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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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nach Olympia, ein anderer Zweig nach Delphi. Solches Glück
ward der Kunst von Argos nur ausnahmsweise zu Theil. Nur
einmal schmückt Polyklet einen Tempel, den der Hera, mit
einem kostbaren Bilde aus Gold und Elfenbein; und wenn auch
die übrigen Sculpturen dieses Tempels, wie die am Giebel und
an den Metopen, zur gleichen Zeit entstanden, und einhei-
mische Künstler daran beschäftigt gewesen sein mögen, so
bleibt dieses eine vereinzelte Anstrengung, die der Staat Ar-
gos auf eine zufällige Veranlassung hin, den Brand des alten
Tempels, machte. Sonst ist die Thätigkeit der Künstler von
Argos fast immer Privatsache: es handelt sich um ein-
zelne Bilder olympischer Sieger, um einzelne Götterbilder für
unbedeutendere Staaten oder Städte. Ja selbst wo diesen
Künstlern umfangreichere Aufgaben geboten wurden, zer-
splittern sich dieselben ins Kleine. Einem Phidias z. B. wird
die Gruppe von dreizehn Erzfiguren, das Weihgeschenk we-
gen des marathonischen Sieges, einem Lykios eine andere
der Apolloniaten von gleicher Figurenzahl allein und aus-
schliesslich übertragen. An den neun Figuren des tegeati-
schen Denkmals dagegen sind vier Künstler beschäftigt. Bei
der Hauptgruppe des Weihgeschenkes von Aegospotamoi
von eben so vielen Figuren ist die Arbeit unter fünf Künst-
ler vertheilt; die zahlreichen Statuen der Bundesgenossen
aber scheinen kaum eine geschlossene Composition gebildet
zu haben, sondern einfache Ehrenstatuen gewesen zu sein.
Es kann daher keinem Zweifel unterworfen sein, dass auf
die verschiedenartige Entwickelung der attischen und ar-
givischen Kunst die äusseren Verhältnisse, das Maass der
dargebotenen Mittel, von einem sehr wesentlichen Einflusse
waren. --

Wir begannen die allgemeine Betrachtung dieser Periode
mit der Hinweisung darauf, dass sich das gesammte künstle-
rische Leben um zwei Mittelpunkte, Athen und Argos, grup-
pirt. Diese Erscheinung ist von der grössten Wichtigkeit,
nicht blos, weil sie uns zeigt, wie mächtig einzelne Geister
zu wirken vermögen, sondern ganz besonders auch deshalb,
weil sich dadurch hauptsächlich erklärt, wie die griechische
Kunst, auch nachdem sie schon das Höchste erreicht, nicht
zerfällt, sondern in stetiger Fortentwickelung erscheint. Der
Zusammenhang, die Herrschaft der Schule bewährt sich als

nach Olympia, ein anderer Zweig nach Delphi. Solches Glück
ward der Kunst von Argos nur ausnahmsweise zu Theil. Nur
einmal schmückt Polyklet einen Tempel, den der Hera, mit
einem kostbaren Bilde aus Gold und Elfenbein; und wenn auch
die übrigen Sculpturen dieses Tempels, wie die am Giebel und
an den Metopen, zur gleichen Zeit entstanden, und einhei-
mische Künstler daran beschäftigt gewesen sein mögen, so
bleibt dieses eine vereinzelte Anstrengung, die der Staat Ar-
gos auf eine zufällige Veranlassung hin, den Brand des alten
Tempels, machte. Sonst ist die Thätigkeit der Künstler von
Argos fast immer Privatsache: es handelt sich um ein-
zelne Bilder olympischer Sieger, um einzelne Götterbilder für
unbedeutendere Staaten oder Städte. Ja selbst wo diesen
Künstlern umfangreichere Aufgaben geboten wurden, zer-
splittern sich dieselben ins Kleine. Einem Phidias z. B. wird
die Gruppe von dreizehn Erzfiguren, das Weihgeschenk we-
gen des marathonischen Sieges, einem Lykios eine andere
der Apolloniaten von gleicher Figurenzahl allein und aus-
schliesslich übertragen. An den neun Figuren des tegeati-
schen Denkmals dagegen sind vier Künstler beschäftigt. Bei
der Hauptgruppe des Weihgeschenkes von Aegospotamoi
von eben so vielen Figuren ist die Arbeit unter fünf Künst-
ler vertheilt; die zahlreichen Statuen der Bundesgenossen
aber scheinen kaum eine geschlossene Composition gebildet
zu haben, sondern einfache Ehrenstatuen gewesen zu sein.
Es kann daher keinem Zweifel unterworfen sein, dass auf
die verschiedenartige Entwickelung der attischen und ar-
givischen Kunst die äusseren Verhältnisse, das Maass der
dargebotenen Mittel, von einem sehr wesentlichen Einflusse
waren. —

