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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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zu hoch anschlagen und vielmehr die wichtigsten Kriterien für
eine Entscheidung im Styl und der ganzen künstlerischen Auf-
fassung aufsuchen, um aus ihnen zu beweisen, dass sich für
dieselben nirgends in der griechischen Kunstgeschichte, als in
der Zeit der Diadochen, eine passende Stelle finden lässt.

Wir gehen von dem einfachsten Satze aus, dass die dar-
gestellten Personen nicht Griechen, sondern Barbaren sind,
und zwar nordische Barbaren; und fragen zunächst, ob wir
einem ähnlichen Vorwurfe in der Geschichte der Sculptur be-
reits früher begegnet sind? Die Antwort muss verneinend
ausfallen. Zwar hatte schon Ageladas kriegsgefangene Frauen
unteritalischer Barbaren, Onatas unter anderen auch den Japy-
gierkönig Opis gebildet. Allein erstens standen diese, obwohl
sie Barbaren genannt werden, der Race nach doch den Helle-
nen weit näher, als die nordischen Celten. Sodann aber be-
rechtigt uns nichts zu der Annahme, dass in ihnen der barba-
rische Typus charakteristisch durchgebildet worden sei. Be-
sitzen wir nicht ziemlich aus derselben Zeit die äginetischen
Giebelstatuen, bei welchen es wegen der politischen Verhält-
nisse besonders nahe gelegen hätte, die Troer als asiatische
Barbaren zu bilden? Und doch finden wir sie höchstens durch
einige Aeusserlichkeiten des Costüms von den Hellenen unter-
schieden. Ein Paris von Euphranor aber, wenn er auch vom
Kopf bis zum Fusse in phrygischer Kleidung steckte, wird
darum noch keineswegs als eine den erhaltenen Gallierstatuen
analoge Barbarenbildung zu denken sein. Gerade diese Tro-
janer, so wie die ebenfalls für ungriechisch erachteten Amazo-
nen u. a. zeigen uns recht deutlich, dass die Künstler in der
Blüthezeit die Charakteristik in Aeusserlichkeiten suchten, um
in der Körperbildung um so weniger nöthig zu haben, von
dem einmal angenommenen Ideal der Schönheit abzugehen.
Ja selbst die Malerei wagt es kaum, von dem Gebrauche der
Sculptur abzuweichen: Polygnot malt in der Nekyia zu Delphi
das Bild des Memnon; aber, um ihn als König der Aethiopen
zu bezeichnen, giebt er ihm nicht die Bildung dieses Volkes,
sondern als ein reines Parergon setzt er einen Aethiopenkna-
ben zu seinen Füssen, doch wohl, weil er die geistige Bedeu-
tung des Königs in dem fremden Typus darzustellen nicht
wagen mag. Als nun aber Alexander bis tief in Asien vor-
drang und mit Völkern aller Art in Berührung kam, da, sollte

zu hoch anschlagen und vielmehr die wichtigsten Kriterien für
eine Entscheidung im Styl und der ganzen künstlerischen Auf-
fassung aufsuchen, um aus ihnen zu beweisen, dass sich für
dieselben nirgends in der griechischen Kunstgeschichte, als in
der Zeit der Diadochen, eine passende Stelle finden lässt.

