Phidias sich ergründen lasse. Wie einmal unser jetziges Wis- sen beschaffen ist, bleibt dieses eine Aufgabe, deren Lösung in ihrem vollen Umfange wohl niemand zu unternehmen wagt, so wenig als irgend jemand den Phidias in der Kunst erreicht zu haben vorgeben möchte. Unsere Aufgabe musste sich nur auf den Versuch beschränken, ein Bild des Künstlers in we- nigen allgemeinen, aber, wo möglich, so bestimmten Zügen zu entwerfen, dass sie einer weiteren Ausführung als feste Grund- lage dienen könnten. Diese selbst aber verlangt ein ausgebrei- tetes und vielseitiges Studium, nicht des Phidias allein, sondern der gesammten griechischen Kunst, die in ihm ihren Höhepunkt erreicht. Nur zwei Richtungen, nach welchen sich dasselbe bewegen muss, mögen hier erwähnt werden: zuerst die ge- naueste formelle und stylistische Untersuchung der Werke des Phidias, seiner Schüler und seiner Zeitgenossen; sodann die Erforschung des poetischen Zusammenhanges in den vielge- gliederten Compositionen eines Götterbildes, wie der Zeus, eines Tempels, wie der Parthenon. Gelingt es einst auf die- sem Wege das Bild des Phidias in seinen feineren Formen uns vor Augen zu stellen, so ist es schon Gewinn genug, wenn die bisher gewonnenen Resultate nur den Nutzen der Punkte gewährt haben, welche dem Künstler bei der Anlage eines Werkes in Marmor zur Richtschnur dienen, aber verschwun- den sind, sobald es zur höchsten Stufe der Vollendung ge- führt ist.
Polyklet.
Erste Pflicht bei der Erörterung über Polyklet ist es, ihn, nächst Phidias den gepriesensten Künstler des ganzen Alter- thums, in seiner vollen Persönlichkeit als einen Einzigen an- zuerkennen und zu vertheidigen. Denn Thiersch 1) hat in Folge seiner zwei Ageladas auch den Polyklet, abgesehen von einem jüngeren Namensgenossen, welcher gegen Ol. 100 blüht, in zwei Personen zu spalten versucht. Den Beweis dafür soll ihm Plinius liefern, welcher 2) von einem Polyklet aus Sikyon spricht, während bei Pausanias wiederholt ein Argiver dieses Namens erscheint. Thiersch will daher bei seiner Scheidung nach dem Vaterlande ausdrücklich "die Urkunde", d. h. das
1) Ep. Not. S. 62 flgdd.
2) 34, 55.
Phidias sich ergründen lasse. Wie einmal unser jetziges Wis- sen beschaffen ist, bleibt dieses eine Aufgabe, deren Lösung in ihrem vollen Umfange wohl niemand zu unternehmen wagt, so wenig als irgend jemand den Phidias in der Kunst erreicht zu haben vorgeben möchte. Unsere Aufgabe musste sich nur auf den Versuch beschränken, ein Bild des Künstlers in we- nigen allgemeinen, aber, wo möglich, so bestimmten Zügen zu entwerfen, dass sie einer weiteren Ausführung als feste Grund- lage dienen könnten. Diese selbst aber verlangt ein ausgebrei- tetes und vielseitiges Studium, nicht des Phidias allein, sondern der gesammten griechischen Kunst, die in ihm ihren Höhepunkt erreicht. Nur zwei Richtungen, nach welchen sich dasselbe bewegen muss, mögen hier erwähnt werden: zuerst die ge- naueste formelle und stylistische Untersuchung der Werke des Phidias, seiner Schüler und seiner Zeitgenossen; sodann die Erforschung des poetischen Zusammenhanges in den vielge- gliederten Compositionen eines Götterbildes, wie der Zeus, eines Tempels, wie der Parthenon. Gelingt es einst auf die- sem Wege das Bild des Phidias in seinen feineren Formen uns vor Augen zu stellen, so ist es schon Gewinn genug, wenn die bisher gewonnenen Resultate nur den Nutzen der Punkte gewährt haben, welche dem Künstler bei der Anlage eines Werkes in Marmor zur Richtschnur dienen, aber verschwun- den sind, sobald es zur höchsten Stufe der Vollendung ge- führt ist.
Polyklet.
Erste Pflicht bei der Erörterung über Polyklet ist es, ihn, nächst Phidias den gepriesensten Künstler des ganzen Alter- thums, in seiner vollen Persönlichkeit als einen Einzigen an- zuerkennen und zu vertheidigen. Denn Thiersch 1) hat in Folge seiner zwei Ageladas auch den Polyklet, abgesehen von einem jüngeren Namensgenossen, welcher gegen Ol. 100 blüht, in zwei Personen zu spalten versucht. Den Beweis dafür soll ihm Plinius liefern, welcher 2) von einem Polyklet aus Sikyon spricht, während bei Pausanias wiederholt ein Argiver dieses Namens erscheint. Thiersch will daher bei seiner Scheidung nach dem Vaterlande ausdrücklich „die Urkunde”, d. h. das
1) Ep. Not. S. 62 flgdd.
2) 34, 55.
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Phidias sich ergründen lasse. Wie einmal unser jetziges Wis-
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so wenig als irgend jemand den Phidias in der Kunst erreicht
zu haben vorgeben möchte. Unsere Aufgabe musste sich nur
auf den Versuch beschränken, ein Bild des Künstlers in we-
nigen allgemeinen, aber, wo möglich, so bestimmten Zügen zu
entwerfen, dass sie einer weiteren Ausführung als feste Grund-
lage dienen könnten. Diese selbst aber verlangt ein ausgebrei-
tetes und vielseitiges Studium, nicht des Phidias allein, sondern
der gesammten griechischen Kunst, die in ihm ihren Höhepunkt
erreicht. Nur zwei Richtungen, nach welchen sich dasselbe
bewegen muss, mögen hier erwähnt werden: zuerst die ge-
naueste formelle und stylistische Untersuchung der Werke des
Phidias, seiner Schüler und seiner Zeitgenossen; sodann die
Erforschung des poetischen Zusammenhanges in den vielge-
gliederten Compositionen eines Götterbildes, wie der Zeus,
eines Tempels, wie der Parthenon. Gelingt es einst auf die-
sem Wege das Bild des Phidias in seinen feineren Formen
uns vor Augen zu stellen, so ist es schon Gewinn genug, wenn
die bisher gewonnenen Resultate nur den Nutzen der Punkte
gewährt haben, welche dem Künstler bei der Anlage eines
Werkes in Marmor zur Richtschnur dienen, aber verschwun-
den sind, sobald es zur höchsten Stufe der Vollendung ge-
führt ist.
Polyklet.
Erste Pflicht bei der Erörterung über Polyklet ist es, ihn,
nächst Phidias den gepriesensten Künstler des ganzen Alter-
thums, in seiner vollen Persönlichkeit als einen Einzigen an-
zuerkennen und zu vertheidigen. Denn Thiersch 1) hat in Folge
seiner zwei Ageladas auch den Polyklet, abgesehen von einem
jüngeren Namensgenossen, welcher gegen Ol. 100 blüht, in
zwei Personen zu spalten versucht. Den Beweis dafür soll
ihm Plinius liefern, welcher 2) von einem Polyklet aus Sikyon
spricht, während bei Pausanias wiederholt ein Argiver dieses
Namens erscheint. Thiersch will daher bei seiner Scheidung
nach dem Vaterlande ausdrücklich „die Urkunde”, d. h. das
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/223>, abgerufen am 22.11.2024.
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