Wir begannen die allgemeine Betrachtung dieser Periode
mit der Hinweisung darauf, dass sich das gesammte künstle-
rische Leben um zwei Mittelpunkte, Athen und Argos, grup-
pirt. Diese Erscheinung ist von der grössten Wichtigkeit,
nicht blos, weil sie uns zeigt, wie mächtig einzelne Geister
zu wirken vermögen, sondern ganz besonders auch deshalb,
weil sich dadurch hauptsächlich erklärt, wie die griechische
Kunst, auch nachdem sie schon das Höchste erreicht, nicht
zerfällt, sondern in stetiger Fortentwickelung erscheint. Der
Zusammenhang, die Herrschaft der Schule bewährt sich als

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[310/0323] nach Olympia, ein anderer Zweig nach Delphi. Solches Glück ward der Kunst von Argos nur ausnahmsweise zu Theil. Nur einmal schmückt Polyklet einen Tempel, den der Hera, mit einem kostbaren Bilde aus Gold und Elfenbein; und wenn auch die übrigen Sculpturen dieses Tempels, wie die am Giebel und an den Metopen, zur gleichen Zeit entstanden, und einhei- mische Künstler daran beschäftigt gewesen sein mögen, so bleibt dieses eine vereinzelte Anstrengung, die der Staat Ar- gos auf eine zufällige Veranlassung hin, den Brand des alten Tempels, machte. Sonst ist die Thätigkeit der Künstler von Argos fast immer Privatsache: es handelt sich um ein- zelne Bilder olympischer Sieger, um einzelne Götterbilder für unbedeutendere Staaten oder Städte. Ja selbst wo diesen Künstlern umfangreichere Aufgaben geboten wurden, zer- splittern sich dieselben ins Kleine. Einem Phidias z. B. wird die Gruppe von dreizehn Erzfiguren, das Weihgeschenk we- gen des marathonischen Sieges, einem Lykios eine andere der Apolloniaten von gleicher Figurenzahl allein und aus- schliesslich übertragen. An den neun Figuren des tegeati- schen Denkmals dagegen sind vier Künstler beschäftigt. Bei der Hauptgruppe des Weihgeschenkes von Aegospotamoi von eben so vielen Figuren ist die Arbeit unter fünf Künst- ler vertheilt; die zahlreichen Statuen der Bundesgenossen aber scheinen kaum eine geschlossene Composition gebildet zu haben, sondern einfache Ehrenstatuen gewesen zu sein. Es kann daher keinem Zweifel unterworfen sein, dass auf die verschiedenartige Entwickelung der attischen und ar- givischen Kunst die äusseren Verhältnisse, das Maass der dargebotenen Mittel, von einem sehr wesentlichen Einflusse waren. — Wir begannen die allgemeine Betrachtung dieser Periode mit der Hinweisung darauf, dass sich das gesammte künstle- rische Leben um zwei Mittelpunkte, Athen und Argos, grup- pirt. Diese Erscheinung ist von der grössten Wichtigkeit, nicht blos, weil sie uns zeigt, wie mächtig einzelne Geister zu wirken vermögen, sondern ganz besonders auch deshalb, weil sich dadurch hauptsächlich erklärt, wie die griechische Kunst, auch nachdem sie schon das Höchste erreicht, nicht zerfällt, sondern in stetiger Fortentwickelung erscheint. Der Zusammenhang, die Herrschaft der Schule bewährt sich als

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/323>, abgerufen am 22.11.2024.