ner Zeit. Wir wollen diese nicht des absichtlichen Betrugs anklagen: aber gewiss täuschten sie sich selbst. Sie fanden in Verbindung mit ihrem Hephaestos einen Dämon oder Menschen, dessen Name eine mit dem griechischen Daedalos übereinstim- mende Bedeutung haben mochte; und dies war ihnen Grund genug, beide für eine und dieselbe Person zu halten. Wir würden die Einheit, wenigstens der Idee, zugeben, wenn der griechische Hephaestos, wie er einmal bei Pindar und auf ei- nem Vasenbilde Daedalos heisst, auch sonst einen Daedalos neben oder unter sich hätte. Der griechische Künstler aber hat selbst in der mythologischen Ausbildung seiner Geschichte nirgends etwas mit dem Feuergotte zu thun: seine doppelte Thätigkeit erstreckt sich nur auf Holzbilder und Bauwerke, nirgends auf Metallarbeit.
Wir haben bis jetzt den Daedalos vorzugsweise als Bild- ner im Auge gehabt, und wurden dazu durch die Natur un- serer Quellen von selbst veranlasst. Die Bauwerke führen uns aus Hellas nach den westlichen Niederlassungen, und diese Scheidung der verschiedenen Kunstthätigkeit nach den ver- schiedenen Ländern erscheint auffallend genug, um eine be- sondere Veranlassung dafür zu vermuthen; doch sind wir nicht im Stande, sie nachzuweisen. Die Persönlichkeit des Künst- lers bleibt indessen auch hier dieselbe, die uns namentlich in der mythologischen Ausbildung der Sage überall entgegentritt. Er ist ein wahrer Odysseus in der Kunst, voll neuer Gedanken, sinnig im Erfinden, gewandt im Ausführen, und jede Schwie- rigkeit scheint, weit entfernt ihm Verlegenheiten zu bereiten, vielmehr stets von Neuem ihm die Veranlassung darzubieten, durch Ueberwindung derselben zu überraschen und zu glänzen.
Natürlich hat diese ganze Gestaltung der Persönlichkeit für die Künstlergeschichte keinen besonderen Werth. Denn wie schon bemerkt ist, die Person gehört der Sage an, und die Thatsachen, die in ihr verkörpert erscheinen, liegen weit aus einander, dem Raume wie der Zeit nach. Leider ist ihr keine weitere Ausbildung zu Theil geworden. Stände Daeda- los in einem Kreise von Künstlern, wie Odysseus in der Mitte einer Reihe von Helden, so würde sich trotz aller poetischen Ausschmückung doch manches Factum, mancher Gegensatz in der Kunstübung der mehr historischen Zeit wenigstens im Keime nachweisen lassen. Aber, den einzigen Talos ausge-
ner Zeit. Wir wollen diese nicht des absichtlichen Betrugs anklagen: aber gewiss täuschten sie sich selbst. Sie fanden in Verbindung mit ihrem Hephaestos einen Dämon oder Menschen, dessen Name eine mit dem griechischen Daedalos übereinstim- mende Bedeutung haben mochte; und dies war ihnen Grund genug, beide für eine und dieselbe Person zu halten. Wir würden die Einheit, wenigstens der Idee, zugeben, wenn der griechische Hephaestos, wie er einmal bei Pindar und auf ei- nem Vasenbilde Daedalos heisst, auch sonst einen Daedalos neben oder unter sich hätte. Der griechische Künstler aber hat selbst in der mythologischen Ausbildung seiner Geschichte nirgends etwas mit dem Feuergotte zu thun: seine doppelte Thätigkeit erstreckt sich nur auf Holzbilder und Bauwerke, nirgends auf Metallarbeit.
