Urtheil des Dionys von Halikarnass im Widerspruch steht, welches Kallimachos mit Kalamis wegen der Zierlichkeit und Anmuth zusammenstellt. Wir bemerken zuerst, dass beide Künstler zwar lobend erwähnt, aber doch minder hoch gestellt werden, als Phidias und Polyklet, womit der Ausdruck des Pausanias apodeon ton proton im besten Einklange steht. Sodann aber dürfen wir wohl behaupten, dass dem Kallima- chos die Zusammenstellung mit dem älteren Kalamis vielmehr zum Tadel, als zum Lobe gereicht. Er erscheint dadurch als ein Künstler, welcher nicht im Stande war, den gewaltigen Umschwung der Kunst in den Werken eines Phidias und Po- lyklet zu würdigen und zu begreifen, sich daher lieber mit den Vorgängern derselben auf eine Linie stellt, und sein Verdienst höchstens darin sucht, dasjenige, was diese erstrebt, noch mehr zu verfeinern und bis ins Kleinliche auszubilden. So er- reicht er Anmuth, aber nicht die freie natürliche, sondern die mehr gesuchte archaische Zierlichkeit; er erreicht Sauberkeit und Feinheit, aber durch ewiges Feilen geräth er in Gefahr, sich in Magerkeit und Härte zu verlieren. Genug: Eigen- schaften, welche an sich zum Lobe gereichen müssten, werden bei ihm zum Tadel, weil sie, anstatt als Mittel zur Erreichung höherer Zwecke zu dienen, durch Einseitigkeit und Ueber- maass in ihrer Anwendung, vielmehr der freieren Bewegung des Geistes als Hemmungen entgegentreten.
Dass ein archaistisches Relief des capitolinischen Museums, einen Satyr mit drei Nymphen darstellend 1), nicht diesem Kallimachos beigelegt werden kann, bedarf kaum eines beson- deren Beweises. Der manierirte Styl, so wie die Fassung der Inschrift KALLIMAKhOS EPOIEI 2), verweisen es in die rö- mische Zeit; und obwohl wir dem Kallimachos einen etwas alterthümlichen Styl beigelegt haben, so ist doch kaum anzu- nehmen, dass derselbe so wenig entwickelt gewesen sei, als in dem Vorbilde, auf welches jenes Relief etwa zurückgeführt werden könnte.
Demetrios.
Die verschiedenen Erwähnungen eines Bildhauers Deme- trios lassen sich ohne Schwierigkeiten auf eine und dieselbe
1) Foggini: Mus. Cap. IV, t. 43.
2) S. meinen Aufsatz über das Im- perfectum in Künstlerinschriften, im Rh. Mus. N. F. VIII, S. 236.
Urtheil des Dionys von Halikarnass im Widerspruch steht, welches Kallimachos mit Kalamis wegen der Zierlichkeit und Anmuth zusammenstellt. Wir bemerken zuerst, dass beide Künstler zwar lobend erwähnt, aber doch minder hoch gestellt werden, als Phidias und Polyklet, womit der Ausdruck des Pausanias ἀποδέων τῶν πρώτων im besten Einklange steht. Sodann aber dürfen wir wohl behaupten, dass dem Kallima- chos die Zusammenstellung mit dem älteren Kalamis vielmehr zum Tadel, als zum Lobe gereicht. Er erscheint dadurch als ein Künstler, welcher nicht im Stande war, den gewaltigen Umschwung der Kunst in den Werken eines Phidias und Po- lyklet zu würdigen und zu begreifen, sich daher lieber mit den Vorgängern derselben auf eine Linie stellt, und sein Verdienst höchstens darin sucht, dasjenige, was diese erstrebt, noch mehr zu verfeinern und bis ins Kleinliche auszubilden. So er- reicht er Anmuth, aber nicht die freie natürliche, sondern die mehr gesuchte archaische Zierlichkeit; er erreicht Sauberkeit und Feinheit, aber durch ewiges Feilen geräth er in Gefahr, sich in Magerkeit und Härte zu verlieren. Genug: Eigen- schaften, welche an sich zum Lobe gereichen müssten, werden bei ihm zum Tadel, weil sie, anstatt als Mittel zur Erreichung höherer Zwecke zu dienen, durch Einseitigkeit und Ueber- maass in ihrer Anwendung, vielmehr der freieren Bewegung des Geistes als Hemmungen entgegentreten.
