macht und gezeigt habe, was sie leisten solle (primus artem toreuticen aperuisse atque demonstrasse merito iudicatur: 34, 54), so habe Polyklet diese Wissenschaft zur Vollkommenheit erho- ben und die Toreutik so durchgebildet, wie Phidias begründet (hic consummasse hanc scientiam iudicatur et toreuticen sic erudisse ut Phidias aperuisse: §. 56) 1). Hier handelt es sich also um eine regelmässige Entwickelung unter wenigstens äus- serlich sehr verwandten Umständen. Wir wissen, dass Poly- klet, wie Phidias, sich mit der speciell sogenannten Toreutik, der Cisellirung edler Metalle für Werke kleinen Umfanges ab- gab. Mochten auch Arbeiten dieser Art von Beiden mehr als eine Unterhaltung, als eine Erholung betrachtet werden, so dienten sie doch zugleich als Vorübung für die Durchführung des Einzelnen an den umfangreicheren Bronzewerken. Denn zu der letzten Vollendung nach dem Gusse genügte nicht mehr die künstlerische Genialität, sondern war eine Menge von Fertigkeiten und Handgriffen erforderlich, wie sie nur durch lange Erfahrungen gesammelt werden können. Gerade daraus erklärt sich, wie hier dem Polyklet auch nach den Lei- stungen eines Phidias noch ein Fortschritt möglich war. Ganz dasselbe scheint von der Kunst der Arbeit in Gold und Elfen- bein zu gelten, die freilich nicht mit der Toreutik zu verwech- seln ist, aber doch in vielen Einzelnheiten ihr verwandt war. Auch in ihr werden von Strabo 2) die Werke des Polyklet in Rücksicht auf tekhne, künstlerische Ausführung, über die des Phidias gesetzt, wobei freilich nicht sicher zu entscheiden ist, ob das Lob ihrer grösseren Schönheit auf die blosse Technik, oder allgemeiner auch auf vollendetere formelle Durchbildung zu beziehen ist.
Was nun diesen formellen Theil der Kunstübung betrifft, so weit er auf der Kenntniss der darzustellenden Gestalt be- ruht, so haben wir gesehen, dass er bei Phidias gänzlich dem poetischen, idealen Schaffen untergeordnet war. Anders bei Polyklet. Bei ihm hat die formelle Behandlung der Körper nicht nur ihre selbstständige Bedeutung, sondern der Künstler strebt selbst mit bestimmtem Bewusstsein danach, ihr diese Bedeutung zu verschaffen; ja noch mehr, er versucht sogar, als der erste, so viel wir wissen, die Regeln dieser Kunst
1) Vgl. Jahn in d. Ber. d. sächs. Gesellsch. 1850, II, S. 129.
2) VIII, p. 372.
macht und gezeigt habe, was sie leisten solle (primus artem toreuticen aperuisse atque demonstrasse merito iudicatur: 34, 54), so habe Polyklet diese Wissenschaft zur Vollkommenheit erho- ben und die Toreutik so durchgebildet, wie Phidias begründet (hic consummasse hanc scientiam iudicatur et toreuticen sic erudisse ut Phidias aperuisse: §. 56) 1). Hier handelt es sich also um eine regelmässige Entwickelung unter wenigstens äus- serlich sehr verwandten Umständen. Wir wissen, dass Poly- klet, wie Phidias, sich mit der speciell sogenannten Toreutik, der Cisellirung edler Metalle für Werke kleinen Umfanges ab- gab. Mochten auch Arbeiten dieser Art von Beiden mehr als eine Unterhaltung, als eine Erholung betrachtet werden, so dienten sie doch zugleich als Vorübung für die Durchführung des Einzelnen an den umfangreicheren Bronzewerken. Denn zu der letzten Vollendung nach dem Gusse genügte nicht mehr die künstlerische Genialität, sondern war eine Menge von Fertigkeiten und Handgriffen erforderlich, wie sie nur durch lange Erfahrungen gesammelt werden können. Gerade daraus erklärt sich, wie hier dem Polyklet auch nach den Lei- stungen eines Phidias noch ein Fortschritt möglich war. Ganz dasselbe scheint von der Kunst der Arbeit in Gold und Elfen- bein zu gelten, die freilich nicht mit der Toreutik zu verwech- seln ist, aber doch in vielen Einzelnheiten ihr verwandt war. Auch in ihr werden von Strabo 2) die Werke des Polyklet in Rücksicht auf τέχνη, künstlerische Ausführung, über die des Phidias gesetzt, wobei freilich nicht sicher zu entscheiden ist, ob das Lob ihrer grösseren Schönheit auf die blosse Technik, oder allgemeiner auch auf vollendetere formelle Durchbildung zu beziehen ist.
