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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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heiten der äusseren Erscheinung, welche nur dem niederen
Sinne als ein Verdienst erscheinen kann 1).

Wir haben demnach die Bestrebungen des Lysistratos
nicht anders als verfehlt nennen können. Dieses strenge Ur-
theil dürfen wir indessen vom geschichtlichen Standpunkte aus
einigermassen mildern. Ich möchte es eine historische Noth-
wendigkeit nennen, dass sich die Richtung dieser ganzen
Epoche auf äussere Wahrheit einmal bis zu ihrem Endpunkte
entwickeln musste, um das Gefährliche derselben klar erken-
nen zu lassen. Diesen Versuch wagte Lysistratos; wohl aber
ist es möglich, dass er es bei dem Versuche bewenden liess.
Wenigstens finden wir keine Spuren, dass man weiter an dem
Gedanken festgehalten habe, einen Abklatsch der Natur an
die Stelle der Kunstwerke setzen zu wollen. Wohl aber
scheint die Erfindung des Abformens über dem Leben in an-
derer Beziehung einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt zu ha-
ben. In der folgenden Zeit, in welcher die Gymnastik die
hohe Bedeutung verlor, welche sie früher für das gesammte
Leben der Hellenen, und namentlich für die bildende Kunst
gehabt hatte, war nun ein neues Hülfsmittel für das Studium
des menschlichen Körpers gegeben, zwar nur ein schwacher
Ersatz für das wirkliche, bewegte Leben; aber doch ein Er-
satz, welcher der weniger aus lebendiger Phantasie, als aus
ruhiger, allseitiger Ueberlegung schaffenden Kunst der folgen-
den Epoche wesentlich förderlich sein musste. Namentlich
möchte es noch einmal eine besondere Untersuchung verdienen,
ob nicht manche Erscheinungen der eigenthümlich römischen
Kunst aus solchen Studien sich erklären liessen, ob nicht vor
allem die römische Portraitbildung am einfachsten auf eine
durch solche Studien bedingte Naturanschauung zurückzu-
führen sei.

Daippos,
Sohn und Schüler des Lysipp, und deshalb von Plinius unter
den Künstlern der 121sten Olympiade angeführt: 34, 51. Die

1) Richtig bemerkt A. W. v. Schlegel (Sämmtl. W. IX, S. 161) über einige
moderne, mit Hülfe des Abformens entstandene Büsten: "Freilich bekommt bei
dieser widerwärtigen Operation der Mund etwas Gekniffenes, die ganze Miene
wird peinlich, die fleischigen Partien werden platt gedrückt u. s. w., so dass
bei dem Nacharbeiten Leben und Bewegung gleichsam nur wie eine Schminke
auf die todte Masse aufgetragen werden muss."

heiten der äusseren Erscheinung, welche nur dem niederen
Sinne als ein Verdienst erscheinen kann 1).

Wir haben demnach die Bestrebungen des Lysistratos
nicht anders als verfehlt nennen können. Dieses strenge Ur-
theil dürfen wir indessen vom geschichtlichen Standpunkte aus
einigermassen mildern. Ich möchte es eine historische Noth-
wendigkeit nennen, dass sich die Richtung dieser ganzen
Epoche auf äussere Wahrheit einmal bis zu ihrem Endpunkte
entwickeln musste, um das Gefährliche derselben klar erken-
nen zu lassen. Diesen Versuch wagte Lysistratos; wohl aber
ist es möglich, dass er es bei dem Versuche bewenden liess.
Wenigstens finden wir keine Spuren, dass man weiter an dem
Gedanken festgehalten habe, einen Abklatsch der Natur an
die Stelle der Kunstwerke setzen zu wollen. Wohl aber
scheint die Erfindung des Abformens über dem Leben in an-
derer Beziehung einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt zu ha-
ben. In der folgenden Zeit, in welcher die Gymnastik die
hohe Bedeutung verlor, welche sie früher für das gesammte
Leben der Hellenen, und namentlich für die bildende Kunst
gehabt hatte, war nun ein neues Hülfsmittel für das Studium
des menschlichen Körpers gegeben, zwar nur ein schwacher
Ersatz für das wirkliche, bewegte Leben; aber doch ein Er-
satz, welcher der weniger aus lebendiger Phantasie, als aus
ruhiger, allseitiger Ueberlegung schaffenden Kunst der folgen-
den Epoche wesentlich förderlich sein musste. Namentlich
möchte es noch einmal eine besondere Untersuchung verdienen,
ob nicht manche Erscheinungen der eigenthümlich römischen
Kunst aus solchen Studien sich erklären liessen, ob nicht vor
allem die römische Portraitbildung am einfachsten auf eine
durch solche Studien bedingte Naturanschauung zurückzu-
führen sei.

