrammen enthaltene Lob, so muss sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass auch hier wieder die Zartheit und Feinheit der Bildung einem höheren, als einem bloss sinnlichen Zwecke dient und vorzugs- weise darauf berechnet ist, die geistige Schönheit, den milden Adel der jungfräulichen Göttin recht eindringlich fühlbar zu machen. -- Einer ähnlichen Deutung unterwerfe ich denn endlich auch das Lob, welches Lucian 1) der Amazone des Phidias spendet. Die Bildung des Mundes (stomatos armoge) und der Nacken mögen an sich unnachahmlich gewesen sein. Aber vergessen dürfen wir nicht, dass sich gerade im Munde der Charakter der Festigkeit, des Muthes ausprägt, dass auf der Bildung des Nackens auch die ganze Haltung des Kopfes beruht, in welcher sich ebenfalls die kriegerische Befähigung der Amazone aussprechen musste. Das Lob dieser Theile scheint also auch hier in seinem letzten Grunde dadurch be- dingt, dass in ihnen der Gedanke, die Idee des Künstlers mit besonderer Schärfe und Präcision körperliche Gestalt und Form angenommen hatte.
Doch genug der Erörterungen, die uns immer nur wieder auf einen und denselben Punkt zurückführen. Ist dieser Um- stand, wie wir hoffen, nicht die Folge einer einseitigen Auf- fassung, so liegt vielleicht in demselben sogar eine Gewähr dafür, dass in der Forschung der richtige Weg eingeschlagen wurde. Thöricht zwar wäre es zu glauben, dass in wenigen Sätzen die ganze Erhabenheit des künstlerischen Genius eines
1) l. l.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 14
lich das Lob der Wangen deuten. Der Ausdruck ἁπαλὸν wird z. B. von Homer auf die Haut des Halses unter dem Kinn, auf die Haut in der Hand eines Freiers angewendet, welche den Bogen zu spannen ausser Stande ist. Auch bei der Lemnie- rin werden wir daher nicht sowohl von Weichheit, als von Zartheit der Wangen sprechen müssen. Von diesem Lobe aber lässt sich, dem Wesen der Formenbildung gemäss, das andere kaum trennen. Die Nase, gerade zwischen den Wan- gen, der Umriss, durch welchen diese umschrieben werden, müssen natürlich diesen Charakter der Zartheit theilen. Ver- gleichen wir nun aber damit den Ausspruch des Himerius: Phidias habe Röthe über die Wangen der Göttin ausgegossen, sowie das in den früher erwähnten Epigrammen enthaltene Lob, so muss sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass auch hier wieder die Zartheit und Feinheit der Bildung einem höheren, als einem bloss sinnlichen Zwecke dient und vorzugs- weise darauf berechnet ist, die geistige Schönheit, den milden Adel der jungfräulichen Göttin recht eindringlich fühlbar zu machen. — Einer ähnlichen Deutung unterwerfe ich denn endlich auch das Lob, welches Lucian 1) der Amazone des Phidias spendet. Die Bildung des Mundes (στόματος ἁρμογὴ) und der Nacken mögen an sich unnachahmlich gewesen sein. Aber vergessen dürfen wir nicht, dass sich gerade im Munde der Charakter der Festigkeit, des Muthes ausprägt, dass auf der Bildung des Nackens auch die ganze Haltung des Kopfes beruht, in welcher sich ebenfalls die kriegerische Befähigung der Amazone aussprechen musste. Das Lob dieser Theile scheint also auch hier in seinem letzten Grunde dadurch be- dingt, dass in ihnen der Gedanke, die Idee des Künstlers mit besonderer Schärfe und Präcision körperliche Gestalt und Form angenommen hatte.
Doch genug der Erörterungen, die uns immer nur wieder auf einen und denselben Punkt zurückführen. Ist dieser Um- stand, wie wir hoffen, nicht die Folge einer einseitigen Auf- fassung, so liegt vielleicht in demselben sogar eine Gewähr dafür, dass in der Forschung der richtige Weg eingeschlagen wurde. Thöricht zwar wäre es zu glauben, dass in wenigen Sätzen die ganze Erhabenheit des künstlerischen Genius eines
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Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 14
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z. B. von Homer auf die Haut des Halses unter dem Kinn, auf
die Haut in der Hand eines Freiers angewendet, welche den
Bogen zu spannen ausser Stande ist. Auch bei der Lemnie-
rin werden wir daher nicht sowohl von Weichheit, als von
Zartheit der Wangen sprechen müssen. Von diesem Lobe
aber lässt sich, dem Wesen der Formenbildung gemäss, das
andere kaum trennen. Die Nase, gerade zwischen den Wan-
gen, der Umriss, durch welchen diese umschrieben werden,
müssen natürlich diesen Charakter der Zartheit theilen. Ver-
gleichen wir nun aber damit den Ausspruch des Himerius:
Phidias habe Röthe über die Wangen der Göttin ausgegossen,
sowie das in den früher erwähnten Epigrammen enthaltene
Lob, so muss sich uns die Ueberzeugung aufdrängen, dass
auch hier wieder die Zartheit und Feinheit der Bildung einem
höheren, als einem bloss sinnlichen Zwecke dient und vorzugs-
weise darauf berechnet ist, die geistige Schönheit, den milden
Adel der jungfräulichen Göttin recht eindringlich fühlbar zu
machen. — Einer ähnlichen Deutung unterwerfe ich denn
endlich auch das Lob, welches Lucian 1) der Amazone des
Phidias spendet. Die Bildung des Mundes (στόματος ἁρμογὴ)
und der Nacken mögen an sich unnachahmlich gewesen sein.
Aber vergessen dürfen wir nicht, dass sich gerade im Munde
der Charakter der Festigkeit, des Muthes ausprägt, dass auf
der Bildung des Nackens auch die ganze Haltung des Kopfes
beruht, in welcher sich ebenfalls die kriegerische Befähigung
der Amazone aussprechen musste. Das Lob dieser Theile
scheint also auch hier in seinem letzten Grunde dadurch be-
dingt, dass in ihnen der Gedanke, die Idee des Künstlers mit
besonderer Schärfe und Präcision körperliche Gestalt und Form
angenommen hatte.
Doch genug der Erörterungen, die uns immer nur wieder
auf einen und denselben Punkt zurückführen. Ist dieser Um-
stand, wie wir hoffen, nicht die Folge einer einseitigen Auf-
fassung, so liegt vielleicht in demselben sogar eine Gewähr
dafür, dass in der Forschung der richtige Weg eingeschlagen
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/222>, abgerufen am 22.11.2024.
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