schafft. Beispiele einer solchen Auffassung liefert uns die griechische Kunst in genügender Zahl, unter anderen die Bild- nisse des Perikles, den unter dem Namen des Aeschylos be- kannten Kopf, welche, so zu sagen, geläutert von allen Schlak- ken des Irdischen, wie einem höher, als wir, begabten Ge- schlechte entsprossen erscheinen. Von solchen Portraits gilt zunächst, was Plinius sagt: man sei früher bestrebt gewesen, sie so schön als möglich zu bilden; oder an einer anderen Stelle 1): in ihnen erscheinen edle Männer noch edler. Doch soll damit einer individuelleren Auffassung, wie sie uns z. B. im Bilde des Demosthenes entgegentritt, keineswegs ihre Be- rechtigung abgesprochen werden. Denn wenn auch in dem ge- nannten Bilde das Verbissene, Gekniffene auf der einen ganzen Seite des Gesichts, welches an lysippische argutiae wie un- willkürlich erinnert, als ein Ausfluss des Strebens nach einer mehr äusseren Wahrheit betrachtet werden muss, so erscheint doch die ganze Behandlung der Form immer noch als dem künstlerischen Gedanken untergeordnet. Der Künstler ahmt nicht die Natur in allen ihren Einzelnheiten nach, sondern er wählt unter ihnen nur diejenigen aus, welche, wenn auch nicht ursprünglich durch den ganzen Organismus begründet, doch durch die geistige Thätigkeit der darzustellenden Person zu einer festen, bleibenden Form gelangt sind und sich dadurch zur Charakteristik dieses Geistes besonders eignen. Hier also steht der Künstler noch immer mit der schaffenden Natur auf gleicher Stufe, insofern beide die Formen nach einem und demselben Gesetze bilden und der Künstler nur da das Ein- zelne von der Natur entlehnt, wo diese etwas seinem eigenen Zwecke gemäss bereits vorgebildet hat. Die Form an sich ist aber hier keineswegs Zweck, sondern nur das Mittel zur Dar- stellung eines über ihr stehenden, sie beherrschenden Gedan- kens. Dieses Verhältniss nun gestaltet sich durchaus um, so- bald ein reiner, mehr oder minder nachgebesserter Abdruck der Natur das Kunstwerk ersetzen, oder eigentlich noch über- treffen soll, insofern von der Voraussetzung ausgegangen wird, dass die Natur eine vollkommnere Bildnerin ihrer eigenen Ge- schöpfe sein müsse, als die Kunst. Hier ordnet sich der Künst-
1) 35, 74.
schafft. Beispiele einer solchen Auffassung liefert uns die griechische Kunst in genügender Zahl, unter anderen die Bild- nisse des Perikles, den unter dem Namen des Aeschylos be- kannten Kopf, welche, so zu sagen, geläutert von allen Schlak- ken des Irdischen, wie einem höher, als wir, begabten Ge- schlechte entsprossen erscheinen. Von solchen Portraits gilt zunächst, was Plinius sagt: man sei früher bestrebt gewesen, sie so schön als möglich zu bilden; oder an einer anderen Stelle 1): in ihnen erscheinen edle Männer noch edler. Doch soll damit einer individuelleren Auffassung, wie sie uns z. B. im Bilde des Demosthenes entgegentritt, keineswegs ihre Be- rechtigung abgesprochen werden. Denn wenn auch in dem ge- nannten Bilde das Verbissene, Gekniffene auf der einen ganzen Seite des Gesichts, welches an lysippische argutiae wie un- willkürlich erinnert, als ein Ausfluss des Strebens nach einer mehr äusseren Wahrheit betrachtet werden muss, so erscheint doch die ganze Behandlung der Form immer noch als dem künstlerischen Gedanken untergeordnet. Der Künstler ahmt nicht die Natur in allen ihren Einzelnheiten nach, sondern er wählt unter ihnen nur diejenigen aus, welche, wenn auch nicht ursprünglich durch den ganzen Organismus begründet, doch durch die geistige Thätigkeit der darzustellenden Person zu einer festen, bleibenden Form gelangt sind und sich dadurch zur Charakteristik dieses Geistes besonders eignen. Hier also steht der Künstler noch immer mit der schaffenden Natur auf gleicher Stufe, insofern beide die Formen nach einem und demselben Gesetze bilden und der Künstler nur da das Ein- zelne von der Natur entlehnt, wo diese etwas seinem eigenen Zwecke gemäss bereits vorgebildet hat. Die Form an sich ist aber hier keineswegs Zweck, sondern nur das Mittel zur Dar- stellung eines über ihr stehenden, sie beherrschenden Gedan- kens. Dieses Verhältniss nun gestaltet sich durchaus um, so- bald ein reiner, mehr oder minder nachgebesserter Abdruck der Natur das Kunstwerk ersetzen, oder eigentlich noch über- treffen soll, insofern von der Voraussetzung ausgegangen wird, dass die Natur eine vollkommnere Bildnerin ihrer eigenen Ge- schöpfe sein müsse, als die Kunst. Hier ordnet sich der Künst-
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schafft. Beispiele einer solchen Auffassung liefert uns die
griechische Kunst in genügender Zahl, unter anderen die Bild-
nisse des Perikles, den unter dem Namen des Aeschylos be-
kannten Kopf, welche, so zu sagen, geläutert von allen Schlak-
ken des Irdischen, wie einem höher, als wir, begabten Ge-
schlechte entsprossen erscheinen. Von solchen Portraits gilt
zunächst, was Plinius sagt: man sei früher bestrebt gewesen,
sie so schön als möglich zu bilden; oder an einer anderen
Stelle 1): in ihnen erscheinen edle Männer noch edler. Doch
soll damit einer individuelleren Auffassung, wie sie uns z. B.
im Bilde des Demosthenes entgegentritt, keineswegs ihre Be-
rechtigung abgesprochen werden. Denn wenn auch in dem ge-
nannten Bilde das Verbissene, Gekniffene auf der einen ganzen
Seite des Gesichts, welches an lysippische argutiae wie un-
willkürlich erinnert, als ein Ausfluss des Strebens nach einer
mehr äusseren Wahrheit betrachtet werden muss, so erscheint
doch die ganze Behandlung der Form immer noch als dem
künstlerischen Gedanken untergeordnet. Der Künstler ahmt
nicht die Natur in allen ihren Einzelnheiten nach, sondern er
wählt unter ihnen nur diejenigen aus, welche, wenn auch nicht
ursprünglich durch den ganzen Organismus begründet, doch
durch die geistige Thätigkeit der darzustellenden Person zu
einer festen, bleibenden Form gelangt sind und sich dadurch
zur Charakteristik dieses Geistes besonders eignen. Hier also
steht der Künstler noch immer mit der schaffenden Natur auf
gleicher Stufe, insofern beide die Formen nach einem und
demselben Gesetze bilden und der Künstler nur da das Ein-
zelne von der Natur entlehnt, wo diese etwas seinem eigenen
Zwecke gemäss bereits vorgebildet hat. Die Form an sich ist
aber hier keineswegs Zweck, sondern nur das Mittel zur Dar-
stellung eines über ihr stehenden, sie beherrschenden Gedan-
kens. Dieses Verhältniss nun gestaltet sich durchaus um, so-
bald ein reiner, mehr oder minder nachgebesserter Abdruck
der Natur das Kunstwerk ersetzen, oder eigentlich noch über-
treffen soll, insofern von der Voraussetzung ausgegangen wird,
dass die Natur eine vollkommnere Bildnerin ihrer eigenen Ge-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/418>, abgerufen am 24.11.2024.
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