Wir haben bis jetzt den Daedalos vorzugsweise als Bild- ner im Auge gehabt, und wurden dazu durch die Natur un- serer Quellen von selbst veranlasst. Die Bauwerke führen uns aus Hellas nach den westlichen Niederlassungen, und diese Scheidung der verschiedenen Kunstthätigkeit nach den ver- schiedenen Ländern erscheint auffallend genug, um eine be- sondere Veranlassung dafür zu vermuthen; doch sind wir nicht im Stande, sie nachzuweisen. Die Persönlichkeit des Künst- lers bleibt indessen auch hier dieselbe, die uns namentlich in der mythologischen Ausbildung der Sage überall entgegentritt. Er ist ein wahrer Odysseus in der Kunst, voll neuer Gedanken, sinnig im Erfinden, gewandt im Ausführen, und jede Schwie- rigkeit scheint, weit entfernt ihm Verlegenheiten zu bereiten, vielmehr stets von Neuem ihm die Veranlassung darzubieten, durch Ueberwindung derselben zu überraschen und zu glänzen.
Natürlich hat diese ganze Gestaltung der Persönlichkeit für die Künstlergeschichte keinen besonderen Werth. Denn wie schon bemerkt ist, die Person gehört der Sage an, und die Thatsachen, die in ihr verkörpert erscheinen, liegen weit aus einander, dem Raume wie der Zeit nach. Leider ist ihr keine weitere Ausbildung zu Theil geworden. Stände Daeda- los in einem Kreise von Künstlern, wie Odysseus in der Mitte einer Reihe von Helden, so würde sich trotz aller poetischen Ausschmückung doch manches Factum, mancher Gegensatz in der Kunstübung der mehr historischen Zeit wenigstens im Keime nachweisen lassen. Aber, den einzigen Talos ausge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0035"n="22"/>
ner Zeit. Wir wollen diese nicht des absichtlichen Betrugs<lb/>
anklagen: aber gewiss täuschten sie sich selbst. Sie fanden in<lb/>
Verbindung mit ihrem Hephaestos einen Dämon oder Menschen,<lb/>
dessen Name eine mit dem griechischen Daedalos übereinstim-<lb/>
mende Bedeutung haben mochte; und dies war ihnen Grund<lb/>
genug, beide für eine und dieselbe Person zu halten. Wir<lb/>
würden die Einheit, wenigstens der Idee, zugeben, wenn der<lb/>
griechische Hephaestos, wie er einmal bei Pindar und auf ei-<lb/>
nem Vasenbilde Daedalos heisst, auch sonst einen Daedalos<lb/>
neben oder unter sich hätte. Der griechische Künstler aber<lb/>
hat selbst in der mythologischen Ausbildung seiner Geschichte<lb/>
nirgends etwas mit dem Feuergotte zu thun: seine doppelte<lb/>
Thätigkeit erstreckt sich nur auf Holzbilder und Bauwerke,<lb/>
nirgends auf Metallarbeit.</p><lb/><p>Wir haben bis jetzt den Daedalos vorzugsweise als Bild-<lb/>
ner im Auge gehabt, und wurden dazu durch die Natur un-<lb/>
serer Quellen von selbst veranlasst. Die Bauwerke führen<lb/>
uns aus Hellas nach den westlichen Niederlassungen, und diese<lb/>
Scheidung der verschiedenen Kunstthätigkeit nach den ver-<lb/>
schiedenen Ländern erscheint auffallend genug, um eine be-<lb/>
sondere Veranlassung dafür zu vermuthen; doch sind wir nicht<lb/>
im Stande, sie nachzuweisen. Die Persönlichkeit des Künst-<lb/>
lers bleibt indessen auch hier dieselbe, die uns namentlich in<lb/>
der mythologischen Ausbildung der Sage überall entgegentritt.<lb/>
Er ist ein wahrer Odysseus in der Kunst, voll neuer Gedanken,<lb/>
sinnig im Erfinden, gewandt im Ausführen, und jede Schwie-<lb/>
rigkeit scheint, weit entfernt ihm Verlegenheiten zu bereiten,<lb/>
