Grazie durch die übergrosse Genauigkeit verloren gegangen ist." Dieses Urtheil giebt uns zunächst Aufschluss über die bestimmtere Bedeutung des eigenthümlichen Beinamens, über welchen vielfach gestritten worden ist, da die Abweichungen in den Handschriften der verschiedenen Schriftsteller der Con- jectur weiten Spielraum liessen. Wir können hier nicht die einzelnen Lesarten kritisch untersuchen, und bemerken daher nur, dass die besten Quellen fast übereinstimmend auf die Form katatexitekhnos hinleiten. Die Erklärung derselben er- giebt sich aus Dionys von Halikarnass 1): Ou gar de toi, pla- stai men kai grapheis en ule phtharte kheiron eustokhias endei- knumeoi tosoetous eispherontai ponous, oste kai phlebia kai ptila kai khnous kai ta toutois omoia eis akron exergazesthai kai katatekein eis tauta tas tekhnas .... "Man sieht (um hier die Worte Müller's 2) anzuführen), dass katatekein ten tekhnen ein sorgfältiges Ausdrücken aller Details der Oberfläche, überhaupt ein Bilden ins Feinste und Kleinste bezeichnet. Dieser Aus- druck muss in den Werkstätten der Künstler gebräuchlich ge- wesen sein, aus welchen ihn nur Dionysios für rhetorische Zwecke entlehnt; offenbar ging er von den eigentlichen Plasten aus, welche dem Wachs, mit welchem sie den Erzguss vor- bereiten, durch Kneten und Drücken seine Form gaben; katatekein drückt ein Kneten aus, welches nicht viel Masse übrig lässt, überall ins Dünne, Feine geht." Dieses katatekein ist also, sofern nicht das richtige Maass überschritten wird, sogar ein nothwendiger Theil aller Kunstübung; und Kallima- chos konnte in seinem absichtlichen Streben nach grösster Feinheit der Durchführung den davon abgeleiteten Beinamen, auch wenn er ihm von andern, und zuerst vielleicht im tadeln- den Sinne beigelegt war, für sich als ein Lob annehmen. Ge- wiss ist, wie Müller sagt, "der Name katatexitekhnos zwar einer- seits lobend, aber doch zugleich so zweideutiger Natur, dass er recht wohl durch ein nec finem habens diligentiae übertragen wer- den konnte. Denn es liegt wirklich schon in diesem Namen, dass dem Katatexitechnos am Ende die ganze Kunst in solche Minu- tien übergeht, sich ihm gleichsam unter den Händen zerfasert."
Nach dieser Betrachtung müssen wir noch die Frage auf- werfen, ob nicht mit derselben das schon früher angeführte
1) de vi Demosth. p. 194 Sylb.
2) zu Völckels Nachlass S. 153.
Grazie durch die übergrosse Genauigkeit verloren gegangen ist.” Dieses Urtheil giebt uns zunächst Aufschluss über die bestimmtere Bedeutung des eigenthümlichen Beinamens, über welchen vielfach gestritten worden ist, da die Abweichungen in den Handschriften der verschiedenen Schriftsteller der Con- jectur weiten Spielraum liessen. Wir können hier nicht die einzelnen Lesarten kritisch untersuchen, und bemerken daher nur, dass die besten Quellen fast übereinstimmend auf die Form κατατηξίτεχνος hinleiten. Die Erklärung derselben er- giebt sich aus Dionys von Halikarnass 1): Οὐ γὰρ δή τοι, πλά- σται μὲν καὶ γραφεῖς ἐν ὕλῃ φϑαρτῇ χειρῶν εὐστοχίας ἐνδει- κνύμεοι τοσοέτους εἰσφέρονται πόνους, ὥςτε καὶ φλέβια καὶ πτίλα καὶ χνοῦς καὶ τὰ τούτοις ὅμοια εἰς ἄκρον ἐξεργάζεσϑαι καὶ κατατήκειν εἰς ταῦτα τὰς τέχνας .... „Man sieht (um hier die Worte Müller’s 2) anzuführen), dass κατατήκειν τὴν τέχνην ein sorgfältiges Ausdrücken aller Details der Oberfläche, überhaupt ein Bilden ins Feinste und Kleinste bezeichnet. Dieser Aus- druck muss in den Werkstätten der Künstler gebräuchlich ge- wesen sein, aus welchen ihn nur Dionysios für rhetorische Zwecke entlehnt; offenbar ging er von den eigentlichen Plasten aus, welche dem Wachs, mit welchem sie den Erzguss vor- bereiten, durch Kneten und Drücken seine Form gaben; κατατήκειν drückt ein Kneten aus, welches nicht viel Masse übrig lässt, überall ins Dünne, Feine geht.” Dieses κατατήκειν ist also, sofern nicht das richtige Maass überschritten wird, sogar ein nothwendiger Theil aller Kunstübung; und Kallima- chos konnte in seinem absichtlichen Streben nach grösster Feinheit der Durchführung den davon abgeleiteten Beinamen, auch wenn er ihm von andern, und zuerst vielleicht im tadeln- den Sinne beigelegt war, für sich als ein Lob annehmen. Ge- wiss ist, wie Müller sagt, „der Name κατατηξίτεχνος zwar einer- seits lobend, aber doch zugleich so zweideutiger Natur, dass er recht wohl durch ein nec finem habens diligentiae übertragen wer- den konnte. Denn es liegt wirklich schon in diesem Namen, dass dem Katatexitechnos am Ende die ganze Kunst in solche Minu- tien übergeht, sich ihm gleichsam unter den Händen zerfasert.”
