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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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nicht umhin, dieses Streben eine Ausartung der Kunst zu nen-
nen, welche in dem angeführten Beispiele um so gefährli-
cher erscheint, als hier die Sinnlichkeit der Ausführung ver-
bunden mit der Sinnlichkeit des Gegenstandes sich bis zur
Ueppigkeit und Wollust steigern musste.

In engem Zusammenhange mit der eben bezeichneten Rich-
tung steht auch die Sorge, welche man auf die Färbung des
Marmors verwendete. Sie war allerdings auch schon der älte-
ren Kunst eigen; jetzt aber heisst es z. B. von Praxiteles, er
habe denjenigen seiner eigenen Werke den Preis zuerkannt,
welchen der Maler Nikias die circumlitio gegeben hatte: wor-
aus wenigstens der hohe Werth erhellt, welchen man auf die-
sen Schmuck legte. Zwar müssen wir gestehen, von dem
technischen Verfahren, wie von der dadurch hervorgebrachten
Wirkung nur sehr unbestimmte Begriffe zu haben. Wenn wir
aber hören, dass Silanion bei dem Bilde der Iokaste dem Erze,
einem Stoffe, welchem eine täuschende Wirkung durch ver-
schiedene Farbentöne seinem Wesen nach durchaus fremd sein
musste, Silber beimischte, um dadurch die Blässe des Todes
zu bezeichnen, so müssen wir daraus schliesen, dass man sich
bei dem Marmor nicht etwa mit der Hinzufügung einiges
schmückenden Beiwerkes begnügte, sondern auf bestimmte
Stimmungen des Ganzen durch die Farbe hinarbeitete. Ein dem
Verfahren des Silanion ganz analoges Beispiel lernten wir an
einem Werke des Skopas kennen, der Ziege in der Hand der
Maenade, welcher der Künstler zur Andeutung des Todes eine
graublaue Farbe gegeben hatte. Bei dem freilich aus sehr
verschiedenen Stoffen zusammengesetzten Serapis des Bryaxis
wird als ein besonderes Verdienst der dunkle Ton gepriesen,
welcher, der düsteren Natur des Gottes trefflich entsprechend,
über das ganze Werk ausgebreitet war.

Von solchen, theils durch Farbe, theils durch Weichheit
der Behandlung erzielten Reizen finden wir in den Werken
der sikyonischen Schule keine Spur. Hier musste das vor-
herrschende Material, die Bronze, die Aufmerksamkeit viel-
mehr auf die Bedeutung der Form an sich hinlenken. Argutiae
operum werden an den Werken des Lysipp gerühmt: Feinhei-
ten in der Durchführung des Einzelnen, welche in der durch-
sichtigen Oberfläche des Marmors verschwinden würden, sofern
sie sich in dem spröden körnigen Stoffe überhaupt so darstel-

nicht umhin, dieses Streben eine Ausartung der Kunst zu nen-
nen, welche in dem angeführten Beispiele um so gefährli-
cher erscheint, als hier die Sinnlichkeit der Ausführung ver-
bunden mit der Sinnlichkeit des Gegenstandes sich bis zur
Ueppigkeit und Wollust steigern musste.

In engem Zusammenhange mit der eben bezeichneten Rich-
tung steht auch die Sorge, welche man auf die Färbung des
Marmors verwendete. Sie war allerdings auch schon der älte-
ren Kunst eigen; jetzt aber heisst es z. B. von Praxiteles, er
habe denjenigen seiner eigenen Werke den Preis zuerkannt,
welchen der Maler Nikias die circumlitio gegeben hatte: wor-
aus wenigstens der hohe Werth erhellt, welchen man auf die-
sen Schmuck legte. Zwar müssen wir gestehen, von dem
technischen Verfahren, wie von der dadurch hervorgebrachten
Wirkung nur sehr unbestimmte Begriffe zu haben. Wenn wir
aber hören, dass Silanion bei dem Bilde der Iokaste dem Erze,
einem Stoffe, welchem eine täuschende Wirkung durch ver-
schiedene Farbentöne seinem Wesen nach durchaus fremd sein
musste, Silber beimischte, um dadurch die Blässe des Todes
zu bezeichnen, so müssen wir daraus schliesen, dass man sich
bei dem Marmor nicht etwa mit der Hinzufügung einiges
schmückenden Beiwerkes begnügte, sondern auf bestimmte
Stimmungen des Ganzen durch die Farbe hinarbeitete. Ein dem
Verfahren des Silanion ganz analoges Beispiel lernten wir an
einem Werke des Skopas kennen, der Ziege in der Hand der
Maenade, welcher der Künstler zur Andeutung des Todes eine
graublaue Farbe gegeben hatte. Bei dem freilich aus sehr
verschiedenen Stoffen zusammengesetzten Serapis des Bryaxis
wird als ein besonderes Verdienst der dunkle Ton gepriesen,
welcher, der düsteren Natur des Gottes trefflich entsprechend,
über das ganze Werk ausgebreitet war.