vielmehr stets von Neuem ihm die Veranlassung darzubieten,<lb/>
durch Ueberwindung derselben zu überraschen und zu glänzen.</p><lb/><p>Natürlich hat diese ganze Gestaltung der Persönlichkeit<lb/>
für die Künstlergeschichte keinen besonderen Werth. Denn<lb/>
wie schon bemerkt ist, die Person gehört der Sage an, und<lb/>
die Thatsachen, die in ihr verkörpert erscheinen, liegen weit<lb/>
aus einander, dem Raume wie der Zeit nach. Leider ist ihr<lb/>
keine weitere Ausbildung zu Theil geworden. Stände Daeda-<lb/>
los in einem Kreise von Künstlern, wie Odysseus in der Mitte<lb/>
einer Reihe von Helden, so würde sich trotz aller poetischen<lb/>
Ausschmückung doch manches Factum, mancher Gegensatz<lb/>
in der Kunstübung der mehr historischen Zeit wenigstens im<lb/>
Keime nachweisen lassen. Aber, den einzigen Talos ausge-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[22/0035]
ner Zeit. Wir wollen diese nicht des absichtlichen Betrugs
anklagen: aber gewiss täuschten sie sich selbst. Sie fanden in
Verbindung mit ihrem Hephaestos einen Dämon oder Menschen,
dessen Name eine mit dem griechischen Daedalos übereinstim-
mende Bedeutung haben mochte; und dies war ihnen Grund
genug, beide für eine und dieselbe Person zu halten. Wir
würden die Einheit, wenigstens der Idee, zugeben, wenn der
griechische Hephaestos, wie er einmal bei Pindar und auf ei-
nem Vasenbilde Daedalos heisst, auch sonst einen Daedalos
neben oder unter sich hätte. Der griechische Künstler aber
hat selbst in der mythologischen Ausbildung seiner Geschichte
nirgends etwas mit dem Feuergotte zu thun: seine doppelte
Thätigkeit erstreckt sich nur auf Holzbilder und Bauwerke,
nirgends auf Metallarbeit.
Wir haben bis jetzt den Daedalos vorzugsweise als Bild-
ner im Auge gehabt, und wurden dazu durch die Natur un-
serer Quellen von selbst veranlasst. Die Bauwerke führen
uns aus Hellas nach den westlichen Niederlassungen, und diese
Scheidung der verschiedenen Kunstthätigkeit nach den ver-
schiedenen Ländern erscheint auffallend genug, um eine be-
sondere Veranlassung dafür zu vermuthen; doch sind wir nicht
im Stande, sie nachzuweisen. Die Persönlichkeit des Künst-
lers bleibt indessen auch hier dieselbe, die uns namentlich in
der mythologischen Ausbildung der Sage überall entgegentritt.
Er ist ein wahrer Odysseus in der Kunst, voll neuer Gedanken,
sinnig im Erfinden, gewandt im Ausführen, und jede Schwie-
rigkeit scheint, weit entfernt ihm Verlegenheiten zu bereiten,
vielmehr stets von Neuem ihm die Veranlassung darzubieten,
durch Ueberwindung derselben zu überraschen und zu glänzen.
Natürlich hat diese ganze Gestaltung der Persönlichkeit
für die Künstlergeschichte keinen besonderen Werth. Denn
wie schon bemerkt ist, die Person gehört der Sage an, und
die Thatsachen, die in ihr verkörpert erscheinen, liegen weit
aus einander, dem Raume wie der Zeit nach. Leider ist ihr
keine weitere Ausbildung zu Theil geworden. Stände Daeda-
los in einem Kreise von Künstlern, wie Odysseus in der Mitte
einer Reihe von Helden, so würde sich trotz aller poetischen
Ausschmückung doch manches Factum, mancher Gegensatz
in der Kunstübung der mehr historischen Zeit wenigstens im
Keime nachweisen lassen. Aber, den einzigen Talos ausge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/35>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.