Die bisher genannten Werke legte wenigstens das Alter- thum mit Bestimmtheit dem alten Daedalos bei: Zweifelhafter ist es bei den folgenden:
1) Eustathius (ad Dion. Perieg. 793) fand bei Arrian ein bewundernswerthes Bild (thaumaston agalma) des Zeus Stratios zu Nikomedia in Bithynien als ein Werk des Dae- dalos erwähnt. Nun wäre es zwar nicht wunderbar, wenn sich die Sage von dem älteren Künstler auch nach Kleinasien verbreitet hätte. Aber zu Ephesos hat sich die Basis von ei- nem Werke des jüngeren Daedalos gefunden, der gegen Ol. 95 lebte und daher mit grösserem Rechte für den Künstler dieses Zeusbildes gehalten werden darf. Dasselbe gilt
2) von einem Werke (einem Artemisbilde?) zu Mono- gissa in Karien, von dem in einer lückenhaften Stelle des Stephanus Byzantius (s. v. Monogissa) die Rede ist.
3) Derselbe (s. v. Elektrides nesoi) berichtet ferner, dass auf den Bernsteininseln zwei Bildsäulen des Daedalos und Pharos sich befinden. Allein er sagt nicht ausdrücklich, dass sie Werke des Daedalos seien.
4) Endlich ist hier von dem Chortanze zu handeln, welchen Daedalos der Ariadne verfertigt haben soll. Homer nemlich lässt den Hephaestos auf dem Schilde des Achilles einen Chor bilden: to ikelon, oion pot' eni Knoso eureie Daidalos eskesen kalliplokamo Ariadne (Il. S 591), Pausanias aber führt diesen Chor als ein Relief in Marmor unter den Wer- ken des Daedalos an (IX, 40, 3). Trotz dieser Autorität hat man indessen gezweifelt, sowohl ob das von Pausanias er- wähnte Relief von der Hand des Daedalos sei, als auch ob man bei den Worten des Homer überhaupt an ein Kunstwerk zu denken habe. Und mit Recht. Was zuerst den Sprachge- brauch von askeo anlangt, so führt Thiersch (Ep. Anm. S. 19) zwar an, dass es Homer bei der Verfertigung eines Bogens, Bechers, eines Thrones anwendet. Damit lässt sich indessen der Ausdruck khoron eskesen nicht vergleichen. In den ange- führten Beispielen ist es immer ein Stoff, eine Sache, die be- arbeitet wird, hier dagegen eine Handlung, welche dargestellt werden soll. Der Dichter hätte demnach hinzufügen müssen, von welcher Art das Werk gewesen, an dem der Chor ge- bildet war, welchem Zwecke es dienen sollte. Denn dass Dae- dalos den Chor rein als ein für sich bestehendes Kunstwerk
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 2
Die bisher genannten Werke legte wenigstens das Alter- thum mit Bestimmtheit dem alten Daedalos bei: Zweifelhafter ist es bei den folgenden:
1) Eustathius (ad Dion. Perieg. 793) fand bei Arrian ein bewundernswerthes Bild (ϑαυμαστὸν ἄγαλμα) des Zeus Stratios zu Nikomedia in Bithynien als ein Werk des Dae- dalos erwähnt. Nun wäre es zwar nicht wunderbar, wenn sich die Sage von dem älteren Künstler auch nach Kleinasien verbreitet hätte. Aber zu Ephesos hat sich die Basis von ei- nem Werke des jüngeren Daedalos gefunden, der gegen Ol. 95 lebte und daher mit grösserem Rechte für den Künstler dieses Zeusbildes gehalten werden darf. Dasselbe gilt
2) von einem Werke (einem Artemisbilde?) zu Mono- gissa in Karien, von dem in einer lückenhaften Stelle des Stephanus Byzantius (s. v. Μονόγισσα) die Rede ist.
3) Derselbe (s. v. Ἠλεκτρίδες νῆσοι) berichtet ferner, dass auf den Bernsteininseln zwei Bildsäulen des Daedalos und Pharos sich befinden. Allein er sagt nicht ausdrücklich, dass sie Werke des Daedalos seien.