Nach dieser Betrachtung müssen wir noch die Frage auf- werfen, ob nicht mit derselben das schon früher angeführte
1) de vi Demosth. p. 194 Sylb.
2) zu Völckels Nachlass S. 153.
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Grazie durch die übergrosse Genauigkeit verloren gegangen
ist.” Dieses Urtheil giebt uns zunächst Aufschluss über die
bestimmtere Bedeutung des eigenthümlichen Beinamens, über
welchen vielfach gestritten worden ist, da die Abweichungen
in den Handschriften der verschiedenen Schriftsteller der Con-
jectur weiten Spielraum liessen. Wir können hier nicht die
einzelnen Lesarten kritisch untersuchen, und bemerken daher
nur, dass die besten Quellen fast übereinstimmend auf die
Form κατατηξίτεχνος hinleiten. Die Erklärung derselben er-
giebt sich aus Dionys von Halikarnass 1): Οὐ γὰρ δή τοι, πλά-
σται μὲν καὶ γραφεῖς ἐν ὕλῃ φϑαρτῇ χειρῶν εὐστοχίας ἐνδει-
κνύμεοι τοσοέτους εἰσφέρονται πόνους, ὥςτε καὶ φλέβια καὶ
πτίλα καὶ χνοῦς καὶ τὰ τούτοις ὅμοια εἰς ἄκρον ἐξεργάζεσϑαι καὶ
κατατήκειν εἰς ταῦτα τὰς τέχνας .... „Man sieht (um hier die
Worte Müller’s 2) anzuführen), dass κατατήκειν τὴν τέχνην ein
sorgfältiges Ausdrücken aller Details der Oberfläche, überhaupt
ein Bilden ins Feinste und Kleinste bezeichnet. Dieser Aus-
druck muss in den Werkstätten der Künstler gebräuchlich ge-
wesen sein, aus welchen ihn nur Dionysios für rhetorische
Zwecke entlehnt; offenbar ging er von den eigentlichen Plasten
aus, welche dem Wachs, mit welchem sie den Erzguss vor-
bereiten, durch Kneten und Drücken seine Form gaben;
κατατήκειν drückt ein Kneten aus, welches nicht viel Masse
übrig lässt, überall ins Dünne, Feine geht.” Dieses κατατήκειν
ist also, sofern nicht das richtige Maass überschritten wird,
sogar ein nothwendiger Theil aller Kunstübung; und Kallima-
chos konnte in seinem absichtlichen Streben nach grösster
Feinheit der Durchführung den davon abgeleiteten Beinamen,
auch wenn er ihm von andern, und zuerst vielleicht im tadeln-
den Sinne beigelegt war, für sich als ein Lob annehmen. Ge-
wiss ist, wie Müller sagt, „der Name κατατηξίτεχνος zwar einer-
seits lobend, aber doch zugleich so zweideutiger Natur, dass er
recht wohl durch ein nec finem habens diligentiae übertragen wer-
den konnte. Denn es liegt wirklich schon in diesem Namen, dass
dem Katatexitechnos am Ende die ganze Kunst in solche Minu-
tien übergeht, sich ihm gleichsam unter den Händen zerfasert.”
Nach dieser Betrachtung müssen wir noch die Frage auf-
werfen, ob nicht mit derselben das schon früher angeführte
1) de vi Demosth. p. 194 Sylb.
2) zu Völckels Nachlass S. 153.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/267>, abgerufen am 24.11.2024.
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