Dass ein archaistisches Relief des capitolinischen Museums, einen Satyr mit drei Nymphen darstellend 1), nicht diesem Kallimachos beigelegt werden kann, bedarf kaum eines beson- deren Beweises. Der manierirte Styl, so wie die Fassung der Inschrift ΚΑΛΛΙΜΑΧΟΣ ΕΠΟΙΕΙ 2), verweisen es in die rö- mische Zeit; und obwohl wir dem Kallimachos einen etwas alterthümlichen Styl beigelegt haben, so ist doch kaum anzu- nehmen, dass derselbe so wenig entwickelt gewesen sei, als in dem Vorbilde, auf welches jenes Relief etwa zurückgeführt werden könnte.
Demetrios.
Die verschiedenen Erwähnungen eines Bildhauers Deme- trios lassen sich ohne Schwierigkeiten auf eine und dieselbe
1) Foggini: Mus. Cap. IV, t. 43.
2) S. meinen Aufsatz über das Im- perfectum in Künstlerinschriften, im Rh. Mus. N. F. VIII, S. 236.
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Urtheil des Dionys von Halikarnass im Widerspruch steht,
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Anmuth zusammenstellt. Wir bemerken zuerst, dass beide
Künstler zwar lobend erwähnt, aber doch minder hoch gestellt
werden, als Phidias und Polyklet, womit der Ausdruck des
Pausanias ἀποδέων τῶν πρώτων im besten Einklange steht.
Sodann aber dürfen wir wohl behaupten, dass dem Kallima-
chos die Zusammenstellung mit dem älteren Kalamis vielmehr
zum Tadel, als zum Lobe gereicht. Er erscheint dadurch als
ein Künstler, welcher nicht im Stande war, den gewaltigen
Umschwung der Kunst in den Werken eines Phidias und Po-
lyklet zu würdigen und zu begreifen, sich daher lieber mit den
Vorgängern derselben auf eine Linie stellt, und sein Verdienst
höchstens darin sucht, dasjenige, was diese erstrebt, noch
mehr zu verfeinern und bis ins Kleinliche auszubilden. So er-
reicht er Anmuth, aber nicht die freie natürliche, sondern die
mehr gesuchte archaische Zierlichkeit; er erreicht Sauberkeit
und Feinheit, aber durch ewiges Feilen geräth er in Gefahr,
sich in Magerkeit und Härte zu verlieren. Genug: Eigen-
schaften, welche an sich zum Lobe gereichen müssten, werden
bei ihm zum Tadel, weil sie, anstatt als Mittel zur Erreichung
höherer Zwecke zu dienen, durch Einseitigkeit und Ueber-
maass in ihrer Anwendung, vielmehr der freieren Bewegung
des Geistes als Hemmungen entgegentreten.
Dass ein archaistisches Relief des capitolinischen Museums,
einen Satyr mit drei Nymphen darstellend 1), nicht diesem
Kallimachos beigelegt werden kann, bedarf kaum eines beson-
deren Beweises. Der manierirte Styl, so wie die Fassung der
Inschrift ΚΑΛΛΙΜΑΧΟΣ ΕΠΟΙΕΙ 2), verweisen es in die rö-
mische Zeit; und obwohl wir dem Kallimachos einen etwas
alterthümlichen Styl beigelegt haben, so ist doch kaum anzu-
nehmen, dass derselbe so wenig entwickelt gewesen sei, als
in dem Vorbilde, auf welches jenes Relief etwa zurückgeführt
werden könnte.
Demetrios.
Die verschiedenen Erwähnungen eines Bildhauers Deme-
trios lassen sich ohne Schwierigkeiten auf eine und dieselbe
1) Foggini: Mus. Cap. IV, t. 43.
2) S. meinen Aufsatz über das Im-
perfectum in Künstlerinschriften, im Rh. Mus. N. F. VIII, S. 236.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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