Von solchen, theils durch Farbe, theils durch Weichheit
der Behandlung erzielten Reizen finden wir in den Werken
der sikyonischen Schule keine Spur. Hier musste das vor-
herrschende Material, die Bronze, die Aufmerksamkeit viel-
mehr auf die Bedeutung der Form an sich hinlenken. Argutiae
operum werden an den Werken des Lysipp gerühmt: Feinhei-
ten in der Durchführung des Einzelnen, welche in der durch-
sichtigen Oberfläche des Marmors verschwinden würden, sofern
sie sich in dem spröden körnigen Stoffe überhaupt so darstel-

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[434/0447] nicht umhin, dieses Streben eine Ausartung der Kunst zu nen- nen, welche in dem angeführten Beispiele um so gefährli- cher erscheint, als hier die Sinnlichkeit der Ausführung ver- bunden mit der Sinnlichkeit des Gegenstandes sich bis zur Ueppigkeit und Wollust steigern musste. In engem Zusammenhange mit der eben bezeichneten Rich- tung steht auch die Sorge, welche man auf die Färbung des Marmors verwendete. Sie war allerdings auch schon der älte- ren Kunst eigen; jetzt aber heisst es z. B. von Praxiteles, er habe denjenigen seiner eigenen Werke den Preis zuerkannt, welchen der Maler Nikias die circumlitio gegeben hatte: wor- aus wenigstens der hohe Werth erhellt, welchen man auf die- sen Schmuck legte. Zwar müssen wir gestehen, von dem technischen Verfahren, wie von der dadurch hervorgebrachten Wirkung nur sehr unbestimmte Begriffe zu haben. Wenn wir aber hören, dass Silanion bei dem Bilde der Iokaste dem Erze, einem Stoffe, welchem eine täuschende Wirkung durch ver- schiedene Farbentöne seinem Wesen nach durchaus fremd sein musste, Silber beimischte, um dadurch die Blässe des Todes zu bezeichnen, so müssen wir daraus schliesen, dass man sich bei dem Marmor nicht etwa mit der Hinzufügung einiges schmückenden Beiwerkes begnügte, sondern auf bestimmte Stimmungen des Ganzen durch die Farbe hinarbeitete. Ein dem Verfahren des Silanion ganz analoges Beispiel lernten wir an einem Werke des Skopas kennen, der Ziege in der Hand der Maenade, welcher der Künstler zur Andeutung des Todes eine graublaue Farbe gegeben hatte. Bei dem freilich aus sehr verschiedenen Stoffen zusammengesetzten Serapis des Bryaxis wird als ein besonderes Verdienst der dunkle Ton gepriesen, welcher, der düsteren Natur des Gottes trefflich entsprechend, über das ganze Werk ausgebreitet war. Von solchen, theils durch Farbe, theils durch Weichheit der Behandlung erzielten Reizen finden wir in den Werken der sikyonischen Schule keine Spur. Hier musste das vor- herrschende Material, die Bronze, die Aufmerksamkeit viel- mehr auf die Bedeutung der Form an sich hinlenken. Argutiae operum werden an den Werken des Lysipp gerühmt: Feinhei- ten in der Durchführung des Einzelnen, welche in der durch- sichtigen Oberfläche des Marmors verschwinden würden, sofern sie sich in dem spröden körnigen Stoffe überhaupt so darstel-

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/447>, abgerufen am 24.11.2024.