Wir gehen von dem einfachsten Satze aus, dass die dar-
gestellten Personen nicht Griechen, sondern Barbaren sind,
und zwar nordische Barbaren; und fragen zunächst, ob wir
einem ähnlichen Vorwurfe in der Geschichte der Sculptur be-
reits früher begegnet sind? Die Antwort muss verneinend
ausfallen. Zwar hatte schon Ageladas kriegsgefangene Frauen
unteritalischer Barbaren, Onatas unter anderen auch den Japy-
gierkönig Opis gebildet. Allein erstens standen diese, obwohl
sie Barbaren genannt werden, der Race nach doch den Helle-
nen weit näher, als die nordischen Celten. Sodann aber be-
rechtigt uns nichts zu der Annahme, dass in ihnen der barba-
rische Typus charakteristisch durchgebildet worden sei. Be-
sitzen wir nicht ziemlich aus derselben Zeit die äginetischen
Giebelstatuen, bei welchen es wegen der politischen Verhält-
nisse besonders nahe gelegen hätte, die Troer als asiatische
Barbaren zu bilden? Und doch finden wir sie höchstens durch
einige Aeusserlichkeiten des Costüms von den Hellenen unter-
schieden. Ein Paris von Euphranor aber, wenn er auch vom
Kopf bis zum Fusse in phrygischer Kleidung steckte, wird
darum noch keineswegs als eine den erhaltenen Gallierstatuen
analoge Barbarenbildung zu denken sein. Gerade diese Tro-
janer, so wie die ebenfalls für ungriechisch erachteten Amazo-
nen u. a. zeigen uns recht deutlich, dass die Künstler in der
Blüthezeit die Charakteristik in Aeusserlichkeiten suchten, um
in der Körperbildung um so weniger nöthig zu haben, von
dem einmal angenommenen Ideal der Schönheit abzugehen.
Ja selbst die Malerei wagt es kaum, von dem Gebrauche der
Sculptur abzuweichen: Polygnot malt in der Nekyia zu Delphi
das Bild des Memnon; aber, um ihn als König der Aethiopen
zu bezeichnen, giebt er ihm nicht die Bildung dieses Volkes,
sondern als ein reines Parergon setzt er einen Aethiopenkna-
ben zu seinen Füssen, doch wohl, weil er die geistige Bedeu-
tung des Königs in dem fremden Typus darzustellen nicht
wagen mag. Als nun aber Alexander bis tief in Asien vor-
drang und mit Völkern aller Art in Berührung kam, da, sollte

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[448/0461] zu hoch anschlagen und vielmehr die wichtigsten Kriterien für eine Entscheidung im Styl und der ganzen künstlerischen Auf- fassung aufsuchen, um aus ihnen zu beweisen, dass sich für dieselben nirgends in der griechischen Kunstgeschichte, als in der Zeit der Diadochen, eine passende Stelle finden lässt. Wir gehen von dem einfachsten Satze aus, dass die dar- gestellten Personen nicht Griechen, sondern Barbaren sind, und zwar nordische Barbaren; und fragen zunächst, ob wir einem ähnlichen Vorwurfe in der Geschichte der Sculptur be- reits früher begegnet sind? Die Antwort muss verneinend ausfallen. Zwar hatte schon Ageladas kriegsgefangene Frauen unteritalischer Barbaren, Onatas unter anderen auch den Japy- gierkönig Opis gebildet. Allein erstens standen diese, obwohl sie Barbaren genannt werden, der Race nach doch den Helle- nen weit näher, als die nordischen Celten. Sodann aber be- rechtigt uns nichts zu der Annahme, dass in ihnen der barba- rische Typus charakteristisch durchgebildet worden sei. Be- sitzen wir nicht ziemlich aus derselben Zeit die äginetischen Giebelstatuen, bei welchen es wegen der politischen Verhält- nisse besonders nahe gelegen hätte, die Troer als asiatische Barbaren zu bilden? Und doch finden wir sie höchstens durch einige Aeusserlichkeiten des Costüms von den Hellenen unter- schieden. Ein Paris von Euphranor aber, wenn er auch vom Kopf bis zum Fusse in phrygischer Kleidung steckte, wird darum noch keineswegs als eine den erhaltenen Gallierstatuen analoge Barbarenbildung zu denken sein. Gerade diese Tro- janer, so wie die ebenfalls für ungriechisch erachteten Amazo- nen u. a. zeigen uns recht deutlich, dass die Künstler in der Blüthezeit die Charakteristik in Aeusserlichkeiten suchten, um in der Körperbildung um so weniger nöthig zu haben, von dem einmal angenommenen Ideal der Schönheit abzugehen. Ja selbst die Malerei wagt es kaum, von dem Gebrauche der Sculptur abzuweichen: Polygnot malt in der Nekyia zu Delphi das Bild des Memnon; aber, um ihn als König der Aethiopen zu bezeichnen, giebt er ihm nicht die Bildung dieses Volkes, sondern als ein reines Parergon setzt er einen Aethiopenkna- ben zu seinen Füssen, doch wohl, weil er die geistige Bedeu- tung des Königs in dem fremden Typus darzustellen nicht wagen mag. Als nun aber Alexander bis tief in Asien vor- drang und mit Völkern aller Art in Berührung kam, da, sollte

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/461>, abgerufen am 25.11.2024.