Daïppos,
Sohn und Schüler des Lysipp, und deshalb von Plinius unter
den Künstlern der 121sten Olympiade angeführt: 34, 51. Die

1) Richtig bemerkt A. W. v. Schlegel (Sämmtl. W. IX, S. 161) über einige
moderne, mit Hülfe des Abformens entstandene Büsten: „Freilich bekommt bei
dieser widerwärtigen Operation der Mund etwas Gekniffenes, die ganze Miene
wird peinlich, die fleischigen Partien werden platt gedrückt u. s. w., so dass
bei dem Nacharbeiten Leben und Bewegung gleichsam nur wie eine Schminke
auf die todte Masse aufgetragen werden muss.”
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[407/0420] heiten der äusseren Erscheinung, welche nur dem niederen Sinne als ein Verdienst erscheinen kann 1). Wir haben demnach die Bestrebungen des Lysistratos nicht anders als verfehlt nennen können. Dieses strenge Ur- theil dürfen wir indessen vom geschichtlichen Standpunkte aus einigermassen mildern. Ich möchte es eine historische Noth- wendigkeit nennen, dass sich die Richtung dieser ganzen Epoche auf äussere Wahrheit einmal bis zu ihrem Endpunkte entwickeln musste, um das Gefährliche derselben klar erken- nen zu lassen. Diesen Versuch wagte Lysistratos; wohl aber ist es möglich, dass er es bei dem Versuche bewenden liess. Wenigstens finden wir keine Spuren, dass man weiter an dem Gedanken festgehalten habe, einen Abklatsch der Natur an die Stelle der Kunstwerke setzen zu wollen. Wohl aber scheint die Erfindung des Abformens über dem Leben in an- derer Beziehung einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt zu ha- ben. In der folgenden Zeit, in welcher die Gymnastik die hohe Bedeutung verlor, welche sie früher für das gesammte Leben der Hellenen, und namentlich für die bildende Kunst gehabt hatte, war nun ein neues Hülfsmittel für das Studium des menschlichen Körpers gegeben, zwar nur ein schwacher Ersatz für das wirkliche, bewegte Leben; aber doch ein Er- satz, welcher der weniger aus lebendiger Phantasie, als aus ruhiger, allseitiger Ueberlegung schaffenden Kunst der folgen- den Epoche wesentlich förderlich sein musste. Namentlich möchte es noch einmal eine besondere Untersuchung verdienen, ob nicht manche Erscheinungen der eigenthümlich römischen Kunst aus solchen Studien sich erklären liessen, ob nicht vor allem die römische Portraitbildung am einfachsten auf eine durch solche Studien bedingte Naturanschauung zurückzu- führen sei. Daïppos, Sohn und Schüler des Lysipp, und deshalb von Plinius unter den Künstlern der 121sten Olympiade angeführt: 34, 51. Die 1) Richtig bemerkt A. W. v. Schlegel (Sämmtl. W. IX, S. 161) über einige moderne, mit Hülfe des Abformens entstandene Büsten: „Freilich bekommt bei dieser widerwärtigen Operation der Mund etwas Gekniffenes, die ganze Miene wird peinlich, die fleischigen Partien werden platt gedrückt u. s. w., so dass bei dem Nacharbeiten Leben und Bewegung gleichsam nur wie eine Schminke auf die todte Masse aufgetragen werden muss.”

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/420>, abgerufen am 24.11.2024.