4) Endlich ist hier von dem Chortanze zu handeln, welchen Daedalos der Ariadne verfertigt haben soll. Homer nemlich lässt den Hephaestos auf dem Schilde des Achilles einen Chor bilden: τῷ ἴκελον, οἷόν ποτ᾽ ἐνὶ Κνωσῷ εὐρείῃ Δαίδαλος ἤσκησεν καλλιπλοκάμῳ Ἀριάδνῃ (Il. Σ 591), Pausanias aber führt diesen Chor als ein Relief in Marmor unter den Wer- ken des Daedalos an (IX, 40, 3). Trotz dieser Autorität hat man indessen gezweifelt, sowohl ob das von Pausanias er- wähnte Relief von der Hand des Daedalos sei, als auch ob man bei den Worten des Homer überhaupt an ein Kunstwerk zu denken habe. Und mit Recht. Was zuerst den Sprachge- brauch von ἀσκέω anlangt, so führt Thiersch (Ep. Anm. S. 19) zwar an, dass es Homer bei der Verfertigung eines Bogens, Bechers, eines Thrones anwendet. Damit lässt sich indessen der Ausdruck χορὸν ἤσκησεν nicht vergleichen. In den ange- führten Beispielen ist es immer ein Stoff, eine Sache, die be- arbeitet wird, hier dagegen eine Handlung, welche dargestellt werden soll. Der Dichter hätte demnach hinzufügen müssen, von welcher Art das Werk gewesen, an dem der Chor ge- bildet war, welchem Zwecke es dienen sollte. Denn dass Dae- dalos den Chor rein als ein für sich bestehendes Kunstwerk
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 2
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Die bisher genannten Werke legte wenigstens das Alter-
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ist es bei den folgenden:
1) Eustathius (ad Dion. Perieg. 793) fand bei Arrian ein
bewundernswerthes Bild (ϑαυμαστὸν ἄγαλμα) des Zeus
Stratios zu Nikomedia in Bithynien als ein Werk des Dae-
dalos erwähnt. Nun wäre es zwar nicht wunderbar, wenn
sich die Sage von dem älteren Künstler auch nach Kleinasien
verbreitet hätte. Aber zu Ephesos hat sich die Basis von ei-
nem Werke des jüngeren Daedalos gefunden, der gegen Ol.
95 lebte und daher mit grösserem Rechte für den Künstler dieses
Zeusbildes gehalten werden darf. Dasselbe gilt
2) von einem Werke (einem Artemisbilde?) zu Mono-
gissa in Karien, von dem in einer lückenhaften Stelle des
Stephanus Byzantius (s. v. Μονόγισσα) die Rede ist.
3) Derselbe (s. v. Ἠλεκτρίδες νῆσοι) berichtet ferner, dass
auf den Bernsteininseln zwei Bildsäulen des Daedalos und
Pharos sich befinden. Allein er sagt nicht ausdrücklich, dass
sie Werke des Daedalos seien.
4) Endlich ist hier von dem Chortanze zu handeln,
welchen Daedalos der Ariadne verfertigt haben soll. Homer
nemlich lässt den Hephaestos auf dem Schilde des Achilles einen
Chor bilden: τῷ ἴκελον, οἷόν ποτ᾽ ἐνὶ Κνωσῷ εὐρείῃ Δαίδαλος
ἤσκησεν καλλιπλοκάμῳ Ἀριάδνῃ (Il. Σ 591), Pausanias aber
führt diesen Chor als ein Relief in Marmor unter den Wer-
ken des Daedalos an (IX, 40, 3). Trotz dieser Autorität hat
man indessen gezweifelt, sowohl ob das von Pausanias er-
wähnte Relief von der Hand des Daedalos sei, als auch ob
man bei den Worten des Homer überhaupt an ein Kunstwerk
zu denken habe. Und mit Recht. Was zuerst den Sprachge-
brauch von ἀσκέω anlangt, so führt Thiersch (Ep. Anm. S. 19)
zwar an, dass es Homer bei der Verfertigung eines Bogens,
Bechers, eines Thrones anwendet. Damit lässt sich indessen
der Ausdruck χορὸν ἤσκησεν nicht vergleichen. In den ange-
führten Beispielen ist es immer ein Stoff, eine Sache, die be-
arbeitet wird, hier dagegen eine Handlung, welche dargestellt
werden soll. Der Dichter hätte demnach hinzufügen müssen,
von welcher Art das Werk gewesen, an dem der Chor ge-
bildet war, welchem Zwecke es dienen sollte. Denn dass Dae-
dalos den Chor rein als ein für sich bestehendes Kunstwerk
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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