Was nun diesen formellen Theil der Kunstübung betrifft, so weit er auf der Kenntniss der darzustellenden Gestalt be- ruht, so haben wir gesehen, dass er bei Phidias gänzlich dem poetischen, idealen Schaffen untergeordnet war. Anders bei Polyklet. Bei ihm hat die formelle Behandlung der Körper nicht nur ihre selbstständige Bedeutung, sondern der Künstler strebt selbst mit bestimmtem Bewusstsein danach, ihr diese Bedeutung zu verschaffen; ja noch mehr, er versucht sogar, als der erste, so viel wir wissen, die Regeln dieser Kunst
1) Vgl. Jahn in d. Ber. d. sächs. Gesellsch. 1850, II, S. 129.
2) VIII, p. 372.
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so habe Polyklet diese Wissenschaft zur Vollkommenheit erho-
ben und die Toreutik so durchgebildet, wie Phidias begründet
(hic consummasse hanc scientiam iudicatur et toreuticen sic
erudisse ut Phidias aperuisse: §. 56) 1). Hier handelt es sich
also um eine regelmässige Entwickelung unter wenigstens äus-
serlich sehr verwandten Umständen. Wir wissen, dass Poly-
klet, wie Phidias, sich mit der speciell sogenannten Toreutik,
der Cisellirung edler Metalle für Werke kleinen Umfanges ab-
gab. Mochten auch Arbeiten dieser Art von Beiden mehr als
eine Unterhaltung, als eine Erholung betrachtet werden, so
dienten sie doch zugleich als Vorübung für die Durchführung
des Einzelnen an den umfangreicheren Bronzewerken. Denn
zu der letzten Vollendung nach dem Gusse genügte nicht
mehr die künstlerische Genialität, sondern war eine Menge
von Fertigkeiten und Handgriffen erforderlich, wie sie nur
durch lange Erfahrungen gesammelt werden können. Gerade
daraus erklärt sich, wie hier dem Polyklet auch nach den Lei-
stungen eines Phidias noch ein Fortschritt möglich war. Ganz
dasselbe scheint von der Kunst der Arbeit in Gold und Elfen-
bein zu gelten, die freilich nicht mit der Toreutik zu verwech-
seln ist, aber doch in vielen Einzelnheiten ihr verwandt war.
Auch in ihr werden von Strabo 2) die Werke des Polyklet in
Rücksicht auf τέχνη, künstlerische Ausführung, über die des
Phidias gesetzt, wobei freilich nicht sicher zu entscheiden ist,
ob das Lob ihrer grösseren Schönheit auf die blosse Technik,
oder allgemeiner auch auf vollendetere formelle Durchbildung
zu beziehen ist.
Was nun diesen formellen Theil der Kunstübung betrifft,
so weit er auf der Kenntniss der darzustellenden Gestalt be-
ruht, so haben wir gesehen, dass er bei Phidias gänzlich dem
poetischen, idealen Schaffen untergeordnet war. Anders bei
Polyklet. Bei ihm hat die formelle Behandlung der Körper
nicht nur ihre selbstständige Bedeutung, sondern der Künstler
strebt selbst mit bestimmtem Bewusstsein danach, ihr diese
Bedeutung zu verschaffen; ja noch mehr, er versucht sogar,
als der erste, so viel wir wissen, die Regeln dieser Kunst
1) Vgl. Jahn in d. Ber. d. sächs. Gesellsch. 1850, II, S. 129.
2) VIII, p. 372.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/231>, abgerufen am 22.11.2024.
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